Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Wettlauf zwischen Virus und Industrie
DÜSSELDORF Der Impfstoff von Astrazeneca war einmal ein großer Hoffnungsträger: AZD 1222 sollte früher zugelassen werden als alle anderen und wegen der einfachen Handhabung der Impfstoff für die Massen werden. Die Euphorie ist gewichen. In Deutschland stellt die Impfverordnung seit Montag klar: Astrazeneca wird nur an Erwachsene unter 65 Jahre verimpft. In der Schweiz ist der Impfstoff gar nicht zugelassen. Und in Südafrika wurden die Impfungen nun gestoppt: Das Land reagierte damit auf eine Studie der Universitäten Oxford und Witwatersrand. Danach bietet das Vakzin bei der südafrikanischen Coronavirus-Variante
B.1.351 nur „minimalen“Schutz vor milden Infektionen, teilten die Universitäten mit.
Auch Geimpfte können sich also infizieren. „Diese Studie bestätigt, dass das Coronavirus wie vermutet Wege findet, sich in geimpften Bevölkerungsgruppen auszubreiten“, sagte Andrew Pollard, Forscher der Uni Oxford, die den Impfstoff mit Astrazeneca entwickelt hat.
Die Ergebnisse werden auch in NRW verfolgt. In der ersten Märzwoche erwartet das Land 600.000 Dosen des britischen Herstellers, die wegen der Altersbeschränkung vorrangig an medizinisches Personal gehen sollen.
Was taugt nun AZD 1222? Es kommt darauf an, welche Virusvarianten in einem Land vorherrschen. Die Zulassungsstudien wurden 2020 in Großbritannien und Brasilien durchgeführt. Gegen die damals auftretenden Coronaviren wies der Impfstoff je nach Dosierung eine Wirksamkeit zwischen 62 und 90 Prozent auf. Die Wirksamkeit bezog sich auf die Verhinderung der Erkrankung an sich und die Verhinderung schwerer Verläufe.
In Großbritannien hat sich mittlerweile die Variante B.1.1.7 ausgebreitet. Auch gegen diese soll laut britischer Regierung der Astrazeneca-Impfstoff wirksam sein. Die Südafrika-Variante ist dort bislang
Da die Wirksamkeit des Impfstoffs von Astrazeneca gegen die südafrikanische Variante angezweifelt wird, stoppt das Land nun seinen Einsatz. Auch Deutschland hat maßgeblich auf AZD 1222 gesetzt.
kaum verbreitet, was erklärt, warum die Briten das Vakzin von Astrazeneca weiter für einen erfolgreichen Kandidaten halten. Doch wenn die Südafrika-Variante sich ausbreitet, bekommt das Königreich ein Problem.
Grundsätzlich sind Impfstoffe aber flexibel: Sie lösen die Bildung von Antikörpern aus, die auf bestimmte Teile der Viren (Antigen) reagieren. Zum Problem werden Mutationen für die Impfung erst dann, wenn sie sich zu stark vom Ursprungsvirus unterscheiden. Dann können die Antikörper, deren Bildung durch den Impfstoff angeregt wird, nicht mehr an den Viren andocken. Und dies könnte bei B.1.351 der Fall sein.
Besser sieht es bei Biontech aus. Der Impfstoff schützt offenbar sowohl vor den in Großbritannien als auch in Südafrika entdeckten Varianten. Das jedenfalls geht aus einer Studie des Herstellers Pfizer hervor, der mit Biontech kooperiert. Allerdings steht die Begutachtung durch externe Wissenschaftler noch aus. Schon im Dezember hatte sich Biontech-Chef Ugur Sahin zuversichtlich gezeigt: Man habe den Impfstoff bereits gegen 20 Virusvarianten getestet, und stets habe er eine Immunantwort ausgelöst, die die Viren inaktiviere. Die Wirksamkeit von Biontech liegt laut Zulassungsstudien bei 95 Prozent. Aber auch das bedeutet keinen Vollschutz: Zum einen wurde die Zulassungsstudie durchgeführt, als die südafrikanische Variante noch keine Rolle spielte. Zum anderen sind 95 Prozent nicht 100 Prozent. Bei einer Million Geimpften können sich auch dann noch 50.000 infizieren. Das erklärt auch, warum es in deutschen Heimen trotz zweifacher Impfung zu Todesfällen kam.
Doch selbst bei starken Mutationen gibt es Hoffnung, denn Impfstoffe lassen sich verändern. Der Grippeimpfstoff etwa wird Jahr für Jahr modifiziert. Biontech jedenfalls ist zuversichtlich, sein Mittel bei künftigen Varianten anzupassen, falls der aktuelle Impfstoff nicht wirkt.
Die Frage ist, wie schnell Astrazeneca reagieren kann. Sein Vakzin ist ein Vektorimpfstoff, der auf einem Erkältungsvirus von Affen basiert, auf das der Mensch Antikörper bildet. Warten bis Herbst wäre keine gute Perspektive. Biontech und Moderna setzen dagegen auf die Botenstoffe mRNA, bei denen der Körper erst mal selbst die Antigene produziert. Der Impfstoff könne prinzipiell schnell an neue Varianten angepasst werden, sagte Sahin im Dezember.
Aber auch bei Vektorimpfstoffen ist man zuversichtlich. Oxford-Forscher Pollard verwies jedoch auf „ermutigende Ergebnisse“anderer Studien aus Südafrika, in denen ein Vektorimpfstoff verwendet wurde und bei dem schwere Krankheitsverläufe verhindert werden könnten. Johnson&Johnson etwa setzt ebenfalls auf einen Vektorimpfstoff und arbeitet derzeit an der Zulassung in Europa. Am Ende ist es ein Wettrennen gegen die Zeit: Wer ist schneller – das Virus mit der Entwicklung neuer Mutationen oder die Impfstoff-Hersteller mit der Veränderung ihrer Vakzine?