Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Die Dauerwelle als Politik-Ersatz
Kanzlerin und Länderchefs sind nicht zu beneiden: Sie müssen einen Kurs steuern, der das Land vor einer dritten Infektionswelle bewahrt und zugleich Schulen wie Wirtschaft im Blick hat. Doch dabei haben sie nun den Kompass für das Wesentliche verloren. Friseure und Fußpfleger dürfen öffnen, viele Schüler sitzen im Homeschooling fest. Was ist das für ein Land, in dem Dauerwellen wichtiger sind als Bildung? Schon im Frühjahr mussten Schulhäuser vor Möbelhäusern schließen. Nordrhein-Westfalen habe wirtschaftliche Interessen, hieß es. Nun sagt Laschet, bei Älteren seien die Dienstleistungen für das „gesundheitliche Empfinden“wichtig. Hat er mal mit Lehrern gesprochen, wie es um das gesundheitliche Empfinden von Kindern steht, die seit Wochen zu Hause lernen – darunter solche, die keinen eigenen Schreibtisch oder helfende Eltern haben? Hört er nicht, wie Kinderärzte vor körperlichen und seelischen Schäden warnen?
Gewiss muss die Politik die Mutationen ernst nehmen. Aber eins dürfen Familien, Lehrer und Unternehmen im Lockdown erwarten: dass die Politik sich mehr anstrengt. Im Umgang mit der Impfstoff-Krise. Bei der Auszahlung der Unternehmenshilfen. Bei der Öffnung der Schulen. Wer seinen Bürgern Grundrechte wie das auf Bildung und Berufsausübung nimmt, muss Perspektiven bieten statt nur Verbote. Virologen haben längst ein Konzept vorgelegt, wie man Schulen verantwortungsvoll öffnen kann: mit mehr Tests. Konkret: Wenn ein Schüler erkrankt, geht die ganze Klasse für fünf Tage in Quarantäne und wird dann freigetestet. Deutschland braucht endlich eine echte Teststrategie, dazu gehört die Ausstattung der Schulen ebenso wie konsequentes Sequenzieren von Befunden. Das Virus wird noch lange bleiben. Die Freigabe der Dauerwelle ist da ein ganz schlechter Politik-Ersatz. BERICHT
UNTERRICHT IN VOLLER KLASSENSTÄRKE, TITELSEITE