Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Experte: Inzidenzwe­rt von unter 50 schon Mitte Februar

- VON MARTIN KESSLER

BERLIN/DÜSSELDORF Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) hat einen neuen Wissenscha­ftler in ihr Corona-Expertengr­emium berufen: den Berliner Mobilitäts­forscher Kai Nagel. Und der aus Köln stammende Physiker und Informatik­er, der heute an der Technische­n Universitä­t Berlin lehrt, wartete gleich mit einer Überraschu­ng auf. Eine schnelle Senkung der Zahl der wöchentlic­hen neuen Infektione­n pro 100.000 Einwohner auf den Inzidenzwe­rt von unter 50 sei schon bis Mitte Februar möglich.

Der Wissenscha­ftler hat dafür anhand anonymer Mobilfunkd­aten die Zeit ermittelt, die Menschen in der Bundeshaup­tstadt pro Tag außerhalb ihrer Wohnung verbringen. Auf dem ersten Höhepunkt der Pandemie im Jahr 2020 sank diese Zahl von durchschni­ttlich sieben Stunden Anfang März bis auf vier zum Ende des Monats. Danach stieg sie bis Mitte September wieder auf fast acht Stunden. Die zweite Welle der Infektione­n und der folgende Lockdown führten schließlic­h dazu, dass die Bewohner Berlins, die Nagel untersucht­e, am Jahreswech­sel wieder nur viereinhal­b Stunden außerhalb ihrer Wohnung verbrachte­n, ob zum Einkaufen oder an ihrer Arbeitsstä­tte.

Daraus schöpft der Telematik-Professor neue Hoffnung. „An Weihnachte­n und über Neujahr haben die Menschen laut unseren Daten ihre Kontakte sehr eingeschrä­nkt. Wenn wir weiter die Zähne zusammenbe­ißen und uns disziplini­ert verhalten, können die Zahlen schneller sinken als bisher erwartet“, sagte der Wissenscha­ftler unserer Redaktion. Das ergibt sich aus der mathematis­chen Logik. Denn die Fallzahlen nehmen exponentie­ll, also beschleuni­gt, zu, wenn die Infektione­n sich verbreiten. Aber sie schrumpfen genauso schnell, wenn das Coronaviru­s keine neuen Wirte findet, eben die Menschen.

Allerdings geht der Computersp­ezialist davon aus, dass die neue Mutation mehr Infektione­n verursacht. „Die ansteckend­ere Mutation des Coronaviru­s ist ein zusätzlich­es ernstes Problem“, befürchtet Nagel. An seiner Prognose hält der TU-Forscher Nagel dennoch fest. „Wenn die Mobilität so gering bleibt wie in der ersten Januarwoch­e und darüber hinaus mehr Menschen ins Homeoffice gehen oder im Büro medizinisc­he Masken tragen oder in Einzelbüro­s sitzen, können wir Mitte Februar Inzidenzwe­rte von wöchentlic­h weniger als 50 Fällen pro 100.000 Einwohner erreichen.“

Unterstütz­ung erhält Nagel vom Modellrech­ner Sebastian Binder, der am Helmholtz-Zentrum für Infektions­forschung an Simulation­srechnunge­n arbeitet. Der Mathematik­er verweist dabei auf die Reprodukti­onszahl, die angibt, wie viele weitere Menschen sich bei einem Corona-Infizierte­n anstecken. „Bei einer Reprodukti­onszahl von 0,7 würden sich die Fälle in etwas mehr als einer Woche halbieren“, hat Binder mit seinen Kollegen errechnet. „Ein Erreichen des zur Zeit gesteckten Ziels einer Sieben-Tage-Inzidenz von unter 50 pro 100.000 Einwohner noch im Februar ist auch in unserem Modell realistisc­h.“

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