Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
WEEZE Parookaville setzt auf den Rettungsschirm.
Der Bürgermeister stellt sich etwas anderen Fragen abseits des täglichen Geschäfts zu Familie, Supermärkten oder einem besonderen Ex-FDP-Ratsherrn.
KEVELAER Im Wahlkampf war Bürgermeister Dominik Pichler ermüdet von den immer gleichen Fragen, wie er meinte. Grund genug, dem Verwaltungs-Chef zehn Fragen zu stellen, die es im Wahlkampf noch nicht gab.
Worüber haben Sie zuletzt in einer Sitzung den Kopf schütteln müssen?
DOMINIK PICHLER Das ist schon eine ganze Weile her. Aktuell diskutieren die Fraktionen in den Gremien sehr diszipliniert. Vor Corona war ich gelegentlich genervt, wenn eine Diskussion kein Ende fand, weil noch nicht alles von jedem gesagt worden war.
Macht es überhaupt noch Spaß, in Corona-Zeiten Bürgermeister zu sein?
PICHLER Natürlich. Die Arbeit ist wie das Leben ein Stück weit anders geworden. Keine Kirmes, keine Jubiläen, kein Karneval. Das fehlt schon sehr, vor allem der Kontakt zu den Menschen. Aber die täglich neuen Herausforderungen der Pandemie und der ja auch weiterhin bestehenden sonstigen Aufgaben lassen es nie langweilig werden.
Wie könnte die Kirmes für Kevelaer künftig aussehen?
PICHLER Eine Kirmes ist zurzeit kaum vorstellbar, auch als reine Schaustellerkirmes. Ich habe aber die Hoffnung, dass wir in 2022 in Kevelaer und den Ortschaften wie gewohnt Kirmes feiern können.
Was halten Sie von der Idee einer autofreien Innenstadt?
PICHLER „Autofrei“ist ein Kampfbegriff, den ich vermeide. Eine deutliche Reduzierung von Pkw in der Innenstadt bietet indes zahlreiche Vorteile. Man erhält öffentlichen Raum zurück, den man vor Jahrzehnten an den fließenden und an den ruhenden Verkehr verloren hat. Das setzt aber auch in Kevelaer zumindest drei Dinge voraus, über die sich der zukünftige Mobilitätsmanager Gedanken machen wird: Wie attraktiviere ich den Weg zu Fuß und mit dem Fahrrad? Wo stellen Gäste der Stadt demnächst ihr Auto ab, wie kommen die Gäste bequem in die Innenstadt und wieder zurück zum Auto? Und wie gelingt nicht nur in diesem Zusammenhang ein sinnvoller und an den Bedürfnissen orientierter Ausbau des ÖPNV?
Wie bekommt man eine Familie mit sechs Kindern und den Beruf unter einen Hut, ohne dass jemand zu kurz kommt?
PICHLER Gar nicht. Meine Kinder und vor allem meine Frau, die zu Hause die Hauptlast trägt, würden mich schon gern öfter sehen. Aber Augen auf bei der Berufswahl. Ich versuche zwar, mehr Zeit für die Familie zu haben als noch vor ein paar Jahren. Doch Bürgermeister geht nicht in einer 40-Stunden-Woche. Außerhalb von Corona sind die Abende und Wochenenden oft ziemlich voll mit Terminen.
Was ist der größte Unterschied zwischen ihrem Amt als Bürgermeister und Ihrem früheren Beruf als Strafverteidiger?
PICHLER Als Strafverteidiger ist man verkürzt gesagt einseitiger Interessenvertreter seines Mandanten. Als Bürgermeister muss man dagegen eine Vielzahl oft widerstreitender Interessen sehen und versuchen, diesen gerecht zu werden. Das geht mal mit klaren Entscheidungen, mal nur als Kompromiss. Als Verteidiger war ich hochspezialisiert. Als Bürgermeister bin ich Generalist und habe ,von allem ein bisschen’ Ahnung. Als Bürgermeister bemühe ich mich, dass meine Arbeit und meine Ergebnisse möglichst auf eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung stoßen. Als Verteidiger musste ich gelegentlich das Gegenteil tun, um meine Arbeit ordentlich zu machen. Strafverteidigung ist selten ein Beliebtheitswettbewerb.
Wann hat Sie zuletzt ein Antrag einer Partei komplett überrascht?
PICHLER Die Fraktionen waren vor und sind auch jetzt nach der Kommunalwahl recht gut einzuschätzen. Das haben zuletzt die Anträge zum Haushalt 2021 und auch die Positionen zu den einzelnen Anträgen gezeigt. Um ein aktuelles Beispiel zu nennen: Überrascht, aber auch gefreut hat es mich, dass insbesondere die FDP und die Grünen nach intensivem Gedankenaustausch meinem Vorschlag, einen neuen Fachbereich für die Stadtplanung und Bauordnung zu schaffen und einen Fachbereichsleiter zu suchen, zustimmen konnten, obwohl beide Fraktionen in den letzten Jahren immer einen technischen Beigeordneten gefordert hatten. Für mich ein schönes Beispiel für konstruktive und rein sachorientierte Fraktionsarbeit, die nicht im reflexhaften ,Wir haben aber schon immer etwas anderes vertreten’ verharrt.
Wie sehr fehlt Ihnen Willi Gerats im Rat?
PICHLER Willi Gerats war im Rat kein Abnicker, sondern einer, der sich stets mit den Vorlagen intensiv beschäftigt hat, sich dann seine eigene Meinung dazu gebildet und diese Meinung auch entsprechend in den Gremien vertreten hat. Damit hat er mich auch nicht immer glücklich gemacht. Aber das ist nicht der Punkt. Entscheidend war, dass so Aspekte zur Sprache kamen, die sonst oftmals nicht angesprochen worden wären, und darum geht es ja in der Gremienarbeit. Insofern war er ein wertvolles Ratsmitglied, gerade weil er zu etlichen Sachverhalten eine dezidiert andere Meinung vertreten hat als ich und als die Ratsmehrheit. Sie sind bewusst ohne Parteifarbe in den Wahlkampf gegangen und waren immer mal wieder nicht auf einer Linie mit der SPD, warum sind Sie noch Mitglied in der Partei? PICHLER Ich bin 2015 angetreten, um ein Bürgermeister aller Bürgerinnen und Bürger zu sein und das Parteibuch im Schrank zu lassen. Das hat in der Folge gut funktioniert. Die Ratsfraktionen haben mich als überparteilich wahrgenommen, die Bürger auch. Das Wahlergebnis im September hat mir bestätigt: Es ist der Auftrag der Bürger, dass ich genau so weitermachen soll.
Mancher meint, Kevelaer hätte zu viele Supermärkte, ist der Markt gesättigt?
PICHLER Kevelaer, Winnekendonk und Twisteden sind mit Supermärkten gut ausgestattet. 2015 wurde ein zusätzlicher Bedarf in Kevelaer Nord und Süd identifiziert, der in der Zwischenzeit durch zwei neue Märkte abgedeckt wurde. Für die südliche Innenstadt sollte der Standort des Kauf-Centers erhalten bleiben. In Wetten und Kervenheim wäre ein Nahversorger natürlich super, aber man kann das leider nicht erzwingen.