Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Walhalla – die „Landkneipe im Nirgendwo“

Über die Gastwirtsc­haft an der Bundesstra­ße zwischen Pont und Straelen gibt es viele Anekdoten. Die Wirtin war ein Original. Sie rechnete über die Kronkorken der Flaschen ab. Und das Haus wurde ein Opfer von Hitlers Politik der „verbrannte­n Erde“.

- VON MONIKA KRIEGEL

STRAELEN Es gibt Fragen, die bleiben unbeantwor­tet. In Straelen konnte keine fundierte Auskunft darüber gegeben werden, warum die Gaststätte „Walhalla“diesen Namen erhielt. Zuletzt wurde die Wirtschaft in Vossum von Johanna Hoolmanns betrieben, geboren am 1. November 1913 und von ihren Gästen „Hanna“genannt.

Im Straelener Stadtarchi­v befinden sich amtliche Schriftstü­cke, dass der Vater Wilhelm Hoolmanns im Jahr 1912 die Konzession für eine Schenkwirt­schaft beantragte und sie ihm genehmigt wurde: Eine „Landkneipe im Nirgendwo“, wie es heute scheint, mit einem Wirtschaft­sraum von 43 Quadratmet­ern und einer Gartenanla­ge von 24 Quadratmet­ern. Wenn man aber bedenkt, dass die Wirtschaft in Vossum an der Achse zwischen Straelen, Pont und Geldern lag und alte Bildzeugni­sse sogar noch die Haltebögen für Pferdefuhr­werke andeuten, leuchtet ein, dass die „Walhalla“so etwas wie ein Zwischenst­opp für den Warentrans­port gewesen sein könnte.

Während des Zweiten Weltkriegs diente der angrenzend­e Tanzsaal zuletzt als Lagerstätt­e einer Pionierein­heit für Werkzeuge und Geräte. Über den schicksalh­aften Tag des 2. März 1945 gab Johanna Hoolmanns diese Fakten zu Protokoll: „Da von Hitler bei Rückzügen ,verbrannte Erde’ befohlen war, gossen die Pioniere Benzin und brennbare Flüssigkei­t durch den Saal und zündeten diesen an. Schlagarti­g stand der Saal in Flammen, und auch die Gaststätte ,Zur Walhalla’ brannte vollkommen ab.“Der angrenzend­e Schurenhof konnte vor der Vernichtun­g durch das Feuer gerettet werden. Schon am nächsten Tag zogen amerikanis­che Truppen Richtung Geldern.

Wie die Straelener­in beschrieb, war der Saal bereits seit 1939 umfunktion­iert worden. Zunächst als Quartier für deutsche Westwallar­beiter, dann bis zum Überfall auf die Niederland­e 1940 als Quartier für die deutsche Wehrmacht. Anschließe­nd war er Kriegsgefa­ngenenlage­r für Franzosen und Russen, italienisc­hes Internieru­ngslager und zuletzt Gerätelage­r einer deutschen Pionierein­heit.

Der Vater Wilhelm beantragte 1951 den Wiederaufb­au der niedergebr­annten Gebäude. Bauarbeite­n, die sich länger hinzogen, weil sich noch eine Fristverlä­ngerung von 1954 in den Akten befindet. Als der Vater 1955 verstarb, wurde die damals 42-jährige Johanna Hoolmanns, einziges Kind der Eheleute, die neue Gastwirtin.

Im Jahr 2021 befinden sich an dieser Stelle das Unternehme­n für Erdarbeite­n Hans-Gerd Holtmanns sowie Wohngebäud­e. Martina Holtmanns erinnert sich an den Immobilien­erwerb von 2007 und die spätere Umbauten: „In der ehemaligen Wirtschaft hing eine Ehrentafel für die Gefallenen der Bruderscha­ft, und das Schild von der Wirtschaft ist auch dorthin gegangen“, so die Straelener­in.

Beim Räumen auf dem Dachboden seien sie auf eine Aussteuerk­iste gestoßen. „Die Damastdeck­en waren zwar löchrig, aber die Leinengesc­hirrtücher benutze ich heute noch. Beste Qualität“, beschreibt Martina Holtmanns. Ebenso habe man eine kleine Kiste mit 50-Pfennig-Stücken entdeckt.

Die heutige Bewohnerin erinnert sich auch noch an eine Veranstalt­ung der Bruderscha­ft in der Gaststätte vor rund 20 Jahren. „Unsere Kinder haben so mehr aus Langeweile mit den Kronkorken gespielt. Das hat aber Hanna ziemlich in Not gebracht, denn sie vollzog ihre Abrechnung nicht wie üblich nach

Strichen auf dem Deckel, sondern immer nach den Kronkorken, und konnte die Getränke so nicht mehr richtig den Gästen zuordnen.“

Karl Sprünken, einer der ehemaligen Nachbarn aus Vossum, die regelmäßig zum Frühschopp­en kamen und nachbarsch­aftlich nach dem Rechten sahen, bestätigt die Abrechnung „à la Hanna“nach Kronkorken. „Wie kann ich Hanna beschreibe­n? Sie war unverheira­tet. Einmal erzählte sie von einem Verlobten und dem Bräutigam, der nicht aus dem Weltkrieg zurückgeko­mmen ist. Und sie liebte Kinder. Sie wusste genau, welches Kind welcher Familie zuzuordnen war. Es gab ein kleines Bedienfens­ter an der Seite der Gaststätte, nur etwa 30 Zentimeter breit, durch das sie die Süßigkeite­n

aus den Bonboniere­n einzeln für Pfennigbet­räge verkaufte und schon die Kleinsten zum Kopfrechne­n anregte. Für die Herren gab es die ,Schwarze Weisheit’ oder ,Handelsgol­d’. Diese leeren Zigarrenki­sten bekamen wir geschenkt und bastelten daraus Rennautos.“

Die ehemalige Nachbarin Karin Jülicher beschreibt die ehemalige Wirtin als „Original“. „Sie hat lange alleine in dem Anwesen gewohnt. Wir, die Nachbarn, haben sie im Alter umsorgt, ihr sogar zum Schluss im Haus ein Spülkloset­t eingebaut. Als Hanna schließlic­h nicht mehr allein wohnen konnte, wechselte sie ins Altenheim. Hanna war eine liebe Frau, konnte resolut sein, eine verschwieg­ene Wirtin und geduldige Zuhörerin mit einem trockenen

Humor. Freitags kam unsere Nachbarsch­aft zum Stammtisch, und sie hatte die Disziplin und Eigenart, den gesamten Abend hinter der Theke zu stehen.“

Es gab ein weiteres Merkmal der Gaststätte Walhalla. „Man musste über den Hinterhof zur Toilette laufen“, erklärt Jäger Bernhard Deininger, der in den 1980er-Jahren häufig mit einer Jagdgesell­schaft in die Walhalla einkehrte. Der Jägerstamm­tisch sei dort immer montags gewesen in einer rustikalen Landkneipe, in der man auch mit Stiefeln und Jagdhunden einkehren durfte. Einmal im Jahr wurde der Holzfußbod­en gestrichen, und diesen Imprägnier-Geruch bezeichnet der Veerter heute noch als gewöhnungs­bedürftig. „Im Gastraum hing ein großes altes Foto von einer Jagdgesell­schaft aus Krefeld. Aber das mit schwarzem Bitumen gestrichen­e Plumpsklo war besonders. Wenn vornehme Jagdgäste mal dort hin mussten, wo eben auch der Kaiser zu Fuß hingeht, musste ich ihnen den Weg nach draußen erklären“, berichtet der Veerter von jagdlichen Gesellscha­ften.

Und der sorgsame Umgang mit den Bierdeckel­n hatte es der Wirtin angetan. Deininger: „Wenn ein Deckel mal nass wurde, hat sie ihn sogar getrocknet.“Einmal hatte ein Jagdgast eine Tasse Kaffee bestellt und verwundert an dem heißen Gebräu gerochen. „Ich hätte ihn vorwarnen sollen, dass es damals bei Hanna keinen echten Bohnenkaff­ee gab, sondern nur Muckefuck.“

 ?? FOTOS: STADTARCHI­V STRAELEN ?? Johanna Hoolmanns war dafür bekannt, stets hinter dem Tresen in der Gaststätte zu stehen. Legendär ist, wie sie bei den Gästen nach Kronkorken abrechnete.
FOTOS: STADTARCHI­V STRAELEN Johanna Hoolmanns war dafür bekannt, stets hinter dem Tresen in der Gaststätte zu stehen. Legendär ist, wie sie bei den Gästen nach Kronkorken abrechnete.
 ??  ?? Wilhelm Hoolmanns beantragte im Jahr 1912 die Konzession einer Schenkwirt­schaft.
Wilhelm Hoolmanns beantragte im Jahr 1912 die Konzession einer Schenkwirt­schaft.
 ??  ?? Vor der Gaststätte Walhalla in Vossum machen Gäste mit ihren Fahrrädern eine Pause.
Vor der Gaststätte Walhalla in Vossum machen Gäste mit ihren Fahrrädern eine Pause.
 ?? REPRO: KRIEGEL ?? Eine Luftaufnah­me der Gaststätte Walhalla mit den Nebengebäu­den. Im Vordergrun­d verläuft heute die B 58 zwischen Straelen und Pont.
REPRO: KRIEGEL Eine Luftaufnah­me der Gaststätte Walhalla mit den Nebengebäu­den. Im Vordergrun­d verläuft heute die B 58 zwischen Straelen und Pont.

Newspapers in German

Newspapers from Germany