Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Wieder eine letzte Chance
Der katholische Reformprozess des Synodalen Wegs geht in eine neue Runde – diesmal ausschließlich digital. Das Thema aber ist geblieben: Welche Struktur muss die Kirche haben, um zukunftsfähig zu sein?
„Die Kirche hat sich weitgehend von der Lebensrealität junger Menschen entfernt“
Gregor Poschun Bundesvorsitzender BDKJ
Ein Gespenst geht um in der katholischen Kirche von Deutschland. Das ist die Rede von der sogenannten letzten Chance. Das aber stimmt nicht. Die Kirche wird auch nach einer vielleicht gescheiterten Reformsynode zweifelsohne noch etliche weitere Chancen haben. Die Frage aber ist, um welche Kirche es sich dann noch handelt.
Seit eineinhalb Jahren ist die katholische Kirche auf ihrem Synodalen Weg, und er ist inhaltlich nicht so ganz anders geworden, als man ihn sich zum Start am ersten Advent 2019 vorgestellt hatte: Aus der großen Synodalversammlung mit 230 Delegierten, die im ehemaligen Frankfurter Dominikanerkloster zusammenkamen, wurden pandemiebedingt alsbald vier über Deutschland verteilte Regionalkonferenzen; heute soll eine weitere Etappe gelingen, ausschließlich online und als digitales Hearing geplant.
Wobei ein „Gelingen“erst einmal nur mit Blick auf technische Fragen eindeutig festzustellen sein dürfte. Dass am Ende auch inhalltich ein Konsens erzielt und ein „sensus ecclesiae“sichtbar ist – ein Glaubenssinn für die Kirche als Ganzes –, wird vorerst eine Illusion bleiben müssen. Zu hart sind die Lager bisher aufeinandergeprallt, zuletzt versöhnlicher zwar, aber letztlich in ihren Positionen unvereinbar. Alles andere wäre eine Überraschung gewesen bei den grundsätzlichen Fragen, die in vier Foren behandelt werden: Wie sollte das priesterliche Leben heute gestaltet werden? Gemeint ist dabei auch der Zölibat. Wie eine gelingende Beziehung – also eine Frage der Sexualmoral? Was ist mit Macht und Gewaltenteilung in der Kirche, und was mit Ämtern für Frauen? Das sind vier theologische Brocken, vier uralte, doch weiterhin ungelöste Fragen und vier Themen, die Polarisierungen besonders gut stimulieren.
Die Kirche hat sich die Themen nicht ausgesucht und nicht einmal den Synodalen Weg. Es waren die Ergebnisse der Missbrauchsstudie von 2018, die das Handeln diktierten: Mehr als 1670 priesterliche Täter und 3677 jugendliche Betroffene sexualisierter Gewalt machten deutlich, dass die Ursachen systemisch sind. Darüber gibt es keine Meinungsverschiedenheit. Wohl aber in der Frage: Was bedeutet das für das System Kirche? Von einer „Ecclesia semper reformanda“, einer sich ständig reformierenden Kirche, spricht auch Papst Franziskus. Doch wie weit geht es? Muss es gehen? Kann es gehen?
Auch die Weltkirche schaut auf das, was deutsche Priester und Laien sich unter Zukunftsund Sprachfähigkeit vorstellen. 20 ausländische Beobachter sind dabei. Und Papst Franziskus hat in seinem Brief ans pilgernde Volk Gottes in Deutschland signalisiert, dass ihm keineswegs gleichgültig ist, was die Katholiken im Ursprungsland der Reformation bereden.
Am Synodalen Weg kommt die Kirche nicht vorbei, aber er ist viel schwerer als gedacht. Die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle gelingt oft nicht. Im Erzbistum Berlin wird eine Studie in Auftrag gegeben mit der Vorgabe, keine Verantwortlichen zu nennen. Und im Erzbistum Köln wird das Missbrauchsgutachten der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl seit fast einem Jahr unter Verschluss gehalten und soll durch ein neues Gutachten ersetzt werden. „Methodische Mängel“werden als Grund genannt; viele befürchten aber, dass pflichtwidriges Verhalten auch verantwortlicher Bischöfe gedeckt werden soll. Inzwischen fordern Politiker, Laienvertreter und Bischöfe von Kardinal Rainer Maria Woelki, das Gutachten umgehend zu publizieren. Auch ein Angebot der Kanzlei, das Gutachten mit eigener Haftung auf ihrer Internetseite öffentlich zu machen, scheiterte am Widerstand Kölns. Gutachter Ulrich Wastl von WSW sprach jetzt in einem Interview mit der „Zeit“von einem „Gewaltangriff“, da es vorab anders besprochen gewesen sei.
Derweil laufen der Kirche die Menschen davon. Termine in den Amtsgerichten sind auf Wochen ausgebucht. Hinzu kommt: Es gibt viele innere Austritte von Menschen, die auf dem Papier noch dazugehören. Diese Distanz zur Kirche nimmt bei jungen Menschen dramatische Formen an. „Es herrscht viel Unverständnis über die Hierarchie und die Machtsysteme, die in der katholischen Kirche noch immer herrschen. Dass Kirche heute noch völlig undemokratisch handeln darf, stößt bei vielen auf völliges Unverständnis“, sagt Gregor Podschun im Gespräch mit unserer Redaktion. Podschun ist Mitglied der Synodalversammlung und Vorsitzender im Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ). Er habe „vollstes Verständnis dafür, wenn junge Menschen nach jahrelangen Problemen resignierten und nicht mehr gegen die mächtigen Kirchenfürsten angehen wollen“. Sein Resümee: „Die katholische Kirche hat sich weitgehend von der Lebensrealität junger Menschen entfernt.“
Mit dem Gespenst geht auch eine Angst in der Kirche um: die vor der Sackgasse. Was wird sein, wenn Bischöfe und vielleicht auch Rom keine Veränderungen zulassen und das nach den Worten Podschuns mit einem gottgewollten System begründen? Es wäre dramatisch, so der BDKJ-Vorsitzende. „Die Bischöfe haben wenig zu verlieren, weil sie ihre Macht erhalten. Die Gläubigen aber, die Veränderungen wollen und suchen, haben alles zu verlieren. Wir müssen eine Kirche schaffen, die verbindliche Formen der Beteiligung zulässt, die allen die gleichen Rechte zugesteht – unabhängig von ihrem Geschlecht und ihrer sexuellen Orientierung.“
Inzwischen gibt es bescheidenere Ansprüche an Reformen: „Ich erträume mir eine Kirche, für die ich mich nicht mehr schämen muss“, schreibt Schülerin Johanna Müller, mit 17 Jahren das jüngste Mitglied der Synodalversammlung.