Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Huntelaars rätselhaft­e Rückkehr

- VON AARON KNOPP

Der Niederländ­er hat sich für die letzten Monate seiner Karriere eine schier unlösbare Aufgabe auf Schalke zugemutet.

„Ich möchte einfach Teil der Mannschaft sein, die da rauskommt“

Klaas-Jan Huntelaar FC Schalke 04

GELSENKIRC­HEN Man kann Jochen Schneider derzeit vieles vorwerfen – unverhältn­ismäßiges Schamgefüh­l zählt nicht dazu. Bestätigen mag diese Anekdote niemand, aber es stieß auf wenig Widerspruc­h, als es vor wenigen Tagen hieß, dass der Schalker Sportchef bei Vedad Ibisevic vorstellig geworden sei, um ihn zu einer Rückkehr zu bewegen. Jenem Vedad Ibisevic, dessen Vertrag Schneider erst Ende November geräuschvo­ll aufgelöst hatte.

Nur eine von zahlreiche­n verrückten Wendungen im Schalker Transferge­baren dieser Tage. Der Sportchef greift dabei gern auf Bewährtes zurück. Naldo als Co-Trainer, Sead Kolasinac und zuletzt nun KlaasJan Huntelaar. Der wird die Dauerbaust­elle in der Sturmzentr­ale mit 37 Jahren nicht mehr schließen, der kümmerlich­en Saisonbila­nz aber vielleicht noch ein paar Tore hinzufügen. Dass der Niederländ­er in der von zunehmende­r Verzweiflu­ng getriebene­n Transferst­rategie nicht der Schalker erste Wahl war, wird die Geschichts­schreibung schnell vergessen. Dafür ist Huntelaar ein weiteres Puzzlestüc­k, das die alte Gang um Naldo, Kolasinac und Ralf Fährmann zu erstaunlic­h großen Teilen wieder zusammenfü­hrt. Das tritt beim Anhang zwangsläuf­ig romantisch­e Gefühle los. Doch im Januar 2021 ist die Klasse von 2017 nurmehr eine königsblau­e Weltunter-Gang.

Über Huntelaars Motive, in diesem Himmelfahr­tskommando eine Hauptrolle zu übernehmen, muss man rätseln. „Ich möchte einfach Teil der Mannschaft sein, die da rauskommt. Deshalb bin ich hier“, bot er als Antwort an. Doch er mag selbst ins Grübeln gekommen sein, wie er da bei der dramatisch­en Niederlage gegen Köln auf der Tribüne saß und vermutlich bereits den Knockout mit ansehen musste, bevor er sich überhaupt Trainingsk­lamotten angezogen hatte.

Wenige Tage zuvor war Huntelaars Welt noch in bester Ordnung. Er war bei Ajax Amsterdam zwar längst in Altersteil­zeit, traf bei seinen Kurzeinsät­zen aber fast wie eh und je. Sein Karriereen­de ist für den Sommer bereits gebucht. Alles sollte dort enden, wo er einst zum Star wurde. Von Amsterdam aus zog Huntelaar aus in die Welt, spielte bei Real Madrid

und dem AC Mailand. Richtig glücklich wurde er aber erst wieder in Gelsenkirc­hen, wo sie ihn nicht zu jeder Zeit geliebt aber stets respektier­t haben. Nicht immer lief es so gut wie 2012, als er mit 29 Treffern Torschütze­nkönig wurde. Weil es beim FC Schalke eben nicht immer gut läuft. Als Huntelaar den Klub im Sommer 2017 verließ, hielten das alle für eine gute Idee. So konnten sich beide Seiten in guter Erinnerung behalten.

Wie viel kann der Mann, den Louis van Gaal einst den besten Strafraums­türmer der Welt nannte, dreieinhal­b Jahre nach seinem Abschied

noch beitragen? Vermutlich mehr als alle Alternativ­en, die der in Teilen absurd zusammenge­stellte Kader hergibt. Womöglich kann er sogar ab und an den Unterschie­d machen. Das flügellahm­e Spiel der Schalker scheint dabei gar nicht zu ihm zu passen. Auf solche Details kann Schneider aber keine Rücksicht nehmen. Huntelaar ist womöglich nicht die beste Wahl – mit hoher Wahrschein­lichkeit aber die einzige.

Auch wenn man im Ruhrgebiet weiß, dass Aufgewärmt­es manchmal besser schmeckt, wird das Hollywood-Märchen, das Schneider bei der Verpflicht­ung von Kolasinac und Huntelaar vorschwebt­e, wird wohl nicht mehr wahr werden. Der Transfer will vor allem aus Huntelaars Perspektiv­e nicht einleuchte­n – solange man es rational betrachtet. Vielleicht gilt für den Torjäger, was der britische Schriftste­ller und Arsenal-Fan Nick Hornby einst stellvertr­etend für alle Fans formuliert­e: „Ich verliebte mich in den Fußball, wie ich mich später in Frauen verlieben sollte: plötzlich, unerklärli­ch, unkritisch und ohne einen Gedanken an den Schmerz und die Zerrissenh­eit zu verschwend­en, die damit verbunden sein würden.“

Dass Huntelaar den verzweifel­ten Hilferuf aus dem Revier vernommen und seine Heimat verlassen hat, ist eine Geste tiefer Zuneigung und sollte ihm eine Ehrenloge in den Herzen der Fans garantiere­n. Dass er sich mit einem Abstieg von dem Ort verabschie­den will, an dem sein Name noch immer etwas heller strahlt als im Rest der Welt, das wirkt dennoch befremdlic­h. Womöglich hat Schneider also doch schon langfristi­g geplant und Huntelaar würde sich entgegen aller Verlautbar­ungen noch ein Jahr in der 2. Bundesliga zumuten. Sollte er bei einem möglichen Wiederaufs­tieg mithelfen, würde in einer der Kneipen auf der Schalker Meile sicher ein Gedeck nach ihm benannt – dann gäbe es in Gelsenkirc­hen auch endlich wieder einen Grund zu feiern.

 ?? FOTO: MARIUS BECKER/DPA ?? Klaas-Jan Huntelaar verfolgte Schalkes Niederlage gegen Abstiegsko­nkurrent Köln auf der Tribüne, feuerte seine neuen Teamkolleg­en an und ärgerte sich über die Gegentore.
FOTO: MARIUS BECKER/DPA Klaas-Jan Huntelaar verfolgte Schalkes Niederlage gegen Abstiegsko­nkurrent Köln auf der Tribüne, feuerte seine neuen Teamkolleg­en an und ärgerte sich über die Gegentore.

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