Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Vom Salon ans Fließband
Friseure fühlen sich in der Pandemie vom Staat im Stich gelassen. Manche schneiden deswegen illegal Haare. Für Jana Probst aus Moers kommt das nicht in Frage. Um über die Runden zu kommen, packt sie stattdessen Kartons.
„Ich halte mich an das Gesetz und schneide nicht illegal Haare“
Jana Probst Friseurin aus Moers
MOERS Jana Probst steht am Fließband und macht Pakete fertig. Seit gut einer Woche arbeitet die 34-Jährige auf 450-Euro-Basis in der Produktionsstätte eines Duisburger Unternehmens. Den Job hat ihr Bruder ihr besorgt. Dabei ist die Moerserin eigentlich Friseurin und führt einen alteingesessenen Familienbetrieb in dritter Generation. Doch der Lockdown zwingt sie nun ans Fließband. „Den Salon musste ich wegen der Pandemie vorübergehend schließen; aber irgendwie muss ja wenigstens etwas Geld reinkommen“, sagt sie zu ihrer neuen Tätigkeit.
Viele Friseure haben wegen der Pandemie Existenzsorgen – selbst vormals gut laufende Geschäfte sind von einem Aus bedroht. Nach Angaben des Zentralverbands des Deutschen Friseurhandwerks sind bei vielen Friseuren die Geschäftskonten leer. Die Miete und andere Fixkosten müssten weiter bezahlt werden, obwohl es keine Einnahmen gebe, so der Verband.
Einige Friseure schneiden deswegen illegal Haare. Auch Jana Probst erhält viele Anfragen von Kunden, ob sie ihnen nicht mal eben kurz die Haare schneiden könne. Sie könnte zu ihnen nach Hause kommen. Und natürlich würde sie dafür auch mehr Geld bekommen. Doch darauf lässt sich Probst nicht ein. „Lockdown ist Lockdown. Ich halte mich an das Gesetz und schneide nicht illegal Haare“, sagt sie. Außerdem möchte sie auch ihre Eltern, die sie regelmäßig besucht, nicht gefährden. „Ich könnte mich ja anstecken, wenn ich täglich zehn Leuten zu Hause die Haare schneiden würde“, sagt sie.
Andere in der Branche nehmen es mit den Regeln nicht so genau. Hinweise, dass in Deutschland weiter frisiert werde, gibt es zuhauf, heißt es beim Zentralverband des Friseurhandwerks. Und das nicht nur bei den Spielern der Fußball-Bundesliga. Man muss sich nur einmal auf der Straße umsehen. So hat die Polizei in Schwerte unlängst einen illegalen Friseursalon in einem Keller ausgehoben. In den sozialen Netzwerken gibt es geschlossene Gruppen, in denen Friseure ihre Dienste anbieten. Ein Friseur aus Düsseldorf, der anonym bleiben möchte, sagte unserer Redaktion, dass er selbstverständlich weiter Haare schneide. „Ich habe so viele Freunde und Bekannte, für die ich das natürlich mache“, sagt er: „Die kommen zu mir nach Hause, und dann machen wir das.“Auch wegen dieser Umtriebe fordert der Verband, die Salons ab dem 15. Februar wieder öffnen zu lassen. Das wäre für Probst auch aus hygienischen Gründen berechtigt: „Die Friseurgeschäfte sind mit Sicherheit keine Infektionsherde; wir halten uns penibel an die Hygieneauflagen.“
Um auf ihre prekäre Situation aufmerksam zu machen, haben am vergangenen Wochenende Tausende Friseure bei der bundesweiten Aktion „Licht an, bevor es ganz ausgeht!“mitgemacht und ihre Salons 24 Stunden lang beleuchtet – der Zentralverband hatte dazu aufgerufen. Auch Jana Probst schaltete das Licht ein.
Seit 1956 gibt es den Friseursalon der Familie Probst in Moers. Jana Probst hat das Geschäft vor zwei Jahren von ihrem Vater übernommen. Viel Geld hat sie in den Umbau gesteckt, dem Geschäft einen zeitgemäßen Anstrich gegeben. Auch neues Personal hat sie eingestellt. Bei der Bank hat sie dafür einen Kredit aufnehmen müssen. Ihre drei Mitarbeiter hat sie nun in Kurzarbeit geschickt; 700 Euro bekommen sie monatlich. „Das ist nicht viel“, sagt Probst. Aber so gerne sie auch möchte: Den Betrag selbst aufstocken kann sie nicht. „Dafür habe ich nicht die finanziellen Mittel.“Die 34-Jährige hofft, ihre Mitarbeiter halten zu können – irgendwie. „Ich will sie nicht auf die Straße setzen“, sagt sie. Dafür muss ihr Geschäft so schnell wie möglich wieder aufmachen dürfen. Probst hofft auf den 15. Februar. Viel länger könne sie bei den laufenden Kosten nicht durchhalten. „Einen Monat noch, vielleicht. Aber dann…“
Wie dramatisch die Situation vieler Friseure ist, zeigt auch das emotionale Video von Bianka Bergler, einer Friseurmeisterin aus Dortmund. „Wir werden alle im Stich gelassen“, sagt sie weinend in dem Video, das sie auf Instagram veröffentlicht hat. Rund 1,5 Millionen Mal ist das fünfminütige Video aufgerufen und tausendfach kommentiert worden. Bergler beklagt sich über fehlende Hilfen, zu viel Bürokratie und mangelndes Verständnis der Behörden für die Situation der Friseure. Auch das Kurzarbeitergeld sei noch nicht eingetroffen, Probst bestätigt das. „Ich muss in Vorleistung treten. Und am Ende wahrscheinlich noch draufzahlen“, sagt sie.
Tatsächlich kommt die Friseurbranche bei den verschiedenen Hilfspaketen des deutschen Staates für die Wirtschaft schlecht weg. Soforthilfen nach Ausbruch der Pandemie im vergangenen Frühjahr mussten in der Regel wieder zurückgezahlt werden, zudem haben die meisten Salons keinen Anspruch auf die relativ üppige Dezemberhilfe, die sich am Vorjahresumsatz orientiert. Auch Probst hat die 9000 Euro zurückzahlen müssen. „Davon ist mir nichts geblieben. Ich habe alles zurückgegeben. Man muss bei der ganzen Bürokratie Angst haben, einen Fehler zu machen. Sonst wird man ja noch vom Staat belangt“, kritisiert sie. „Das muss sich dringend ändern.“