Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Spaniens Impfvordrängler
Weil einige einflussreiche Persönlichkeiten sich unberechtigterweise impfen ließen, wird nun über Strafen debattiert. Sollen die Beschuldigten zum Beispiel keine zweite Dosis bekommen?
MADRID Regionale Minister, Generäle, Bürgermeister, Stadträte, Ehefrauen von Politikern – die Liste der Impf-Vordrängler im Hotspot-Land Spanien wird immer länger. Und die öffentliche Empörung wächst. Denn eigentlich dürfen in Spanien angesichts der Knappheit des Impfstoffs bisher nur Altenheimbewohner, Krankenschwestern und Pfleger sowie Ärzte geimpft werden. Etliche Impfsünder mussten deswegen bereits ihren Hut nehmen. Der prominenteste Amtsträger, der über diesen Impfskandal stolperte, war bisher der spanische Generalstabschef Miguel Ángel Villarroya. Der 63-jährige Armeekommandeur hatte nicht nur für sich eine Impfdosis abgezweigt, sondern auch für etliche Offiziere seines Generalstabs, die mit ihm im Armeehauptquartier Bürodienst schieben. Im Madrider Militärkrankenhauses Gómez Ulla gingen derweil etliche Ärzte und Pfleger, die an der Corona-Front einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind, zunächst leer aus.
Die Zahl jener, die sich unberechtigt impfen ließen, geht inzwischen in die Hunderte. Allein in der Mittelmeerregion Valencia könnte es bisher annähernd 200 Fälle von Impfvordränglern gegeben haben, schätzte der dortige Ministerpräsident Ximo Puig. Dieses unsolidarische Verhalten könne man nicht durchgehen lassen, wetterte Puig. Damit würde jenen Risikopersonen, welche die Dosis dringend bräuchten, der Impfstoff weggenommen. „Das ist eine ethische Frage.“
Puig schlug eine „exemplarische Strafe“für die schwarzen Schafe vor: Sie sollen vorerst nicht die notwendige zweite Dosis bekommen, die für eine volle Schutzwirkung
eigentlich notwendig ist. So will er mutmaßliche Nachahmer abschrecken. Auch in Spaniens Gesundheitsministerium ist man entsetzt. Der staatliche Chefvirologe und Ministeriumssprecher Fernando Simón hält aber die Idee, den Dränglern die zweite Dosis vorzuenthalten, unter medizinischen Gesichtspunkten für fragwürdig.
Einige der Missetäter baten inzwischen öffentlich um Entschuldigung, wie Mallorcas Bischof Sebastià
Taltavull. Andere versuchten, sich damit herauszureden, dass sie als „Impfbeispiel“dazu beitragen wollten, dass die Bevölkerung mehr Vertrauen entwickle. Beliebt war auch die Ausrede etlicher Amtsträger, dass „eine Dosis übrig gewesen sei, die sonst wegen der begrenzten Haltbarkeit verfallen wäre“.
Generalstabschef Villarroya führte derweil staatstragende Gründe für die heimliche Impfaktion in der militärischen Kommandozentrale an:
Er habe schlicht die Einsatzfähigkeit der militärischen Führung sicherstellen wollen. Spaniens Regierung sah dies anders. Kein Amtsträger dürfe seine Machtposition ausnutzen, um sich in diesem Corona-Drama Privilegien zu verschaffen, hieß es. In einigen Fällen ermittelt inzwischen sogar der Staatsanwalt.
Unterdessen wächst in der Bevölkerung die Unruhe, weil die Virusepidemie in Spanien, wie schon im Frühjahr 2020, erneut völlig außer Kontrolle geraten ist. Die Infektionskurve schießt steil nach oben: Das Land verzeichnet derzeit zusammen mit Portugal die höchste Zahl von Neuansteckungen in ganz Europa. Die wöchentliche Fallhäufigkeit kletterte auf über 550 Fälle pro 100.000 Einwohner – das ist ein Vielfaches höher als in Deutschland, Österreich, Luxemburg oder der Schweiz. Deswegen stufen die europäischen Gesundheitsbehörden Spanien inzwischen als extremes Hochrisikogebiet ein.
Die spanische Hauptstadt Madrid hat angesichts der drastischen Lage jüngst die Gegenmaßnahmen weiter verschärft. So beginnt die nächtliche Ausgangssperre in der Millionenmetropole nun schon eine Stunde früher um 22 Uhr, so wie das in anderen spanischen Regionen schon seit Längerem gilt. An Treffen in Restaurants, die spätestens um 21 Uhr schließen müssen, dürfen zwar künftig nur noch maximal vier Personen teilnehmen, sie müssen jedoch nicht aus demselben Haushalt stammen. Zudem dürfen Gaststätten auch weiter in Innenräumen bedienen. Anders sieht es bei privaten Treffen zu Hause aus. Dorthin darf dann in Madrid niemand mehr Gäste aus anderen Haushalten einladen.