Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Amazon nach der Ära Bezos
Überraschend tritt Jeff Bezos als operativer Chef des Online-Handelsgiganten ab. Nachfolger auf dieser Position wird sein langjähriger Assistent Andy Jassy. Den Amazon-Gründer selbst zieht es nun zu den Sternen.
SEATTLE/DÜSSELDORF Führungswechsel beim größten Onlinehändler der Welt: Jeff Bezos (57), der vor 27 Jahren Amazon gegründet hat, wird im dritten Quartal 2021 den Vorstandsvorsitz abgeben. Nachfolger wird sein langjähriger Vertrauter Andi Jassy (53), der bisher die Sparte für Cloud Computing leitet. Dies kündigte der Konzern bei der Bekanntgabe der erneut exzellenten Quartalszahlen am Mittwoch an.
Bezos hat allerdings nicht vor, sich auf das Altenteil zurückzuziehen: Als wichtigster Aktionär des Konzerns wird er weiterhin den Verwaltungsrat führen. In dieser Funktion wolle er „neue Produkte und Initiativen“vorantreiben, erklärte er in einem Brief an die Mitarbeiter. Nachdem Amazon es also geschafft hat, den globalen Onlinehändler aufzubauen, führend mit dem Sprachassistenten Alexa zu werden und mit Amazon Prime einen der erfolgreichsten Dienste für Filme und Musik zu etablieren, könnte der kühle Denker weitere Innovationen vorantreiben, statt sich um das Tagesgeschäft kümmern zu müssen.
Schon bisher war der Erfolg enorm: Amazon ist nach Apple das zweite Unternehmen der Welt, das einen Börsenwert von mehr als 1000 Milliarden Euro erreicht hat und mittlerweile sogar auf eine schwindelerregende Marktkapitalisierung von 1,4 Billionen Euro kommt. Amazons Marktanteil am Onlinehandel liegt in vielen großen Ländern inklusive Deutschland bei mehr als 50 Prozent, der Jahresumsatz 2020 erreichte 387 Milliarden Dollar, wobei ein Gewinn von 21 Milliarden Dollar hereinkam. Allein im vierten Quartal gelang auch wegen des Booms während der Corona-Krise ein Umsatzplus von 44 Prozent auf 125,6 Milliarden Dollar. Die Belegschaft wuchs 2020 um 500.000 auf 1,3 Millionen Menschen. „Amazon ist in jeder Hinsicht ein Ausnahmekonzern“, sagt der Unternehmensberater Holger Neinhaus von der Düsseldorfer SMP AG, „insbesondere der Perfektionismus und die Entschlossenheit beim Vorantreiben neuer Ideen ist ungewöhnlich.“
Den Rücktritt als Chef will Bezos nutzen, um mehr Zeit in Projekte außerhalb des Unternehmens zu investieren. „Ich hatte noch nie mehr Energie. Es geht hier nicht darum, in Rente zu gehen“, schreibt er. So will er sein Raumfahrtunternehmen Blue Origin vorantreiben, das er schon im Jahr 2000 neben Amazon gegründet hat und bei dem 1500 Mitarbeiter gemeinsam mit der Nasa eine Mondlandung planen. Eine Mission zum Mars hält er dagegen im Gegensatz zu Tesla-Gründer Elon Musk für unrealistisch. Dieser hatte ihn jüngst in der Forbes-Rangliste als reichster Mann der Welt abgelöst, wo Bezos mit 197 Milliarden Dollar „nur“noch auf Platz zwei hinter Musk (208 Milliarden Dollar) liegt.
Bezos möchte sich nun auch um seine Stiftungen kümmern, zu denen der Earth Fund gehört, mit dem er zehn Milliarden Dollar in den Kampf gegen den Klimawandel stecken will. Er hat mit seiner früheren Ehefrau MacKenzie Scott, mit der er vier Kinder hat, den Day One Fund aufgebaut, der obdachlosen Familien helfen soll. Seine ExFrau hatte von ihrem 60 Milliarden Dollar hohen Vermögen, das ihr seit der Scheidung zusteht, auch einige Hundert Millionen Dollar an linksliberale Organisationen in Opposition zum damaligen US-Präsidenten Donald Trump verteilt. Auch Bezos engagiert sich auf der progressiven Seite der USA: Er hat die Hauptstadtzeitung „Washington Post“gekauft und ihr den Rücken gestärkt, als die Redaktion wegen ihrer kritischen Berichte immer wieder von Trump angegriffen wurde. „Ich spüre große Leidenschaft, wenn ich daran denke, welche Bedeutung diese Organisationen noch haben werden“, schreibt Bezos jetzt.
Der neue Chef Andy Jassy galt schon lange als Kronprinz von Bezos. Der Harvard-Absolvent kam bereits 1997 zu Amazon. Er arbeitete viele Jahre als Assistent von Bezos und begleitete ihn bei allen Terminen und Reisen. Und nachdem Amazon immer mehr Erfahrung dabei gewonnen hatte, große Serverfarmen für den eigenen Bedarf zu managen, baute Jassy Amazon Web Services (AWS) zum wichtigsten Anbieter von Cloud-Dienstleistungen in der Welt auf. „Die können digitale Dienste exzellent managen“, sagt dazu Achim Berg, Präsident des Branchenverbandes Bitkom.
Der Erfolg: AWS fuhr vergangenes Jahr 45 Miliarden Dollar an Umsatz ein, die Gewinnmarge lag bei einem Drittel. Nicht nur die Webservices sollen weiter ausgebaut werden. Um klassische Händler besser angreifen zu können, betreibt Amazon in den USA mit Whole Foods eine Supermarktkette. Der Konzern hat mittlerweile ein eigenes Verteilsystem mit einer halben Million Fahrern aufgebaut, der Post in Deutschland werden in Großstädten systematisch die Aufträge entzogen, um immer mehr Waren selbst zuzustellen.
Amazon ist auch einer der wenigen Konzerne, deren Wachstum so groß ist, dass er künftig zwei Hauptquartiere haben wird. In Seattle an der US-Westküste dominiert das Unternehmen bereits ganze Stadtteile, nun wird in der Nähe der US-Hauptstadt Washington an der Ostküste eine zweite Zentrale aufgebaut.
Die Nähe zur Politik hat Amazon allerdings überall nötig: Die neue US-Regierung, die Europäische Kommission, aber auch das Bundeskartellamt in Deutschland wollen sich der Marktmacht des amerikanischen Giganten stärker entgegenstellen. In Deutschland wurde Amazon bereits vom Kartellamt verboten, kleinen Händlern zu strikte Vorgaben zu machen, wenn diese über die Internetseite von Amazon ihre Produkte verkaufen.