Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Tui hofft auf Buchungsplus nach Impfung
Der Quartalsverlust beträgt 700 Millionen Euro. Das Geld reicht nicht mehr lange, aber Chef Fritz Joussen zeigt Zuversicht.
HANNOVER/DÜSSELDORF Obwohl praktisch ganz Europa derzeit durch Lockdowns gelähmt ist, hofft der Reisekonzern Tui auf eine weitgehende Erholung seines Geschäfts bis Juli/August, also bis zu den wichtigsten Ferienmonaten. Das sagte Tui-Chef Fritz Joussen bei der Vorstellung der Quartalszahlen am Dienstag. „Die Urlaubsländer sind hungrig, unsere Gäste zu empfangen“, sagte der Manager. „Ich sehe keinen Grund, warum die Sommersaison ausfallen sollte.“
Bestätigt sieht er sich in seinem Optimismus durch die deutlich steigenden Buchungszahlen in Großbritannien. Dort seien bereits mehr als zehn Millionen Menschen immunisiert worden, nun hätten im Januar die Reservierungen um 70 Prozent gegenüber dem Dezember 2020 angezogen. Er rechne damit, dass im Sommer immer mehr Länder Europas ihre Grenzen für Menschen mit einer Impfung oder gegen Vorlage eines negativen Testergebnisses öffnen, damit Urlauber einreisen können. „Die Leute warten auf ihren Koffern und schauen, wo zuerst geöffnet wird.“
Joussen hält es für folgerichtig, dass die meisten Länder die Zeit der Lockdowns und der Reisebeschränkungen bald überwinden werden. Einzige Rechtfertigung für die harte Anti-Corona-Politik sei, dass die Politik eine Überlastung der Gesundheitssysteme und entsprechend hohe Todeszahlen vermeiden wolle. Da aber alle Staaten die gefährdeten Gruppen wie Menschen über 70 Jahren und danach Menschen über 60 Jahren als Erste impfen, seien die aktuellen Restriktionen
nicht dauerhaft haltbar. An dieser Prognose ändere auch die Existenz der neuen Corona-Mutationen nichts: „Je schneller wir impfen, umso besser für die Wirtschaft und die Menschen.“
Er wies darauf hin, dass in Großbritannien Ende Mai alle 50-Jährigen geimpft sein sollen. In dem Land nehme parallel zum Fortschritt der Impfkampagne die Zahl der Reservierungen deutlich zu. Unter den klassischen Urlaubsländern würden Griechenland und Spanien bei den Buchungen besonders hoch im Kurs liegen. Insgesamt verkaufte Europas größter Tourismuskonzern nach eigener Angabe bereits 2,8 Millionen
Reisen für den Sommer, etwas mehr als die Hälfte des Volumens vor zwei Jahren. Deutschland, der mit Abstand wichtigste Markt, ist mit gut einer halben Million Buchungen noch abgeschlagen.
Der Bedarf ist da – genau wie das Budget: Im Schnitt würden die Kunden aktuell 20 Prozent mehr für eine Reise ausgeben als früher, sagte Joussen. Er führt dies auf hohe Ersparnisse wegen der Corona-Krise zurück. Außerdem hätten die Bürger Nachholbedarf: „Darum werden häufiger Fünf-Sterne-Hotels statt Vier-Sterne-Häuser genommen“, so der Vater von vier Kindern, der privat Urlaub in Ferienclubs schätzt.
Für Deutschland wie für viele andere Länder geht der Tourismusbeauftragte der Bundesregierung, Thomas Bareiß, von mehr Reisefreiheit in einigen Monaten aus. „Ich glaube, dass im Sommer schon ein Boom entstehen wird“, sagte er kürzlich in einem Interview. Impfungen und Schnelltests vor Abreise würden die Reiselust steigern.
Bis zum Sommer stehen Tui aber noch harte Zeiten bevor. Mit zwei Rettungspaketen in Höhe von 4,3 Milliarden Euro griff die Bundesregierung dem Hannoveraner Konzern bisher unter die Arme; die aktuelle Liquidität liegt nur bei 2,1 Milliarden Euro. Sie soll reichen, bis zum Sommer, so Joussen. Sonst droht Zahlungsunfähigkeit oder die komplette Verstaatlichung. Einen Teil der Staatshilfen könnte die Bundesregierung sowieso in Aktien umtauschen, der Staat werde künftig zwei Aufsichtsräte von Tui stellen, bestätigte Joussen.
Momentan sind die Zahlen verheerend. Der Umsatz im Schlussquartal 2020 lag bei nur 468 Millionen Euro, im Vergleich zu 3,9 Milliarden Euro im Vorjahreszeitraum. Der Verlust lag bei 699 Millionen Euro. Weil viele Saisonkräfte gehen mussten, lag die Mitarbeiterzahl mit 37.000 um ein Drittel niedriger als noch vor einem Jahr.