Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Handel spricht von „blankem Horror“
Friseure erleben einen Ansturm auf Termine. Doch Einzelhändler, Gastronomen und Industrie sind entsetzt über den verlängerten Lockdown – zumal viele Firmen weiter auf die Novemberhilfe warten. NRW gibt dem Bund die Schuld.
DÜSSELDORF/BERLIN (anh/gw/jd/ rky) Die Friseure jubeln über die neuen Regeln, die ihnen die baldige Öffnung erlauben, doch der größte Teil der Wirtschaft ist entsetzt über die Verlängerung des Lockdowns bis zum 7. März. „Die Beschlüsse der Bund-Länder-Runde sind für viele Unternehmen in hohem Maße frustrierend. Angesichts der erheblich gesunkenen Inzidenzwerte hätten wir klarere Perspektiven von der Politik erwartet“, sagte Arndt Kirchhoff, Arbeitgeber-Präsident von NRW. Der Verband der Jungunternehmer sprach von einem „schwarzen Tag“.
Auch NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) ist verärgert: „Anstelle pauschaler Verlängerungen braucht es ein wirksames Pandemie-Management“, betont er. Einschränkungen von Grundrechten wie der Berufsfreiheit dürften nur als befristete Notmaßnahmen eingesetzt werden. „Die Verlängerung des Lockdowns ist für die Wirtschaft in Deutschland und NRW sicherlich keine gute Nachricht“, sagt Christoph Schmidt, Chef des RWI – Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung. Die Entscheidung sei dennoch richtig, „da offenbar noch nicht abschätzbar ist, wie groß das Risiko einer dritten Welle durch die Virusmutanten ist“.
Einzelhandel Der stationäre Handel bleibt geschlossen, Abholung (Click&Collect) ist weiter erlaubt. Drogerie- und Supermärkte bleiben geöffnet. Bisher ging der Handel davon aus, dass durch die Corona-Krise 50.000 Läden zur Schließung gezwungen sein könnten und dadurch 250.000 Jobs in Gefahr seien. Nach dem verlängerten Lockdown gilt eine andere, noch düsterere Voraussage: „Die 50.000 sind mittlerweile die Untergrenze, es könnten auch deutlich mehr sein“, sagte Stefan Genth, Chef des Branchenverbands HDE. Vier von sieben Handelsunternehmen gingen davon aus, dass sie ohne weitere Hilfen spätestens zum Jahresende schließen müssen. Derzeit sind 200.000 Händler im Lockdown. „Wir schließen nicht aus, dass Händler gegen die Coronaschutzverordnung klagen werden“, so Genth.
Modehandel Nach Berechnung des Branchenverbandes BTE gehen jede
Woche mehrere hundert Millionen Euro Umsatz verloren gehen. „Per Ende Februar dürften sich die Verluste des Winter-Lockdowns in den Textil-, Schuh- und Lederwarengeschäfte damit auf rund 15 Milliarden Euro aufsummiert haben“, rechnet BTE-Hauptgeschäftsführer Rolf Pangels vor. Er nennt das Ganze den „blanken Horror“. Tausende Unternehmen seien in akuter Existenznot, zwischen 20.000 und 30.000 Arbeitsplätze könnten kurzfristig in Gefahr geraten, so Pangels. Wenn die Läden bis April geschlossen bleiben müssten, sei das der „Todesstoß für manche Händler“.
Hotels und Gaststätten Im Beschluss von Bund und Ländern heißt es: „Nicht notwendige private Reisen und Besuche sind zu unterlassen. Das gilt auch im Inland und für überregionale tagestouristische Ausflüge.“Die Verlängerung des Lockdowns sei „inakzeptabel und eine klatschende Ohrfeige“, erklärte Bernd Niemeier, Präsident des Hotel- und Gaststättenverbandes NRW. Seine Branche werde mit Phrasen abgespeist.
Friseure Friseure dürfen schon am 1. März öffnen. Das begründen Bund und Länder mit der hervorgehobenen Bedeutung für die Körperhygiene gerade älterer Menschen. Andere Branchen warfen der Politik Willkür vor. „Wir bekommen unzählige Mails und Anrufe, eigentlich will jeder Kunde in der ersten Woche drankommen“, heißt es beim Friseurverband. „Unsere Friseure stehen mit dem Rücken zur Wand. Das ist das dringend erwartete Signal, auch noch die letzte Wegstrecke im Lockdown durchzuhalten“, sagte NRW-Handwerks-Präsident Andreas Ehlert. Nun müsse es auch für andere körpernahe Dienstleister wie Kosmetiker eine Perspektive geben.
Hilfen für Unternehmen Die Krise wird dadurch verschärft, dass viele noch immer auf Hilfe warten. Minister Pinkwart sieht es als Fehler an, dass der Bund für die Novemberund Dezemberhilfe nun Umsatzausfälle statt Kosten erstattet. „Das führte zu starken und unnötigen Verzögerungen.“So seien bislang erst 43,8 Prozent der Anträge bewillt worden, die NRW-Firmen auf Dezember-Hilfen gestellt haben.
Nicht mal die November-Hilfe ist bisher an alle geflossen, denen sie zusteht: Hier wurden laut den Angaben 79 Prozent der NRW-Anträge bewilligt. Die Abschläge sind immerhin zu 97 Prozent gezahlt, aber auch nur 84 Prozent der Solo-Selbstständigen erhielten bislang Geld. Pinkwart ist froh, dass die Rückstände langsam aufgeholt werden: „Mehr als eine Milliarde Euro haben die Unternehmer in NRW erhalten, trotz der verspäteten Bereitstellung der Software durch den Bund.“