Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Ein Podcast zum Gedenken
Statt Gedenkveranstaltung: Der Leistungskurs Geschichte des Gymnasiums Aspel hat einen Podcast erarbeitet, der sich mit dem Nationalsozialismus beschäftigt. Auf der Internetseite der Stadt Rees ist er ab heute abrufbar.
REES Die Vereinten Nationen führten im Jahr 2005 den Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust ein. Die Wahl fiel seinerzeit auf den Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau am 27. Januar 1945. In Rees wurde es zuletzt zu einer festen Tradition, dass Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Aspel eine Gedenkveranstaltung im Bürgerhaus oder Pädagogischen Zentrum organisieren.
Weil in Zeiten der Corona-Pandemie keine Zusammenkunft möglich ist, entschied sich der Leistungskurs Geschichte in diesem Jahr erstmals für ein Gedenken im Internet. Die 16 Schülerinnen und Schüler erarbeiteten in Heimarbeit und in Videokonferenzen mit ihrer Lehrerin Anja Brolle einen Podcast, der ab heute auf der Internetseite www.stadtrees.de bereitgestellt wird.
Die erste von vier Gruppen setzte sich mit den Nürnberger Prozessen auseinander. „Ich interessiere mich schon länger für dieses Thema, weil in Nürnberg erstmals Menschen individuell für staatliches Handeln verurteilt wurden“, sagt Schülerin Merle Kreiß, die nach dem Abitur ein Jura-Studium anstrebt.
Ihr Mitschüler Konrad Frücht hat sich speziell mit den Berichten der deutsch-amerikanischen Publizistin Hannah Arendt auseinandergesetzt, die auch über die Nachfolgeprozesse, speziell gegen den früheren SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann, berichtete.
„Zum 75. Jahrestag waren und sind die Nürnberger Prozesse in den Medien sehr präsent“, sagt Geschichtslehrerin Anja Brolle. „Sie bieten den Schülerinnen und Schülern unter dem Aspekt der erstmaligen Verhandlung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit einen roten Faden für den Gesamtbeitrag.“So hat sich eine zweite Gruppe mit Rassismus in der Vergangenheit und Gegenwart. „Wir haben dazu Zeitzeugen befragt, wie der Antisemitismus in Zeiten des Nationalsozialismus in Rees spürbar war, aber auch Jugendliche in unserem Alter, die wegen ihrer Hautfarbe schon rassistisch angefeindet wurden“, erklärt Lucy Mertens die Recherchen.
Eine dritte Gruppe widmet ihren Podcast-Beitrag jenen Opfern, die seltener in den Medien behandelt werden als die jüdischen Gemeinden, zum Beispiel Homosexuelle, sogenannte Asoziale und Menschen mit Behinderung. „Wir haben den lokalen Bezug durch die Klinik in Bedburg-Hau hergestellt, weil auch von dort Patienten verschleppt und in die Konzentrationslager gebracht wurden“, erinnert Jakob Gertzen an ein dunkles Kapitel niederrheinischer Geschichte.
Die vierte Gruppe erforschte das Schicksal der Reeser Familie Wolff. Dabei konnten sie sich vor allem auf Bernd Schäfers Beiträge in den Jahrbüchern des Reeser Geschichtsvereins sowie auf Schäfers weitere Publikationen stützen.
Benjamin Samuel Wolff, geboren 1823 in Rees, gründete 1856 die Futtermittelfabrik B.S. Wolff am Rhein. Die Wolffs waren eine angesehene Familie, doch im schwelenden Nationalsozialismus wurden sie zunehmend ausgestoßen. Paul Wolff, Enkel des Firmengründers, wanderte 1936 mit seiner Familie nach Brasilien aus und überlebte den Holocaust. „Bernd Schäfer und weitere Reeser stehen bis heute in Kontakt mit den Nachfahren“, sagt Schüler Norwin Diesfeld.
Der Leistungskurs legte großen Wert darauf, dass die große weite Weltgeschichte, wann immer möglich, anhand von lokalen Ereignissen erzählt wird: „Das letztlich abstrakte Thema des Holocaust wird fassbar, wenn wir mehr über das Schicksal der jüdischen Familien aus unserer Region wissen“, sagt Merle Kreiß. Diese Geschichten in den Mittelpunkt von Podcast-Beiträgen zu rücken, hält die Schülerin für eine gute Idee: „Wir nutzen moderne Medien, die uns privat schon lang zur Verfügung stehen, die bislang aber kaum eine Rolle im Schulunterricht gespielt haben.“
Auch Konrad Frücht sieht Vorteile im Podcast: „Unsere Beiträge erreichen mehr Zuhörer, als das bei einem Vortragsabend im PZ der Fall wäre. Außerdem stehen sie im Internet länger zur Verfügung.“Konrad Frücht hofft vor allem auf ein junges Publikum: „Aktuell mehrt sich wieder die rechte Hetze in der Gesellschaft. Da ist es sinnvoll, ein mündiger Bürger zu sein, der aus der deutschen Vergangenheit gelernt hat und politische Gefahren erkennt, wenn sie entstehen.“