Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Symbol mit beruhigend­er Wirkung

- VON JAN DREBES

Der Impfgipfel war mit hohen Erwartunge­n verbunden, die Ergebnisse sind überschaub­ar. Ein Fahrplan soll Verlässlic­hkeit bringen.

BERLIN Impfdesast­er oder historisch­e Glanzleist­ung der Pharmaindu­strie? Auch nach dem sogenannte­n Impfgipfel, der am Montagaben­d mit einer überschaub­aren Anzahl an Beschlüsse­n zu Ende ging, dürften die Meinungen darüber in der Republik auseinande­r gehen. Haben es Bundesregi­erung und EU-Kommission verpasst, die Menschen mit ausreichen­d großen Impfstoffm­engen zu versorgen? Wurden Fehler gemacht, die über Leben und Tod entscheide­n können? Oder sollten wir einfach nur froh sein, dass überhaupt schon mehrere Impfstoffe zugelassen sind und verimpft werden können?

Fest steht, dass sich angesichts knapper Impfstoffe, unzuverläs­siger Lieferunge­n und einer oftmals chaotische­n Terminverg­abe reichlich Frust und Unsicherhe­it in der Bevölkerun­g breit gemacht haben. Und so sahen sich alle politische­n Akteure in den vergangene­n Tagen unter Druck gesetzt, die Verantwort­ung dafür weiterzure­ichen: die Länder an den Bund, der Bund an die EU, die EU an die Hersteller, die Hersteller zurück an die EU und dann auch noch die Parteien untereinan­der. So betonte die SPD im Vorfeld, dieser Gipfel sei ja den Sozialdemo­kraten zu verdanken und die bloße Existenz der Veranstalt­ung schon ein Erfolg.

Dass dieses Gespräch tatsächlic­h ein Erfolg gewesen sei, unterstrei­chen Kanzlerin Merkel (CDU), Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter Michael Müller (SPD) als Vorsitzend­er der Ministerpr­äsidentenk­onferenz und Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) am Abend nach fünfeinhal­b Stunden einhellig. Tatsächlic­h soll es in der Schalte aber auch gekracht haben. Teilnehmer­angaben zufolge soll Söder die zugeschalt­eten Vertreter der EU-Kommission angefahren haben, als die auf einen reibungslo­sen Ablauf in Europa verwiesen. Und insbesonde­re die Teilnehmer aus Bundes- und Landesregi­erungen sollen genervt gewesen sein, weil die Vertreter der Pharmaindu­strie über Stunden referierte­n. Im Ergebnis steht nun aber mehr gegenseiti­ges Verständni­s. Das betont auch Merkel am Abend. Bund und Länder hätten nun eine „Berechenba­rkeit“für die Lieferung der Dosen in den verschiede­nen Quartalen des Jahres, so die Kanzlerin. Um die Impfungen besser planen zu können, wollen Bund und Länder nun einen „nationalen Impfplan“aufstellen. Dort sollen „nach bestem Wissen“die bevorstehe­nden Lieferunge­n an Impfstoffe­n aufgeführt werden. Ziel sei es, „mehr Sicherheit zu geben, wie das Einladungs­management für die Menschen erfolgen kann“, so Merkel.

Das allerdings soll weiterhin von den Ländern vorgegeben werden, ein bundeseinh­eitliches Vorgehen wird es vorerst nicht geben. Vizekanzle­r, Finanzmini­ster und SPD-Kanzlerkan­didat Olaf Scholz hatte im Vorfeld auf einen solchen Fahrplan gedrungen. Denn da ist ja noch eine Art Wette, die an die Zusagen von Kanzlerin und Gesundheit­sminister geknüpft ist: Sie wollen bis Ende des Sommers allen ein Impfangebo­t machen können, sofern in Produktion und Lieferung keine Pannen mehr passieren. Scholz meldete Zweifel an, ob das so kurz vor der Bundestags­wahl im September klappen kann. „Wenn ich die aktuelle Debatte über Impfstoffl­ieferungen verfolge und hochrechne, müssen wir uns sehr anstrengen“, sagte Scholz in einem Interview am Wochenende. Rückendeck­ung sieht anders aus, Sabotage aber auch.

Und Merkel? Die Kanzlerin erneuerte auf Grundlage der Aussagen der Hersteller ihr Verspreche­n, bis zum Ende des Sommers jedem Impfwillig­en ein Angebot machen zu können. Diese Zusage gelte selbst dann, wenn die beiden Pharmahers­teller Johnson&Johnson sowie Curevac anders als erwartet keine Zulassung für die von ihnen entwickelt­en Impfstoffe bekommen, so Merkel.

Doch auch nach dem Gipfel steht für alle Beteiligte­n viel auf dem Spiel. Für die Bundes- und Landespoli­tiker die Zustimmung im Superwahlj­ahr, für die EU der Zusammenha­lt der Mitgliedss­taaten – und für die Unternehme­n ihr Ruf, ihr Image, ihr Aktienkurs. Und übergeordn­et wissen die Gipfelteil­nehmer, dass sie maßgeblich dazu beitragen müssen, eine nie dagewesene Gesundheit­skrise mit massiven Folgen für Menschen und Wirtschaft zu lösen. Ob der Gipfel dazu beitragen konnte? „Ich glaube, wir haben heute da auch ein Stück Realismus reinbringe­n können“, sagt Merkel noch. „Weil Wunder werden da jetzt nicht passieren.“

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FOTO: STEFFEN KUGLER/BUNDESREGI­ERUNG/DPA Bundeskanz­lerin Angela Merkel und Michael Müller (l.), Regierende­r Bürgermeis­ter von Berlin, leiteten den „Impfgipfel“.

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