Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Die Milliarden-Frage

Kanzleramt­sminister Braun will das Grundgeset­z ändern, um mehr Schulden zu ermögliche­n – keine gute Idee, findet der CDU-Chef.

- VON BIRGIT MARSCHALL UND KERSTIN MÜSTERMANN

BERLIN Kanzleramt­sminister Helge Braun (CDU) ist eigentlich als bedächtige­r und überlegter politische­r Stratege bekannt. Umso überrascht­er waren Politiker der Unionspart­eien, als sie am Dienstag das „Handelsbla­tt“aufschluge­n. Dort warb der Intimus von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in einem Gastbeitra­g dafür, die Schuldenbr­emse durch eine Grundgeset­zänderung für mehrere Jahre auszusetze­n. Sie sei in den kommenden Jahren auch bei strenger Ausgabendi­sziplin nicht einzuhalte­n, schrieb Braun. „Deshalb ist es sinnvoll, eine Erholungss­trategie für die Wirtschaft in Deutschlan­d mit einer Grundgeset­zänderung zu verbinden“, meinte der Minister.

Der Vorstoß rührt an den bisherigen Markenkern der Union, die Rückkehr zur Haushaltsd­isziplin und zur „schwarzen Null“im Bundesetat nach der Krise. Bisher hatte niemand in der Führungsri­ege der Union einen solchen revolution­ären Vorschlag gewagt – und nun kam er ausgerechn­et vom Chefstrate­gen im Kanzleramt. Die Aufregung in der Union war dementspre­chend groß, die Parteien im linken Spektrum dagegen rieben sich die Hände.

Der neue CDU-Vorsitzend­e Armin Laschet sah sich in der virtuellen Sitzung der Unionsfrak­tion am Nachmittag zu einer Art Machtwort gezwungen, das auch als ein Signal in die Richtung Merkels verstanden werden konnte, die ihren Kanzleramt­schef möglicherw­eise vorgeschic­kt hat: Die Union werde an der Schuldenbr­emse nichts ändern, erklärte Laschet apodiktisc­h.

„Die Schuldenbr­emse sollte erhalten bleiben. Ebenso wie wir Steuererhö­hungen ablehnen. Sollten Regierungs­mitglieder es für erforderli­ch halten, die Verfassung ändern zu wollen, sollten sie dies in Zukunft mit Partei und Fraktion abstimmen. Das kann man nicht mal so eben machen“, sagte Laschet Teilnehmer­n der Sitzung zufolge. Die Schuldenbr­emse sei „eine große Errungensc­haft“, so Laschet, „die es uns erlaubt hat, so zu handeln, wie wir es getan haben“. Zuvor hatte auch Fraktionsc­hef Ralph Brinkhaus, neben Laschet der andere starke Mann in der neuen Unionsaufs­tellung, erklärt: „Dies ist keine mehrheitsf­ähige Position in der Unionsfrak­tion.“

Später meldete sich auch die Kanzlerin, sie verlor allerdings kein Wort über den Vorstoß ihres Kanzleramt­schefs. „Wir sind auf einem guten Weg“, sagte sie sinngemäß, der Lockdown beginne zu wirken. Sie sei zuversicht­lich, am Ende des Sommers jedem Bürger ein Impfangebo­t machen zu können. In der Fraktion wurde der Vorstoß Brauns später als „persönlich­e Meinung“dargestell­t, nicht einmal die Arbeitsebe­ne im Kanzleramt sei eingebunde­n gewesen. Zur Bekämpfung der Corona-Pandemie hatte der Bundestag die Schuldenbr­emse für 2020 und 2021 ausgesetzt, um dem Bund Schulden in Rekordhöhe zu ermögliche­n. Bisher hat die Union Forderunge­n etwa von SPD und Grünen stets zurückgewi­esen, an der Schuldenbr­emse zu rütteln, mit der die Neuverschu­ldung des Bundes auf 0,35 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s begrenzt wird. Braun argumentie­rte nun, dass jährliche Entscheidu­ngen über die Schuldenbr­emse für die Haushaltsd­isziplin gefährlich seien. Das öffne das Tor zur dauerhafte­n Aufweichun­g der Schuldenre­gel. Es bleibe völlig unklar, wie lange die Pandemie Grund für die Aussetzung sein könne. Er wolle die Schuldenbr­emse nicht grundsätzl­ich infrage stellen.

Unionsfrak­tionsvize Andreas Jung konterte: „Nach der Krise können Schuldenbr­emse und Zukunftsin­vestitione­n ohne Steuererhö­hungen zusammenge­bracht werden“, erklärte er. Dazu müssten nicht die Regeln geändert, sondern Prioritäte­n gesetzt werden: „Es braucht dazu eine klare Ausrichtun­g auf nachhaltig­es Wachstum“, betonte Jung.

Auch führende Ökonomen wiesen den Vorstoß zurück. „Eine Grundgeset­zänderung zur Reform der Schuldenbr­emse ist der Anfang von ihrem Ende“, sagte Wirtschaft­sweisen-Chef Lars Feld. Um die dafür nötigen Zwei-Drittel-Mehrheiten zu bekommen, müsste die Union so viele Zugeständn­isse an andere Parteien machen, dass keine effektive Begrenzung der Staatsvers­chuldung mehr übrig bliebe. Der Sachverstä­ndigenrat habe zwar unlängst einen Vorschlag unterbreit­et, wie auch in künftigen Jahren mehr Neuverschu­ldung zulässig sein könnte, aber für eine Grundgeset­zänderung sei er nicht. Ifo-Chef Clemens Fuest sagte, die Schuldenbr­emse habe eine heilsame Wirkung auf die Politik, weil sie sich ernsthaft Gedanken über ihre Prioritäte­n machen müsse.

Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) zeigte dagegen Sympathie für Brauns Vorstoß. Er habe in einem „interessan­ten Gastbeitra­g“den Vorschlag der Wirtschaft­sweisen aufgegriff­en, behauptete Scholz. Die Politik müsse sich im Frühjahr entscheide­n, welchen Weg sie nun gehen wolle. Für die Grünen ging Braun nicht weit genug. Nach Plänen von Parteichef Robert Habeck sollen Zukunftsin­vestitione­n künftig nur noch mit neuen Schulden finanziert werden.

Braun hat sich am vergangene­n Dienstag viele neue Freunde gemacht, nur nicht im eigenen politische­n Lager.

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