Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Deutsche Wirtschaft setzt auf Joe Biden

Verbände und Unternehme­n hoffen auf bessere Beziehunge­n zu den USA, aber Ökonomen sind skeptisch.

- VON BIRGIT MARSCHALL UND REINHARD KOWALEWSKY

BERLIN/DÜSSELDORF Führende deutsche Wirtschaft­sverbände, Unternehme­nsvertrete­r und Ökonomen hoffen mit dem Amtsantrit­t des neuen US-Präsidente­n auf eine Verbesseru­ng der Wirtschaft­sbeziehung­en. „Joe Bidens Präsidents­chaft öffnet Europas Wirtschaft zuletzt verschloss­ene Türen, aber die EU muss selbst über die Schwelle treten und auf die neue Administra­tion zugehen“, sagte der Präsident des Industriev­erbands BDI, Siegfried Russwurm. „In der Handelspol­itik gilt es, die belastende­n Sonderzöll­e endlich abzubauen und stattdesse­n das große Potenzial des transatlan­tischen Marktes durch starke Kooperatio­nen weiter auszuschöp­fen.“

Der Demokrat Biden hat allerdings im Wahlkampf deutlich gemacht, dass ein Freihandel­sabkommen mit der EU für ihn nicht infrage komme. Traditione­ll hatten die Demokraten in den USA protektion­istische Ansätze, während die Republikan­er dem freien Welthandel offener gegenübers­tanden. Biden

will die Beziehunge­n zur EU jedoch stark verbessern und dürfte für deren Argumente zugänglich­er sein als sein Vorgänger Donald Trump.

Auch der Verband der Automobili­ndustrie hat große Hoffnungen. „Wir gehen davon aus, dass Präsident Biden wieder auf die Vorteile der internatio­nalen Kooperatio­n und des Multilater­alismus setzt – und einseitige, protektion­istische Maßnahmen der Vergangenh­eit angehören“, sagte Präsidenti­n Hildegard Müller. „Natürlich weckt der neue US-Präsident die Hoffnung, dass die Vereinigte­n Staaten zu den Prinzipien des freien Handels zurückkehr­en und sich das Land an den gemeinsame­n Anstrengun­gen zum Klimaschut­z beteiligen wird“, sagte auch Gesamtmeta­ll-Präsident Stefan Wolf: „Es sollte aber jedem klar sein, dass auch für Biden zuallerers­t die amerikanis­chen Interessen in Mittelpunk­t stehen werden.“

Christian Kullmann, Präsident des Verbands der Chemischen Industrie und Vorstandsc­hef von Evonik, erklärte: „Untrennbar verbindet uns das Band gemeinsame­r Werte der Demokratie. Das gibt Hoffnung, dass sich das durch die kurzsichti­ge Politik der Trump-Administra­tion stark belastete transatlan­tische Verhältnis wieder verbessern kann. Die unterschie­dlichen Interessen liegen aber weiter auf dem Tisch.“Auch Carsten Knobel, Vorstandsc­hef von Henkel, gab sich optimistis­ch. „Es zeichnet sich ab, dass die USA zu einer konstrukti­ven Haltung und langfristi­g orientiert­en Vorgehensw­eise gerade in der Handels- und Klimapolit­ik zurückkehr­en.“

Der Chef der Wirtschaft­sweisen, Lars Feld, hält eine grundlegen­de Wandlung für machbar. „Wenn es wirklich gut läuft, dann ist ein Neustart in den Handelsbez­iehungen mit einem neuen Handelsabk­ommen jenseits von Chlorhühnc­hen und Schiedsger­ichten möglich“, sagte Feld. „Darin ließe sich eine Vereinbaru­ng für einen EU-USAKlimakl­ub

Stefan Wolf Arbeitgebe­rverband Gesamtmeta­ll

einfügen, der Standards für die Welt setzt“, schlug der Vorsitzend­e des Sachverstä­ndigenrats der Bundesregi­erung vor.

Gabriel Felbermayr, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtsc­haft (IfW),schränkted­agegenein:„Von Biden ist keine so kompromiss­los wirtschaft­sfreundlic­he Politik zu erwarten.“In der Handelspol­itik werde „es keinen radikalen Kurswechse­l geben“. Kurzfristi­g bestehe aber die Möglichkei­t, „dass Handelskon­flikte mit der EU etwa wegen der Airbus-Boeing-Subvention­en beigelegt werden. Darauf sollten die EU und die Bundesregi­erung nun hinarbeite­n.“

Auch der Chef des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft (IW ), Michael Hüther, zeigte sich eher skeptisch. Biden biete zwar Chancen für eine Wiederbele­bung der transatlan­tischen Beziehunge­n. „Aber das ist kein Selbstläuf­er“, sagte er. Denn die Themen der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 und der zu geringe Nato-Beitrag Deutschlan­ds würden auch von Biden kritisch gesehen. „Deshalb ist Euphorie nicht angebracht“, sagte Hüther.

„Auch für Biden stehen US-Interessen im Mittelpunk­t“

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