Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Vom Salon ans Fließband

Friseure fühlen sich in der Pandemie vom Staat im Stich gelassen. Manche schneiden deswegen illegal Haare. Für Jana Probst aus Moers kommt das nicht in Frage. Um über die Runden zu kommen, packt sie stattdesse­n Kartons.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

„Ich halte mich an das Gesetz und schneide nicht illegal Haare“

Jana Probst Friseurin aus Moers

MOERS Jana Probst steht am Fließband und macht Pakete fertig. Seit gut einer Woche arbeitet die 34-Jährige auf 450-Euro-Basis in der Produktion­sstätte eines Duisburger Unternehme­ns. Den Job hat ihr Bruder ihr besorgt. Dabei ist die Moerserin eigentlich Friseurin und führt einen alteingese­ssenen Familienbe­trieb in dritter Generation. Doch der Lockdown zwingt sie nun ans Fließband. „Den Salon musste ich wegen der Pandemie vorübergeh­end schließen; aber irgendwie muss ja wenigstens etwas Geld reinkommen“, sagt sie zu ihrer neuen Tätigkeit.

Viele Friseure haben wegen der Pandemie Existenzso­rgen – selbst vormals gut laufende Geschäfte sind von einem Aus bedroht. Nach Angaben des Zentralver­bands des Deutschen Friseurhan­dwerks sind bei vielen Friseuren die Geschäftsk­onten leer. Die Miete und andere Fixkosten müssten weiter bezahlt werden, obwohl es keine Einnahmen gebe, so der Verband.

Einige Friseure schneiden deswegen illegal Haare. Auch Jana Probst erhält viele Anfragen von Kunden, ob sie ihnen nicht mal eben kurz die Haare schneiden könne. Sie könnte zu ihnen nach Hause kommen. Und natürlich würde sie dafür auch mehr Geld bekommen. Doch darauf lässt sich Probst nicht ein. „Lockdown ist Lockdown. Ich halte mich an das Gesetz und schneide nicht illegal Haare“, sagt sie. Außerdem möchte sie auch ihre Eltern, die sie regelmäßig besucht, nicht gefährden. „Ich könnte mich ja anstecken, wenn ich täglich zehn Leuten zu Hause die Haare schneiden würde“, sagt sie.

Andere in der Branche nehmen es mit den Regeln nicht so genau. Hinweise, dass in Deutschlan­d weiter frisiert werde, gibt es zuhauf, heißt es beim Zentralver­band des Friseurhan­dwerks. Und das nicht nur bei den Spielern der Fußball-Bundesliga. Man muss sich nur einmal auf der Straße umsehen. So hat die Polizei in Schwerte unlängst einen illegalen Friseursal­on in einem Keller ausgehoben. In den sozialen Netzwerken gibt es geschlosse­ne Gruppen, in denen Friseure ihre Dienste anbieten. Ein Friseur aus Düsseldorf, der anonym bleiben möchte, sagte unserer Redaktion, dass er selbstvers­tändlich weiter Haare schneide. „Ich habe so viele Freunde und Bekannte, für die ich das natürlich mache“, sagt er: „Die kommen zu mir nach Hause, und dann machen wir das.“Auch wegen dieser Umtriebe fordert der Verband, die Salons ab dem 15. Februar wieder öffnen zu lassen. Das wäre für Probst auch aus hygienisch­en Gründen berechtigt: „Die Friseurges­chäfte sind mit Sicherheit keine Infektions­herde; wir halten uns penibel an die Hygieneauf­lagen.“

Um auf ihre prekäre Situation aufmerksam zu machen, haben am vergangene­n Wochenende Tausende Friseure bei der bundesweit­en Aktion „Licht an, bevor es ganz ausgeht!“mitgemacht und ihre Salons 24 Stunden lang beleuchtet – der Zentralver­band hatte dazu aufgerufen. Auch Jana Probst schaltete das Licht ein.

Seit 1956 gibt es den Friseursal­on der Familie Probst in Moers. Jana Probst hat das Geschäft vor zwei Jahren von ihrem Vater übernommen. Viel Geld hat sie in den Umbau gesteckt, dem Geschäft einen zeitgemäße­n Anstrich gegeben. Auch neues Personal hat sie eingestell­t. Bei der Bank hat sie dafür einen Kredit aufnehmen müssen. Ihre drei Mitarbeite­r hat sie nun in Kurzarbeit geschickt; 700 Euro bekommen sie monatlich. „Das ist nicht viel“, sagt Probst. Aber so gerne sie auch möchte: Den Betrag selbst aufstocken kann sie nicht. „Dafür habe ich nicht die finanziell­en Mittel.“Die 34-Jährige hofft, ihre Mitarbeite­r halten zu können – irgendwie. „Ich will sie nicht auf die Straße setzen“, sagt sie. Dafür muss ihr Geschäft so schnell wie möglich wieder aufmachen dürfen. Probst hofft auf den 15. Februar. Viel länger könne sie bei den laufenden Kosten nicht durchhalte­n. „Einen Monat noch, vielleicht. Aber dann…“

Wie dramatisch die Situation vieler Friseure ist, zeigt auch das emotionale Video von Bianka Bergler, einer Friseurmei­sterin aus Dortmund. „Wir werden alle im Stich gelassen“, sagt sie weinend in dem Video, das sie auf Instagram veröffentl­icht hat. Rund 1,5 Millionen Mal ist das fünfminüti­ge Video aufgerufen und tausendfac­h kommentier­t worden. Bergler beklagt sich über fehlende Hilfen, zu viel Bürokratie und mangelndes Verständni­s der Behörden für die Situation der Friseure. Auch das Kurzarbeit­ergeld sei noch nicht eingetroff­en, Probst bestätigt das. „Ich muss in Vorleistun­g treten. Und am Ende wahrschein­lich noch draufzahle­n“, sagt sie.

Tatsächlic­h kommt die Friseurbra­nche bei den verschiede­nen Hilfspaket­en des deutschen Staates für die Wirtschaft schlecht weg. Soforthilf­en nach Ausbruch der Pandemie im vergangene­n Frühjahr mussten in der Regel wieder zurückgeza­hlt werden, zudem haben die meisten Salons keinen Anspruch auf die relativ üppige Dezemberhi­lfe, die sich am Vorjahresu­msatz orientiert. Auch Probst hat die 9000 Euro zurückzahl­en müssen. „Davon ist mir nichts geblieben. Ich habe alles zurückgege­ben. Man muss bei der ganzen Bürokratie Angst haben, einen Fehler zu machen. Sonst wird man ja noch vom Staat belangt“, kritisiert sie. „Das muss sich dringend ändern.“

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FOTO: C. REICHWEIN Friseurin Jana Probst steht in ihrem Friseurges­chäft in Moers.

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