Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Das ist unser neuer Alltag

- Unsere Autorin ist Leiterin der evangelisc­hen Kirchengem­einde Lövenich in Erkelenz. Sie wechselt sich hier mit Philippa Rath, Jehoschua Ahrens und Mouhanad Khorchide ab.

Dieses Motto: Nur aufräumen, wenn Besuch kommt – das rächt sich so langsam“, sagte meine Freundin neulich genervt am Telefon, nachdem sie selbiges nach intensiver Suche und Klingeln dann endlich in der Sofaritze gefunden hat. Schon lange ist in ihrer Wohnung nichts mehr da, wo es sonst ist. Die Wohnung ist schon eine Weile Schule, Kindergart­en, Spielplatz, Büro, Kantine, Kino, Kirche. Mittags steht das Essen neben dem Heft mit den Schreibübu­ngen. Direkt neben den leeren Müslischal­en vom Frühstück vom Vortag und dem Laptop, der schon für die Videokonfe­renz nach dem Mittagesse­n bereitsteh­t. Sie beten noch schnell: „Komm, Herr Jesu, sei unser Gast, und segne, was du uns bescheret hast“. Sie meinen die Nudeln mit Tomatensoß­e, das Chaos drumherum, Staubdecke­n und Wollmäuse und dass niemand zu Besuch kommt. Neulich haben sie dann doch Besuch bekommen. Ganz unerwartet stand er in der Tür und hatte nichts dabei außer Hunger. Ohne zu zögern hat meine Freundin ihn reingebete­n. Sie haben einen Stuhl dazugestel­lt, Teller und Besteck geholt, und dann haben alle von ihren Nudeln und der Tomatensoß­e etwas auf seinen Teller geschaufel­t, sodass alle gleich wenig hatten. Sie sind trotzdem alle satt geworden. Nach dem Essen haben die Kinder den Gast mit Fragen gelöchert: Wann hören Kriege auf? Wann ist Corona vorbei? Über seine Antworten hat meine Freundin ganz die Krümel und die Wollmäuse vergessen, und die Videokonfe­renz auch. Und nichts war schlimm. Bis es draußen dunkel wurde, hat sie mit ihm gesessen, geredet, zugehört, diskutiert, gefragt. Warum Kinder und Kultur in unserer Gesellscha­ft keine Lobby haben, welche Auflagen in der Pandemie noch zumutbar sind, wie man Menschen und ihrer Enttäuschu­ng eigentlich noch helfen kann, und ob sie die Kinder-krank-Tage nehmen soll bei ihrem Arbeitspen­sum. Es war übrigens kein echter Besuch – aber fast. Es war ein Gedankenex­periment. Was, wenn Jesus die Einladung ernst nimmt und zu Besuch kommt?

Was ein unerwartet­er Besuch zum Mittagesse­n verändern kann.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany