Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Platz zwölf ist das schwächste WM-Ergebnis der deutschen Handballer. Bis Tokio wartet jede Menge Arbeit.
Deutschlands beste Schachspielerin spricht über Sexismus und lobt die Netflix-Serie „Das Damengambit“.
Frau Pähtz, werden Sie häufig mit diesem Argument konfrontiert, dass Schach ja kein körperlicher Sport ist, Frauen also ja eigentlich keine Nachteile haben?
ELISABETH PÄHTZ Ja, viele sehen keinen Grund, warum wir schlechter sein sollen als Männer. Weil wir es aber sind, gibt es keine Begründung dafür, dass wir gleich bezahlt oder honoriert werden sollten. Das gibt es auch bei uns heute noch. Ich habe jahrelang dafür gekämpft, dass ich gleich bezahlt werde. Mir ist es erst nach 15 Jahren gelungen, nachdem ich aus der Nationalmannschaft ausgetreten bin.
2019 haben Sie ihren Rücktritt aus der Nationalmannschaft erklärt mit der Begründung, dass der Deutsche Schachbund das Frauenschach ungleich behandelt. Wie hat sich das bemerkbar gemacht? PÄHTZ Früher hatten die Männer zwei Trainer für eine Olympiade und wir nur einen. Die Männer hatten also viel bessere Trainingsmöglichkeiten, mehr Lehrgänge. Das hat sich in den vergangenen drei, vier Jahren positiv entwickelt und ausgeglichen. In meinem Jugendalter – ich bin 1998 mit 13 in die Nationalmannschaft eingetreten – war das eine ganz klare Zweiklassengesellschaft. Jetzt ist es wesentlich besser geworden.
Dennoch wird der Sport von Männern dominiert, unter den Top 100 in Deutschland sind Sie die einzige Spielerin. Wie kommt das?
PÄHTZ Das ist natürlich immer die Frage aller Fragen. Punkt eins: Statistisch gesehen haben wir nur zehn Prozent Frauenanteil. Es ist also logisch, dass die Wahrscheinlichkeit viel niedriger ist, dass eine in die Top 100 vorstößt. Der zweite Punkt und das ist meiner Meinung nach der gravierendste: ganz extreme soziale Ungleichbehandlung. Wenn du als Junge talentiert bist, ist es für dich viel einfacher Sponsoren zu finden als als junges Mädchen. Die Jungs wurden und werden besser gefördert. Ich sehe es jetzt auch an unserem „Wunderkind“, er ist 16, also kein Kind mehr, Vincent Keymer. Er hat absolut gigantische Sponsoren hinter sich. Wenn ich mich an meine Zeit erinnere, gab es diese ganze Förderung nicht. Der dritte Punkt ist, dass Männer von Natur aus besser in der Lage sind, sich auf eine Sache zu konzentrieren und sie haben eine höhere Risikobereitschaft, die evolutionär bedingt ist.
Warum muss man zwischen Frauen- und Männerschach differenzieren?
PÄHTZ Wenn man es nicht tut, haben wir Spielerinnen keine Chance mehr zu überleben. Wenn man es komplett trennen würde, hätten wir keine Veranstaltungen mehr, weil die meisten Turniere Männeroder offene Turniere sind. Dann hätten Frauen keine Möglichkeit mehr, damit ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
Sie spielen Schach seitdem Sie fünf Jahre alt sind, ihr Vater, selbst ein Schachgroßmeister, trainierte Sie. PÄHTZ Das war mein Glück. Ohne meinen Vater hätte ich nicht die Möglichkeit gehabt, gutes Training zu bekommen. Er war ja Profispieler der DDR, aber kein Trainer. Ein guter Coach und ein guter Schachspieler sind zwei Paar Schuhe. Ich bin mit erfahrenen Trainern erst mit 13, 14 Jahren in Kontakt gekommen.
Sie sind mit 14 deutsche Meisterin bei den Frauen geworden. Dadurch ist Ihnen damals große mediale Aufmerksamkeit zuteilgeworden. Sie spielten damals im Ohr von Hape Kerkeling ein Simultan gegen die Schachabteilung des FC Bayern. Er gab sich als iranischer Großmeister aus. Wie sehen Sie die Aktion
heute?
PÄHTZ Ich muss immer noch darüber lachen, aber es wurde damals schon ganz klar das Klischee eines Schachspielers bedient. Ich sah aus wie ein Vorzeige-Nerd und sie haben absolut verbissene, wenig tolerante Spieler gefunden. Die Spieler haben damals auch gegen die Ausstrahlung geklagt, weil sie nicht für Sat.1, sondern für einen Lokal-Sender unterschrieben hatten. Diese Klischees sieht man auch heute bei „Das Damengambit“– es gibt keine Schachspielerin,
die der Hauptfigur irgendwie ähnelt.
Die Netflix-Serie „Das Damengambit“(The Queen’s Gambit) hat einen Schach-Boom ausgelöst. Sie behandelt die fiktionale Geschichte von Beth Harmon, die sich in den 50er und 60er Jahren vom Waisenhaus in die Weltspitze des männlich dominierten Sports spielt. Dank der weiblichen Hauptfigur interessieren sich auch deutlich mehr Frauen für Schach. Ist die Serie ein Segen für den Sport? PÄHTZ Die Serie ist absolut gut für den Sport, weil Schach viel populärer geworden ist. Die Serie hat nur mit professionellem Turnierschach nichts zu tun. Aber das kann sie auch nicht. Es wäre nicht unterhaltsam, zwei Spieler zu zeigen, die sich nicht anschauen, nichts sagen und einfach nur 30 Minuten denken. Wir schmeißen auch keine Könige um. Aber ich denke, dass dadurch vielleicht mehr Menschen ihren Kindern und vor allem Töchtern Schach beibringen.
Die Hauptfigur der Serie wird von den männlichen Kollegen eher angehimmelt als bekämpft – und das obwohl sie in den 50er und 60er Jahren angesiedelt ist. Entspricht das der Realität?
PÄHTZ So wie das in der Serie dargestellt wurde, ist das heute noch nicht. So respektvoll wird auch keine behandelt. Das ist auch ein Märchen, das nie wahr werden wird. Ich denke, dass sich viele Männer ärgern, wenn sie gegen eine Frau verlieren. Immer noch.
Wird sich vielleicht mal eine Frau wie sie durchsetzen?
PÄHTZ Das glaube ich nicht. Die Statistik spricht dagegen. Wenn wir die gleiche Anzahl von Spielerinnen und Spielern hätten, wäre es vielleicht möglich. Ein Psychologe hat da mal eine Recherche betrieben, der hat es am Ende auf das Testosteron zurückgeführt, warum Männer in allen Bereichen dominieren.
2018 wurden Sie Europameisterin im Schnellschach, 2019 Dritte bei der EM der Frauen. Welche Ziele haben Sie sich noch gesteckt?
PÄHTZ Ich wollte eigentlich mal im klassischen Bereich Europameisterin werden. Um Weltmeisterin zu werden, bin ich schon zu alt. Im Schnell- oder Blitzschach kann ich mir eher vorstellen, dass es mir noch gelingt, weil das Kategorien sind, in denen ich etwas stärker bin.