Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Die Autofahrer­in ist wieder frei

- VON THOMAS SEIBERT

Ludschain al-Hathlul war für das weibliche Recht auf Führersche­ine in Saudi-Arabien eingetrete­n. Das brachte ihr Gefängnis ein – mehrere Jahre lang. Beobachter sehen ihre Freilassun­g als außenpolit­isches Signal des Regimes.

RIAD Ludschain al-Hathlul geht der Regierung im islamisch-konservati­ven Saudi-Arabien schon seit Langem auf die Nerven. Im Jahr 2014 setzte sich die damals 24-jährige Frau ins Auto und versuchte, von den Vereinigte­n Arabischen Emiraten über die Grenze in ihr Heimatland zu fahren – und wurde prompt festgenomm­en, weil Frauen in Saudi-Arabien damals noch nicht Auto fahren durften. Vor drei Jahren kam sie wieder ins Gefängnis, diesmal wegen des Vorwurfs staatsfein­dlicher Aktivitäte­n. In der Haft wurde sie nach eigenen Angaben geschlagen, mit Elektrosch­ocks gefoltert und sexuell missbrauch­t.

Jetzt wurde Hathlul überrasche­nd freigelass­en – offenbar ein Versuch der saudischen Führung, die neue amerikanis­che Regierung zu beeindruck­en. Menschenre­chtler begrüßen die Entlassung, fürchten aber, dass Hathlul und andere Kritiker des Regimes ebenso leicht wieder festgenomm­en werden könnten.

Hathluls Geschwiste­r im westlichen Exil meldeten die Freilassun­g der Menschenre­chtsaktivi­stin. Demnach hatte ein Gericht wegen der bereits abgesessen­en Haftzeit auf den Rest der fast sechsjähri­gen Strafe verzichtet. Allerdings darf Hathlul das Land nicht verlassen, zudem ist ihre Strafe nur auf Bewährung aufgehoben. Hathlul war 2018 kurz vor der Zulassung von Führersche­inen für Frauen ins Gefängnis gekommen: Kronprinz Mohammed bin Salman, genannt MBS, wollte als De-facto-Herrscher des Königreich­s klarstelle­n, dass gesellscha­ftliche Öffnungen allein von ihm angeordnet und nicht von der Zivilgesel­lschaft durchgeset­zt werden.

Frauenrech­tlerinnen wie Hathlul protestier­en seit Jahren auch gegen das Vormundsys­tem, das saudische Frauen in vielen Lebensbere­ichen von ihren Männern, Vätern und in manchen Fällen auch Söhnen abhängig und zu Bürgern zweiter Klasse macht. Per Dekret hatte die Monarchie im vergangene­n Jahr das Vormundsys­tem gelockert. Frauen dürfen seitdem ohne Zustimmung eines männlichen Vormunds einen Pass beantragen und allein reisen. Allerdings wurde das Vormundsys­tem nicht völlig abgeschaff­t. Zudem sitzen viele saudische Menschenre­chtler weiter im Gefängnis.

Dennoch begrüßte US-Präsident Joe Biden die Haftentlas­sung Hathluls als richtige Entscheidu­ng.

Biden hat angekündig­t, das Thema Menschenre­chte wieder mehr in den Mittelpunk­t der amerikanis­ch-saudischen Beziehunge­n zu stellen. Unter Bidens Vorgänger Donald Trump hatte Mohammed bin Salman bei der Verfolgung von Regimekrit­ikern freie Hand und war selbst nach dem Mord an dem Dissidente­n Jamal Khashoggi von US-Sanktionen verschont geblieben. Dagegen will Biden der saudischen Regierung keinen „Blankosche­ck“mehr für Menschenre­chtsverlet­zungen ausstellen.

Hathluls Entlassung ist eine von mehreren Gesten, mit denen „MBS“der amerikanis­chen Kritik den Wind aus den Segeln nehmen will. Seine Regierung hat den langjährig­en Streit mit dem arabischen Nachbarn Katar beigelegt und spricht mit Bidens Regierung über Wege zur Beendigung des Krieges im Jemen. Kurz vor Hathluls Entlassung waren schon zwei saudisch-amerikanis­che Doppelstaa­tler aus saudischer Haft freigekomm­en. Die Vereinigte­n Staaten sind für Saudi-Arabien als politische­r und militärisc­her Partner unersetzli­ch. „MBS“ist deshalb auf ein gutes Verhältnis zu der Biden-Regierung angewiesen, auch wenn er nicht auf eine enge Zusammenar­beit mit den USA wie unter Trump rechnen kann.

Wie lange die saudische Rücksichtn­ahme auf Biden hält, muss sich noch herausstel­len. Menschenre­chtler sind skeptisch. Hathlul könne ins Gefängnis zurückgebr­acht werden, wenn sie nicht zu den Zuständen in Saudi-Arabien schweige, erklärte Human Rights Watch. Sarah Leah Whitson, Chefin der von Khashoggi gegründete­n Menschenre­chtsorgani­sation Dawn, schrieb auf Twitter, die Freilassun­g sei ebenso ein Akt der Willkür, wie es ihre Festnahme gewesen sei. Der britische Aktivist Daniel Wickham rief den Westen auf, die Entlassung nicht zu einem „PR-Sieg“für das Regime werden zu lassen.

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FOTO: AP Dieses Bild aus einem Video von 2014 zeigt Ludschain al-Hathlul am Steuer eines Autos – für diese Aktion wurde sie verhaftet.

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