Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Super Mario soll es richten
Der frühere Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, ist mit der Regierungsbildung in Italien beauftragt worden. Der Weg, der nun vor ihm liegt, ist steiler als zunächst gedacht.
ROM In Italien ist man gerade durchaus stolz. Die Politik befindet sich in ihrer größten Krise seit Jahren, eine Pandemie zwingt das Land und die Welt in die Knie. Aber in Rom hat Staatspräsident Sergio Mattarella nach den gescheiterten Verhandlungen zur Bildung einer Regierung den Bilderbuch-Kandidaten für die Lösung der Krise aus dem Hut gezaubert. Am Mittwoch nahm Mario Draghi das Mandat zur Bildung einer Regierung an. Selten hat der überstrapazierte Kosename „Super Mario“auf den ehemaligen Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) so gut gepasst wie jetzt. Wenn es einer schaffen kann, den außer Kontrolle geratenen parlamentarischen Betrieb in Rom und die Pandemie mit ihren Folgen zu bändigen, dann Draghi, so heißt es allerorten in Rom. Es handele sich bei ihm um die „angesehenste Ressource des Landes“, schrieb der Corriere della Sera.
Wie der Beiname implizieren auch die Vorschusslorbeeren einen unangenehmen Nebeneffekt. Die Messlatte für den als Retter fast schon vergötterten Draghi liegt hoch. Der Ministerpräsident in spe soll die Impfkampagne koordinieren, die Wirtschaft wieder in Schwung bringen, die milliardenschweren EU-Hilfen in die richtigen Bahnen leiten und vor allem die zerstrittene Politik in Rom hinter sich versammeln und einen.
Letzteres dürfte die eigentliche Herkulesaufgabe für den 73-Jährigen werden. Nach seinem Zusammentreffen mit dem Staatspräsidenten am Mittwoch machte Draghi einen aufgeräumten Eindruck, er lächelte sogar charmant, als wolle er signalisieren: Macht euch keine Sorgen, das schaffen wir auch noch! „Wir haben die Möglichkeit, viel für unser Land zu machen“, sagte er.
International bekannt wurde Draghi als Chef der europäischen Notenbank von 2011 bis 2019. Seine Niedrigzinspolitik stieß insbesondere in Deutschland auf Kritik, ebenso seine Maßnahmen gegen die Spekulation der
Finanzmärkte. Der von Draghi initiierte massenhafte Aufkauf von Staatsanleihen gefährdeter Staaten wurde in Berlin kritisiert und in Italien gefeiert. In den Lehrbüchern ist heute vom „Draghi-Effekt“die Rede, dazu zählt auch die Ankündigung, als EZBChef alle notwendigen Schritte zu unternehmen, um den Euro gegen die Spekulation der Märkte zu verteidigen („whatever it takes“). Nun soll der „Draghi-Effekt“in den Untiefen der römischen Politik seine Wirkung entfalten. Ob das gelingt, ist die große Frage. Denn die Stärke des 73-Jährigen ist zugleich seine Achillesferse. Er ist Kenner des Systems
und dessen Ausdruck. Für die Populisten im römischen Parlament ist Draghi ein gefundenes Fressen.
Die italienische Parteienlandschaft zeigte sich nach der Nominierung Draghis desorientiert. Unbedingte Unterstützung sicherten am Mittwoch nur Italia Viva von Ex-Premier Matteo Renzi und andere Kleinparteien zu. Renzi hatte vor zwei Wochen die Regierung Conte zu Fall gebracht und auch Verhandlungen zu einer Neuauflage am Dienstag platzen lassen. Offenbar hatte der 46-Jährige mit der Bildung einer Expertenregierung kalkuliert, um sich so der politischen Konkurrenz Contes zu entledigen und die Allianz zwischen den Sozialdemokraten des Partito Democratico (PD) und der systemkritischen
Fünf-Sterne-Bewegung zu spalten.
Vor allem die vom Komiker Beppe Grillo gegründete Bewegung steht nun vor einer Zerreißprobe. Einige Parteisprecher kündigten an, die Sterne würden eine Regierung Draghi nicht unterstützen. Draghi sei Ausdruck des „Establishments“, protestierte Sterne-Politiker Alessandro Di Battista. In der Bewegung ist diese Linie umstritten. Die Sterne waren Sieger bei der Parlamentswahl 2018 und stellen in Abgeordnetenhaus und Senat mit Abstand die meisten Parlamentarier. Der Chef der zweitstärksten Fraktion, des sozialdemokratischen PD, Nicola Zingaretti, signalisierte Bereitschaft zur Kooperation. „Wir sind bereit, mit unseren Ideen bei dieser Herausforderung mitzuarbeiten“, erklärte er. Fraglich ist nun, wie sich die Parteien des konservativen Spektrums positionieren, die bislang als Allianz auftraten.
Ablehnung signalisierte die antieuropäische Rechtspartei Fratelli d‘Italia von Giorgia Meloni. Von Silvio Berlusconis Forza Italia ist bekannt, dass eine Expertenregierung unter Draghi befürwortet wird, eine klare Stellungnahme gab die Partei zunächst nicht ab. Zögerlich zeigte sich auch die rechtspopulistische Lega von Ex-Innenminister Matteo Salvini. „Das Beste sind Neuwahlen“, sagte Salvini. Die Lega werde an den Sondierungsgesprächen teilnehmen und dann entscheiden. Die Aussichten auf ein rasches Ende der institutionellen Krise sind damit gering.