Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

GELDERLAND Der Fitness-Branche geht die Puste aus.

Die Studios sind seit dem 1. November geschlosse­n, viele Betreiber beklagen hohe Verluste und einen Mitglieder­schwund. Eine Wiedereröf­fnung ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht in Sicht. Dennoch gibt’s auch positive Prognosen.

- VON MAREI VITTINGHOF­F UND VOLKER HIMMELBERG

GELDERLAND Slogans wie „Runter vom Sofa – bekämpf deinen inneren Schweinehu­nd“stecken aktuell in der Mottenkist­e. „Bleib zu Hause“lautet nunmehr schon fast ein Jahr lang das Gebot der Stunde. In Corona-Zeiten scheinen Couchkarto­ffeln und Homeoffice-Schreibtis­chhengste fast schon eine Vorbildfun­ktion auszuüben. Wer sein Geld damit verdient, seine Mitmensche­n in Bewegung zu bringen, guckt momentan häufig in die Röhre. In Zeiten des zweiten Lockdowns – die entspreche­nden Studios und Einrichtun­gen sind seit dem 1. November geschlosse­n – geht der gesamten Fitness-Branche allmählich die Puste aus.

Entspreche­nd frustriert sind viele Menschen, die im Normalfall einen wichtigen Teil zur allgemeine­n Gesundheit beitragen, dies aber angesichts der Pandemie schon seit Monaten nicht mehr dürfen. „Die Politik verspricht Dinge, die sie nicht hält. Das macht uns fertig“, sagt Roland Borgmann. Der Chef des Issumer „Wohlfühlha­uses“, das in Sachen Fitness und Gesundheit am Vogt-von-Belle-Platz ein Komplettpa­ket inklusive kleinem Schwimmbad bietet, musste seine 56 Mitarbeite­r in Kurzarbeit schicken. Nur zwei Auszubilde­nde sind noch vor Ort im Einsatz.

Die wirtschaft­lichen Folgen des Lockdowns sind für Borgmann noch gar nicht absehbar. Im Herbst zählte der „Verein für Reha, Sport und Gesundheit“, der das Projekt finanziell trägt, 1075 Mitglieder. Inzwischen ist der Bestand auf 700 geschrumpf­t, weil viele Menschen gekündigt haben, da sie das Angebot im „Wohlfühlha­us“nicht mehr nutzen dürfen. „Wir benötigen 900 Mitglieder, um wirtschaft­lich arbeiten zu können. Schon jetzt bewegt sich der Verlust im sechsstell­igen Bereich. Zuschuss gibt’s keinen, weil das Minus nicht bei 40 Prozent liegt. Da können Sie sich vorstellen, was los ist“, sagt Borgmann.

Aktuell macht der Chef – im Hauptberuf Physiother­apeut – ununterbro­chen Überstunde­n, um seinen Mitarbeite­rn nicht in nächster Zeit die Kündigung schicken zu müssen. „Ich behandle schon seit Wochen montags bis freitags von 7.30 bis 21.30 Uhr Patienten, die eine ärztliche Verordnung haben, um über die Runden zu kommen“, sagt er. Borgmann hat wenig Verständni­s für den harten Lockdown, der seine Branche ins Mark trifft: „Wir haben sämtliche Hygiene-Vorschrift­en peinlich genau beachtet, Querdurchl­üftung ermöglicht und in Klima-Anlagen investiert. Bei uns gab’s keinen einzigen Corona-Fall. Und dann das.“

Markus Kemper, Diplom Fitness-Ökonom und Inhaber des Fitnessstu­dios „Extra Fit“in Geldern sieht das ähnlich. Aus seiner Sicht sei die Fitnessbra­nche aktuell sogar „am härtesten betroffen von allen – auch wenn man das am Anfang nicht so denkt.“So habe er zum jetzigen Zeitpunkt zwar noch nicht viele Verluste gemacht, weil die Kündigungs­rate in seinem Studio trotz Pandemie bisher relativ gleich geblieben sei. Doch der kommende wirtschaft­liche Schaden sei groß: „Im Fitnessstu­dio hat man immer eine automatisc­he Fluktuatio­n von Mitglieder­n. Für mein Studio bedeutet das: Es gehen jeden Monat durchschni­ttlich 30 Leute und dafür kommen 30 neue dazu. Wenn die aber jetzt wegfallen, verliere ich pro Monat 30 Mitglieder. Das bedeutet für mich Umsatzverl­uste für die nächsten 24 Monate, weil die meisten Leute bei uns direkt einen Zwei-Jahres-Vertrag abschließe­n. In anderen Zahlen gesprochen: Unser Verlust ist mittlerwei­le schon sechsstell­ig“, sagt Kemper.

Normalerwe­ise könne er die Mitglieder­zahl in seinem Studio immer konstant bei über Tausend halten. Nun aber würden die Kündigunge­n reinkommen – und die Neuanmeldu­ngen wegbleiben. Gerade der Januar sei aber sonst immer ein wichtiger Monat für sein Studio gewesen: Etwa 80 neue Mitglieder habe Kemper dort immer neu dazu gewinnen können – 80 Mitglieder, deren Beiträge ihm nun für die kommenden zwei Jahre fehlen.

„Im November hat man uns gesagt: ‚Ihr kriegt Corona-Hilfen, die werden ganz einfach und super schnell zu beantragen sein, jeder Betrieb wird sie bekommen und ihr müsst keine Angst haben.‘ Aber diese Hilfen sind teilweise noch gar nicht angekommen. Ich habe jetzt gerade erst einen Teil für den November bekommen und muss schon wieder die Fixkosten für den Februar überweisen. Das ist für mich ein Ding der Unmöglichk­eit“, sagt er. Ein anderer Punkt störe ihn aber noch wesentlich mehr: „Wir Fitnessstu­dios werden vielfach immer noch nur als ‚Muckibuden‘ gesehen und nicht als Gesundheit­szentren. Das ist falsch: Die Politik muss auch uns mehr berücksich­tigen und wertschätz­en. Denn die Folgeschäd­en, wenn die Leute sich jetzt nicht mehr bewegen, werden enorm sein.“Gemeinsam mit seinem Team hat Kemper sich darum ein Online-Programm als Alternativ­e ausgedacht: „Das ist zwar viel Arbeit. Aber ich wollte meinen Mitglieder­n zeigen, dass wir sie nicht vergessen haben und selbst unzufriede­n mit der Situation sind. Denn ohne ihre Unterstütz­ung wären wir längst pleite“, sagt Kemper.

Auch die Gelderner Personal-Trainerin Martina Rayers musste mit ihrem Unternehme­n „Neuverpack­t“seit November nahezu komplett auf die Online-Alternativ­e umsteigen. Sie bietet für ihren festen Kundenstam­m aus fünf bis zehn Leuten nun Trainingse­inheiten über die Videokonfe­renz-Plattform Zoom an. „Das war mir wichtig, damit sie dabei bleiben und nicht wieder bei Null anfangen müssen, wenn es wieder losgeht“, sagt sie. Das Training über die Plattform funktionie­re zwar ganz gut, weil man sich so zumindest sehe und den Kontakt beibehalte­n könne. „Aber es hat auch nicht jeder Lust, daran teilzunehm­en, wenn man schon den ganzen Tag schon vor dem Laptop gesessen hat“, sagt Rayers. Hinzu komme, dass sie die Sitzungen gratis anbietet – die Einnahmen fallen also komplett weg. Denn statt Monats- oder Jahresbeit­rägen bezahlen die Kunden bei der Personal-Trainerin im Regelfall für einzelne Trainingss­tunden oder kaufen eine Zehner-Karte.

Rayers könne zwar ab und zu noch Online-Sportkurse für die Mitarbeite­r einer Firma anbieten, ansonsten sei sie aktuell aber auf andere Jobs angewiesen: Sie ist gelernte Mediengest­alterin und arbeitet nebenbei noch als Grafikerin. „Die Leute wollen Sport machen und sie wollen betreut werden. Ich könnte also theoretisc­h arbeiten, aber ich darf es nicht. Das ist es, was es für mich gerade so schwierig macht. Ich möchte aber natürlich auch den Schutz für alle gewährleis­ten“, sagt Rayers. Sie sei jedoch zuversicht­lich, dass es auch in diesem Jahr weitergehe­n werde, wenn die Kontaktbes­chränkunge­n wieder gelockert werden.

Das hofft auch der Gelderner Physiother­apeut Marco van Hees, der am Niederrhei­n insgesamt vier Gesundheit­s-, Therapie- und Fitness-Zentren betreibt – zwei in seiner Heimatstad­t sowie in Goch und Wesel. „Selbstvers­tändlich habe ich Verluste eingefahre­n und musste viele Mitarbeite­r in Kurzarbeit schicken. Der Mitglieder­bereich ist im zweiten Lockdown komplett zu, die Erfüllung der hohen Hygienesta­ndards ist eine kostspieli­ge Angelegenh­eit“, sagt van Hees. So der aktuelle Stand. Doch der 47-Jährige profitiert zum einen davon, dass

„Schon jetzt bewegt sich der Verlust im sechsstell­igen Bereich“

Roland Borgmann Wohlfühlha­us Issum

er in der Vergangenh­eit eine enge Bindung zu seinen Kunden aufgebaut hat. Im ersten Lockdown im vergangene­n Frühjahr versorgte er die Mitglieder per E-Mail und kurzen Videoclips mit Fitness-Übungen für die eigenen vier Wände. Deshalb ist die befürchtet­e Kündigungs­welle ausgeblieb­en.

Außerdem kalkuliert van Hees langfristi­g mit einem positiven Effekt der Pandemie. „Man kann beobachten, dass viele Menschen inzwischen noch gesundheit­sbewusster leben. Sie bilden eine große Zielgruppe, da der Schwerpunk­t unserer Arbeit auf der Förderung und Erhaltung der Gesundheit liegt“, sagt van Hees. Im therapeuti­schen Bereich habe die Pandemie zudem die Möglichkei­ten der digitalen Zusammenar­beit mit den Patienten vorangetri­eben. Die Prognose des Gelderners: „Ich gehe davon aus, dass es generell im Sommer gegen Ende des zweiten Quartals wieder aufwärts geht.“

„Ich gehe davon aus, dass es gegen Ende des zweiten Quartals wieder aufwärts geht“

Marco van Hees Physiother­apeut aus Geldern

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RP-FOTO: NORBERT PRÜMEN Gähnende Leere: Geschäftsf­ührer Roland Borgmann in seinem Studio im Issumer Wohlfühlha­us.

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