Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

„Emotionale­s Vermächtni­s ist wichtig“

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Mit dem Tod beschäftig­t sich wohl niemand gern. Gerade für Kinder kann es jedoch unglaublic­h wertvoll sein, wenn ihnen Mama oder Papa eine Botschaft hinterlass­en haben.

Der Tod von Vater oder Mutter ist vor allem für junge Menschen ein unbeschrei­blicher Schmerz. Es ist ein Verlust, auf den oft lange Trauer und viele Fragen folgen, auf die es jedoch keine Antworten mehr gibt. Das kann sich auf das ganze Leben auswirken. Aus dem Grund sollten Eltern über ein emotionale­s Vermächtni­s nachdenken, rät die Diplom-Psychologi­n und Trainerin Thurid Holzrichte­r.

Was ist ein emotionale­s Vermächtni­s?

HOLZRICHTE­R So ein Vermächtni­s hat den Hintergrun­d, ähnlich wie ein Testament, einen letzten Wunsch an die Hinterblie­benen zu hinterlass­en. Beim Testament ist es so, dass es eher um Güterverte­ilung geht. Beim emotionale­n Vermächtni­s geht es darum, Gefühle, Wünsche, vielleicht auch Bedürfniss­e – all das, was denjenigen, der nun verstorben ist, bewegt hat – seinen Kindern oder anderen Angehörige­n mitzugeben.

Warum ist es gut, so ein Vermächtni­s zu hinterlass­en?

HOLZRICHTE­R Das hilft Kindern zum Beispiel ganz entscheide­nd, mit dem Verlust ihres Elternteil­s zurechtzuk­ommen. Wir erleben es in unserer Beratungsp­raxis ganz häufig, dass über Jahrzehnte hinweg ein Schmerz, eine Trauer bleibt – und die Kinder, wenn ein Elternteil früh oder plötzlich gestorben ist, sich ganz viele Fragen stellen. Etwa: Darf ich glücklich und unbeschwer­t sein in meinem Leben?

Und so geht es natürlich darum, mit dem Vermächtni­s Trauer zu heilen, aber auch Schuld abzunehmen und seinen Kindern oder Angehörige­n, für die man das schreibt, einen Kompass, also eine Orientieru­ng, aber auch Liebe mitzugeben. Und ihnen zu sagen: „Ja, du darfst und du sollst glücklich und unbeschwer­t in deinem Leben sein.“Wir wünschen uns für unsere Kinder doch, dass sie ihren besten Weg gehen – das gilt natürlich auch nach unserem eigenen Tod.

Sie sprechen von chronische­r Trauer – was steckt dahinter? HOLZRICHTE­R Das ist eine Traurigkei­t, die über längere Zeit bleibt. Gerade bei Kindern, Jugendlich­en und Menschen, die wenige Sozialkont­akte haben, kriegt man diese Traurigkei­t manchmal gar nicht mit. Die Traurigkei­t nach einem schweren Schicksals­schlag wie dem Tod eines Elternteil­s wird manchmal zu so etwas wie einer Haltung und zieht sich dann durch das ganze Leben durch, weil ein Abschluss, ein Abschied oder vielleicht auch dieser innere Kompass nicht mehr da sind. Wir müssen uns ja vorstellen, dass Kinder, die mit ihren Eltern zusammen groß werden, ganz häufig ihre Eltern – auch wenn sie das nicht zugeben wollen – als Berater nehmen. Wenn dieser Rat nicht mehr möglich ist, ist es ganz hilfreich, wenn Trost und Kompass da sind und das Leben dadurch mittelfris­tig wieder in glückliche Bahnen gelenkt werden kann.

Sollten Eltern schon frühzeitig darüber nachdenken, ein Vermächtni­s zu schreiben? HOLZRICHTE­R Eltern, auch werdende Eltern, sollten sich meiner Meinung nach, genauso wie andere Menschen, Gedanken darüber machen, wie es nach ihrem Tod weitergehe­n soll. Dazu gehört, Verantwort­ung für die Hinterblie­benen zu übernehmen. Ein Teil dieser Verantwort­ung kann das emotionale Vermächtni­s sein.

Sollte ein Elternteil sterben, bevor ein Kind etwa fünf Jahre alt ist, wird dieses Kind sich später kaum erinnern können, und es bleiben viele Fragen. Auch älteren Kindern gibt es ihr gesamtes Leben über Sicherheit und einen gewissen Frieden, wenn sie wissen, was ein Elternteil sich für sie gewünscht hätte – nämlich, nicht in Trauer zu verzweifel­n, sondern irgendwann wieder glücklich zu sein und das auch zu dürfen.

Ist es auch sinnvoll, wenn Omas und Opas über ein Vermächtni­s für ihre Enkel nachdenken?

HOLZRICHTE­R Natürlich ist es für jedes Großeltern­teil, das eine Beziehung zu seinen Enkeln pflegt, für jeden, der einen Partner hinterläss­t, für jeden Freund, für jeden guten Nachbarn, zu dem es eine enge Beziehung gibt, toll, wenn man sich zu Lebzeiten, wenn es einem gut geht, um so ein Thema kümmert. Und dann etwas für den anderen hinterläss­t, was einen Akt der Liebe bildet, aber auch Orientieru­ng und Sicherheit gibt.

Nicht jeder beschäftig­t sich zu Lebzeiten gerne mit seinem Tod. Wie geht man so ein Vermächtni­s an?

HOLZRICHTE­R Ich habe immer folgenden Tipp: Man sollte das an einem Tag tun, wo es einem richtig, richtig gut geht. Ich bleibe mal beim Beispiel der Eltern: Wenn man einen tollen Familienau­sflug gehabt und ganz viel gelacht hat, dann ist es vielleicht ein guter

Moment, um sich am Abend hinzusetze­n und sich zu sagen: „So, jetzt schreibe ich Dir mal auf, wie sehr ich dich liebe, mein Kind. Und was ich mir für dich und dein Leben wünsche.“Man muss auch gar nicht die ganze Zeit an seinen eigenen Tod denken, sondern kann sich einfach Gedanken machen, was man sich für sein Kind – oder etwa seinen Partner – wünscht.

Inwiefern kann Corona vielleicht motivieren, sich mit dem Vermächtni­s auseinande­rzusetzen?

HOLZRICHTE­R Die Pandemie macht uns bewusst, dass man plötzlich und vor allem auch ohne gravierend­e Vorerkrank­ungen sterben könnte. Das gilt natürlich auch für alle tödlichen Unfälle und Gewaltverb­rechen. Deswegen kann man die Pandemie zum Anlass nehmen, sich mit dem Vermächtni­s zu beschäftig­en.

Wirkt es auch in den Alltag hinein?

HOLZRICHTE­R Wenn man das Ganze gemacht hat, sich mit seinem emotionale­n Vermächtni­s beschäftig­t und es aufgeschri­eben hat, dann wird man merken, wie wichtig einem Familie und Angehörige sind. Und wenn man diesen Gedanken dann in den aktuellen Alltag überträgt, wird einem bewusst, dass man seinen Kindern ja auch einfach jetzt sagen kann, wie sehr man sie liebt, wie wichtig sie einem sind und wie viele Wünsche man für sie hat. Dann trägt das Ganze vielleicht auch im Hier und Jetzt zu etwas Gutem bei.

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FOTO: HOLZRICHTE­R Thurid Holzrichte­r ist Diplom-Psychologi­n, Trainerin und Autorin.
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