Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Die Milliarden-Frage
Kanzleramtsminister Braun will das Grundgesetz ändern, um mehr Schulden zu ermöglichen – keine gute Idee, findet der CDU-Chef.
BERLIN Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) ist eigentlich als bedächtiger und überlegter politischer Stratege bekannt. Umso überraschter waren Politiker der Unionsparteien, als sie am Dienstag das „Handelsblatt“aufschlugen. Dort warb der Intimus von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in einem Gastbeitrag dafür, die Schuldenbremse durch eine Grundgesetzänderung für mehrere Jahre auszusetzen. Sie sei in den kommenden Jahren auch bei strenger Ausgabendisziplin nicht einzuhalten, schrieb Braun. „Deshalb ist es sinnvoll, eine Erholungsstrategie für die Wirtschaft in Deutschland mit einer Grundgesetzänderung zu verbinden“, meinte der Minister.
Der Vorstoß rührt an den bisherigen Markenkern der Union, die Rückkehr zur Haushaltsdisziplin und zur „schwarzen Null“im Bundesetat nach der Krise. Bisher hatte niemand in der Führungsriege der Union einen solchen revolutionären Vorschlag gewagt – und nun kam er ausgerechnet vom Chefstrategen im Kanzleramt. Die Aufregung in der Union war dementsprechend groß, die Parteien im linken Spektrum dagegen rieben sich die Hände.
Der neue CDU-Vorsitzende Armin Laschet sah sich in der virtuellen Sitzung der Unionsfraktion am Nachmittag zu einer Art Machtwort gezwungen, das auch als ein Signal in die Richtung Merkels verstanden werden konnte, die ihren Kanzleramtschef möglicherweise vorgeschickt hat: Die Union werde an der Schuldenbremse nichts ändern, erklärte Laschet apodiktisch.
„Die Schuldenbremse sollte erhalten bleiben. Ebenso wie wir Steuererhöhungen ablehnen. Sollten Regierungsmitglieder es für erforderlich halten, die Verfassung ändern zu wollen, sollten sie dies in Zukunft mit Partei und Fraktion abstimmen. Das kann man nicht mal so eben machen“, sagte Laschet Teilnehmern der Sitzung zufolge. Die Schuldenbremse sei „eine große Errungenschaft“, so Laschet, „die es uns erlaubt hat, so zu handeln, wie wir es getan haben“. Zuvor hatte auch Fraktionschef Ralph Brinkhaus, neben Laschet der andere starke Mann in der neuen Unionsaufstellung, erklärt: „Dies ist keine mehrheitsfähige Position in der Unionsfraktion.“
Später meldete sich auch die Kanzlerin, sie verlor allerdings kein Wort über den Vorstoß ihres Kanzleramtschefs. „Wir sind auf einem guten Weg“, sagte sie sinngemäß, der Lockdown beginne zu wirken. Sie sei zuversichtlich, am Ende des Sommers jedem Bürger ein Impfangebot machen zu können. In der Fraktion wurde der Vorstoß Brauns später als „persönliche Meinung“dargestellt, nicht einmal die Arbeitsebene im Kanzleramt sei eingebunden gewesen. Zur Bekämpfung der Corona-Pandemie hatte der Bundestag die Schuldenbremse für 2020 und 2021 ausgesetzt, um dem Bund Schulden in Rekordhöhe zu ermöglichen. Bisher hat die Union Forderungen etwa von SPD und Grünen stets zurückgewiesen, an der Schuldenbremse zu rütteln, mit der die Neuverschuldung des Bundes auf 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts begrenzt wird. Braun argumentierte nun, dass jährliche Entscheidungen über die Schuldenbremse für die Haushaltsdisziplin gefährlich seien. Das öffne das Tor zur dauerhaften Aufweichung der Schuldenregel. Es bleibe völlig unklar, wie lange die Pandemie Grund für die Aussetzung sein könne. Er wolle die Schuldenbremse nicht grundsätzlich infrage stellen.
Unionsfraktionsvize Andreas Jung konterte: „Nach der Krise können Schuldenbremse und Zukunftsinvestitionen ohne Steuererhöhungen zusammengebracht werden“, erklärte er. Dazu müssten nicht die Regeln geändert, sondern Prioritäten gesetzt werden: „Es braucht dazu eine klare Ausrichtung auf nachhaltiges Wachstum“, betonte Jung.
Auch führende Ökonomen wiesen den Vorstoß zurück. „Eine Grundgesetzänderung zur Reform der Schuldenbremse ist der Anfang von ihrem Ende“, sagte Wirtschaftsweisen-Chef Lars Feld. Um die dafür nötigen Zwei-Drittel-Mehrheiten zu bekommen, müsste die Union so viele Zugeständnisse an andere Parteien machen, dass keine effektive Begrenzung der Staatsverschuldung mehr übrig bliebe. Der Sachverständigenrat habe zwar unlängst einen Vorschlag unterbreitet, wie auch in künftigen Jahren mehr Neuverschuldung zulässig sein könnte, aber für eine Grundgesetzänderung sei er nicht. Ifo-Chef Clemens Fuest sagte, die Schuldenbremse habe eine heilsame Wirkung auf die Politik, weil sie sich ernsthaft Gedanken über ihre Prioritäten machen müsse.
Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) zeigte dagegen Sympathie für Brauns Vorstoß. Er habe in einem „interessanten Gastbeitrag“den Vorschlag der Wirtschaftsweisen aufgegriffen, behauptete Scholz. Die Politik müsse sich im Frühjahr entscheiden, welchen Weg sie nun gehen wolle. Für die Grünen ging Braun nicht weit genug. Nach Plänen von Parteichef Robert Habeck sollen Zukunftsinvestitionen künftig nur noch mit neuen Schulden finanziert werden.
Braun hat sich am vergangenen Dienstag viele neue Freunde gemacht, nur nicht im eigenen politischen Lager.