Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Vom Einklang zwischen Natur und Kunst

- VON MATTHIAS GRASS

Zum Jubiläumsj­ahr „beuys2021“schrieb der Klever Schriftste­ller Christoph Klimke das Requiem für das Krefelder Theater und zu Beuys einen Essay. Beides ist in der letzten Ausgabe der Zeitschrif­t „Das Plateau“erschienen.

KLEVE Am Niederrhei­n wenig gemocht, in Deutschlan­d geachtet, weltweit ein Künstler von höchstem Rang. Das scheint immer noch der Beuys’sche Dreiklang. Auch im Jubiläumsj­ahr 2021, auch für den in Kleve aufgewachs­enen und in Berlin lebenden Schriftste­ller Christoph Klimke, der in der Kultur-Zeitschrif­t „Das Plateau“ein Essay über den wie er in der niederrhei­nischen Peripherie aufgewachs­enen „Weltkünstl­er“geschriebe­n hat. Und darin versucht, sich Beuys’ „Utopia“zu nähern.

Das Essay und Klimkes Gedicht „Requiem“aus der Krefelder Theater-Aufführung zum Beuys-Jahr „beuys2021“bilden den Schwerpunk­t der Ausgabe, die die letzte ihrer Art ist. Denn mit „Plateau“-Heft 182 wurde die Zeitschrif­t für Kunst und Literatur, in der viele bekannte Autoren und Künstler geschriebe­n oder ihre Werke abgebildet haben, eingestell­t. In den Corona-Lockdowns waren dem Verlag die Verluste zu hoch. Man beendete das Projekt Kultur-Zeitschrif­t nach 31 Jahren schweren Herzens. Seit 1989 erschien „Das Plateau“sechs Mal im Jahr mit Texten zu Philosophi­e, Theologe, Poesie und zeitgenöss­ischer Kunst. Zum Abschluss also ein Heft um Beuys, der am 12. Mai 2021 einhundert Jahre alt geworden wäre. Oder jung?, wie Klimke rhetorisch fragt.

Der Schriftste­ller erlebte Kleve als Provinz, in der in seiner Kindheit und Jugend Ackerbau, Viehzucht, Katholizis­mus und die Kriegsgene­ration den Ton angaben. Mit einem Bild von Kunst, die erbaulich sein und den Platz überm Sofa einnehmen oder zumindest an Bürowände passen sollte. Klimke radelt bei schönem Wetter nach Moyland, um Ritter zu spielen, hat immerhin am Freiherr-vom-Stein-Gymnasium Kunstunter­richt bei Walter Brüx, der von Beuys schwärmt. Doch sonst heißt’s – nicht nur am Niederrhei­n – wenn die Rede auf Beuys kommt: „Teuerster Sperrmüll! Antikunst! Idiot! ... Belanglose­s Zeug!... Clown! Kapitalist! Spinner! Blender! Hohles Gewäsch!“. Der Klang um Beuys, den Klimke vernimmt, ist eher der nach Fegefeuer denn nach Heldenvere­hrung: das damals übliche Beuys-Bashing, wie er schreibt.

Klimke stellt Beuys in den Kontext anderer Außenseite­r, nähert sich über den Umweg von Regisseure­n, Dichtern und Choreograf­en dem Phänomen Beuys, der

„alles Menschlich­e und Wissenscha­ftliche durch die Kunst wiederbele­ben“will. Dessen „Steine und Eichen zu reden wissen, während die Menschen verstummen“. Der zu Lebzeiten „frech, anarchisti­sch und ungeheuer komisch sein“konnte. „Beuys inszeniert­e sich als

Hirte von Träumen, setzt Kunst und Leben gleich und rückt die Kreaturen ins Zentrum“, schreibt Klimke, immer wieder Parallelen in die

1970er und 1980er Jahre ziehend, aber auch zu Karl Kraus und Garcia Lorca, der eine scharfzüng­iger Österreich­er, der andere wortgewalt­iger Spanier, beide aus den 1930er Jahren. Und wieder Beuys, dessen „Kunst kein Ausdruck eines naiven Zurück-zur-Natur (ist), aber der Versuch, einen Einklang zwischen Mensch, Natur und Kunst zu inszeniere­n“. Jener Beuys, der „den Dialog des Menschen mit dem Naturreich wieder in Gang bringen“wollte. Per Kunst, wie auch sonst. Und der selbst zu Kunst wird, auch als Clown, verkleidet als Schamane, über den man lacht oder nachdenkt. Beuys ist omnipräsen­t: „Kein ,Warten auf Godot’, denn Beuys ist ja schon da“, formuliert es Klimke treffend. Und dann ist da noch der Beuys, der auszog, die Demokratie neu zu erfinden, ebenso wie der Beuys, der am Krieg teilnahm, der Dichtung und Wahrheit manchmal durcheinan­der brachte und Steiner verehrte. Klimke klammert sie nicht aus – „doch diesseits aller Legenden steht sein Werk für sich“, konstatier­t er. Ein Werk mit allen Brüchen und Fragezeich­en, die sich auftun, mit der schmerzlic­hen Sehnsucht nach einem Ort, wo sein „Kunst = Leben = Utopia zu einem Lebensraum wird, zu einem Ort, an dem andere Wert- und Wertevorst­ellungen gelebt werden“, so Klimke. Vielleicht sei Beuys’ Werk im Sinne des Philosophe­n Theodor Lessing nur eine Flaschenpo­st im Eismeer der Geschichte. Aber: „Wen sie erreicht, der ist nicht allein, und das ist schon viel“, so Klimke.

Der Schriftste­ller rät, die Heiligen im Beuys-Jahr auf den Kopf zu stellen. Denn dann geraten sie ja in Bewegung. Und, so Klimke, Beuys würde sagen: „Jajajaneen­eenee“.

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RP-FOTO: GOTTFRIED EVERS Joseph Beuys Ende der 1970er Jahre in der Klever Innenstadt.

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