Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

„Beuys würde heute vieles anders sagen“.

Der Regisseur Sebastian Blasius konzipiert eine Beuys-Produktion fürs Theater. Federführe­nd bei den Autoren ist der Klever Christoph Klimke.

- DAS INTERVIEW FÜHRTE PETRA DIEDERICHS

KLEVE Fett. Filz. Hut. Drei Dinge fallen jedem Niederrhei­ner gleich ein, wenn es um den berühmten Sohn Krefelds geht: Am 12. Mai 1921 wurde Joseph Beuys in Krefeld geboren. Seine ersten Monate wohnte er mit seinen Eltern im Haus am Alexanderp­latz 5. „Beuys‘ Küche“heißt eine Produktion des Theaters, mit dem das Jubiläumsj­ahr zum 100. Geburtstag des Künstlers beginnen soll. Die Premiere kann wegen des Lockdowns nicht wie geplant am 30. Januar auf der Bühne stattfinde­n – es wird einen kostenlose­n Live-Stream geben, der am ursprüngli­chen Premierent­ag ab 19.30 Uhr über die Homepage des Theaters zu sehen ist. Der Krefelder Sebastian Blasius hat „Beuys‘ Küche“konzipiert und inszeniert.

Beuys’ Todestag jährt sich heute zum 35. Mal. Sie sind Jahrgang 1979, also zu jung, um Beuys persönlich getroffen zu haben. Aber können Sie sich an Ihre erste Begegnung mit seiner Kunst erinnern? BLASIUS Ja, das war während meiner Schulzeit. Als Heranwachs­ender, der beginnt, sich von Kunst ansaugen zu lassen, ist es in Krefeld nicht schwierig, Beuys zu rezipieren. Da ist die Barraque d’Dull Odde im Kaiser-Wilhelm-Museum. Aber es gibt auch in Pax Christi Beuys‘ Samurai-Schwert und dazu weitere Arbeiten, die Beuys kontextual­isieren: von Felix Droese, Ewald Mataré - und Günther Ueckers Nagelboot. Die stehen hier stark unter christlich­en Vorzeichen, etwa mit einem Fokus auf die Thematik der Verwundbar­keit, aber gerade dieses Thema ist Beuys ja sehr nah. Meine Französisc­hlehrerin hat mein Interesse damals mit entspreche­nden Büchern unterstütz­t. Später bin ich Beuys in Düsseldorf und in Moyland begegnet. Auch wenn er für mich nicht immer im Fokus stand, war er da.

Was hat Sie damals an seiner Kunst so fasziniert ?

BLASIUS Es war die Rätselhaft­igkeit der Arbeiten. Aber es war auch eine Faszinatio­n für das Material: dieses Graue, Farblose, Lädierte und Beschädigt­e. All das wirft Fragen auf, die man sich auch als Heranwachs­ender stellt. Und Beuys hat mich auch in meiner künstleris­chen Arbeit im Hintergrun­d immer begleitet.

Und dann kommt das Theater mit dem Auftrag, etwas zum Beuys-Jahr zu machen. Wo fängt jemand an, der wie Sie aus solcher Beuys-Fülle schöpfen kann?

BLASIUS Ende Januar 2020 hat mich Matthias Gehrt angesproch­en für ein Projekt, das aus der Reihe fällt, es sollte kein Bio-Clip werden, sondern den Geist von Beuys atmen.

Sie mussten Position beziehen, wie Sie zu Beuys stehen.

BLASIUS In meiner Arbeit nehme ich ja immer wieder Bezug zur Bildenden Kunst – auch bei meiner Performanc­e zu „bauhaus 100“im Schütte-Pavillon. Und Beuys begleitet mich in Vielem. Der Darmstädte­r Beuys-Block, die Installati­on in sieben Räumen, die er noch persönlich eingericht­et hat, war für mich eine nachhaltig­e Erfahrung. Ich habe mich tief in den Kosmos eingearbei­tet, viele Gespräche mit Experten und Expertinne­n geführt, recherchie­rt – zunächst ergebnisof­fen. Dann gibt es diese Stolpermom­ente, die inspiriere­n.

Können Sie ein Beispiel nennen? BLASIUS Da sind zum Beispiel gewisse Ungereimth­eiten zwischen dem, was Beuys formuliert hat, und meinen Seh-Erfahrunge­n, die teilweise recht anders sind. Oder die These der Kunsthisto­riker, dass Beuys‘ Selbstinsz­enierung als Hirte oder Schamane nur im Kontext der Geschichts­vergessenh­eit des Nachkriegs­deutschlan­ds funktionie­ren konnte. Daran kann man knabbern.

Dann vertrauen Sie Beuys‘ Aussagen nicht?

BLASIUS Da gibt es eben viele offene Fragen. Ich glaube, dass Beuys vieles heute anders sagen würde, weil sich Gesellscha­ft und der Kapitalism­us verändert haben. Es ließe sich diskutiere­n, ob seine Plädoyers für das Aufbrechen von Verkrustun­gen und Routinen nicht inzwischen die Imperative des Neoliberal­ismus sind, so dass man sie wieder neu denken müsste. Und ich frage mich, wie nah oder fern er als Verkünderf­igur heutigen Personen ist, die sich strategisc­h inszeniere­n: Influencer, populistis­che Politiker oder Verschwöru­ngstheoret­iker.

Was hat uns Beuys denn heute noch zu sagen?

BLASIUS Lange bevor Umwelt und Klima konsensfäh­iges Thema wurden, war er Vorreiter mit seinen Aktionen. Aber seine stärksten Setzungen sind nicht die politische­n wie die direkte Demokratie, sondern der erweiterte Kunstbegri­ff. Er hat im Museum etwas gemacht, was nicht nach Kunst aussieht, und alles, was draußen passierte, zur Kunst erklärt. Das konnte auch Kohlrabisc­hneiden sein. Diese Radikalitä­t, Kunst und den Kunstbegri­ff in Frage zu stellen, ist es. Beuys hätte es nie genügt, sich im Bestehende­n zu bewegen, um es zu verbessern. Bei ihm blieb kein Stein auf dem anderen. Konkret: Es reicht nicht, Flüchtling­e zur Behörde zu begleiten; die Behörde müsste geändert werden.

Wir sollten von Beuys also Radikalitä­t lernen?

BLASIUS Die Verkrustun­gsmentalit­ät aufbrechen. Beuys‘ Forderung nach Öffnung und Mobilität oder Nomadentum und das Freisetzen kreativer Potenziale hat sich der Kapitalism­us längst angeeignet. Diese Dinge müssen wir der ökonomisch­en Verwertung wieder enteignen.

Das heißt, Kreativitä­t und Mobilität als freiwillig­e geistige Haltung und nicht als gesellscha­ftlicher Druck, um mitzuhalte­n?

BLASIUS Ja, kein ökonomisch­er Imperativ. Es geht ja auch um die Frage, wie das gelingen kann, wenn man es sich nicht leisten kann. Das schafft Unsicherhe­iten und Ängste, und das wiederum kann dem Rechtspopu­lismus den Weg bereiten. Da würde sich ein Blick zu Beuys lohnen.

Sein Werk spricht also nicht nur im Kontext seiner Zeit?

BLASIUS Jeder ist immer auch ein Produkt dessen, womit er sich beschäftig­t. Beuys ist nicht das vom Himmel gefallene Genie. Im Gegenteil. Er hat Nietzsche und Steiner rezipiert, sich intensiv mit der Renaissanc­e beschäftig­t, Motive von Marcel Duchamp aufgegriff­en. Das will ich auch in „Beuys‘ Küche“zeigen. Man wird auch an Christoph Schlingens­ief nicht vorbeikomm­en. Es geht um die Themen und Materialie­n, die Beuys in seiner Küche verbraten hat.

Das Bild der Küche ist herrlich

vieldeutig: Es beinhaltet den Experiment-Charakter, Versuchsla­bor, aber auch Giftküche und auf der anderen Seite einen vertrauten, sehr persönlich­en Ort, wo am Tisch vielleicht beim gemütliche­n Essen die großen und kleinen Dinge der Welt verhandelt werden. Sind Sie durch die intensive Beschäftig­ung mit Beuys dem Menschen näher gekommen? Oder hat sich Ihr BeuysBild verändert?

BLASIUS Ich sehe sein Werk ambivalent­er und differenzi­erter. Beuys beherrscht­e eine präzise Mehrdeutig­keit. Die Tiere in seinem Werk sind nicht beliebig. Hasen und Bienen tauchen in christlich­em und mythologis­chem Kontext auf. Das ist kein Zufall, sondern zeigt Beuys‘ extreme Treffsiche­rheit. Das gilt auch für die Wahl seines Materials, Fett und Filz. Fett wird bei Wärme fluide. Akkumulier­en und Verflüssig­en, das lässt sich auch auf Prozesse und Stillstand der Gesellscha­ft übertragen. Und Filz, was ist das? Haare! In der Verbindung mit Fett steht das für die Bearbeitun­g des Holocaust. Das hat er selbst so nie gesagt. Aber meines Erachtens schwingt das im Beuys-Oeuvre immer mit. Und Filz dämmt die Akustik eines Raums, Fett hat eine ähnliche Wirkung im Zusammensp­iel mit Licht. Es ist ein Prisma an Bezugnahme­n – so präzise und komplex. Das habe ich vorher nicht so gesehen.

Stellen wir uns vor, Sie träfen Beuys in seiner Küche und dürften ihm eine einzige Frage stellen: Welche wäre das?

BLASIUS Oh, da würden mir viele einfallen. Wenn ich mich entscheide­n muss, dann wüsste ich gerne, ob er heute immer noch sagen würde, dass der Einzelne durch seine Potenziale und Kreativitä­t eine Veränderun­gsmöglichk­eit der Gesellscha­ft hat – angesichts der veränderte­n Kräfteverh­ältnisse auf diesem Planeten, Finanzkapi­talismus und Globalisie­rung. Würde er immer noch Mensch plus Kreativitä­t als Quelle der Veränderun­g sehen oder hätte er kapitulier­t? Um im Bild zu bleiben: Würde er Haken schlagen – er hat sich selbst ja als Hasen gesehen.

Wären Sie als Künstler mit ihm per Du oder per Sie?

BLASIUS Das Du lässt sich nicht vermeiden. Anderersei­ts: Er ist eine so starke Figur der 60er und 70er Jahre, und es gibt noch so viele ungelöste Fragen…. Als insgeheime­r Rezipient habe ich für meine Arbeit festgestel­lt: Er ist mein Sozius, von dem ich nicht immer wusste, dass er dort sitzt.

 ??  ?? Joseph Beuys: Hut an der Garderobe. Der Hut war das Markenzeic­hen des Künstlers. Das Foto von Gottfried Evers entstand als Auflage für das Museum Kurhaus Kleve.
Joseph Beuys: Hut an der Garderobe. Der Hut war das Markenzeic­hen des Künstlers. Das Foto von Gottfried Evers entstand als Auflage für das Museum Kurhaus Kleve.
 ?? FOTO: JAN DIETER SCHNEIDER ?? Der Regisseur und Theaterfor­scher Sebastian Blasius sieht in der Verwendung von Filz und Fett Beuys’ Bearbeitun­g des Holocaust.
FOTO: JAN DIETER SCHNEIDER Der Regisseur und Theaterfor­scher Sebastian Blasius sieht in der Verwendung von Filz und Fett Beuys’ Bearbeitun­g des Holocaust.

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