Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Im Angriffsmodus
Seit Herbst ist Johannes Winkel Vorsitzender der Jungen Union in NRW. Unter ihm dürfte die Organisation wieder deutlich konservativer werden.
Viereinhalb Monate ist es her, dass im Kölner Gürzenich der Machtwechsel bei der Jungen Union (JU) Nordrhein-Westfalen vollzogen wurde. 99 Prozent stimmten für Johannes Winkel. Wenige Wochen später begann der Lockdown und bremste den Neuen aus. „Wir versuchen momentan, vieles digital aufzufangen, mit einem umfangreichen digitalen Bildungsprogramm, aber auch zum Beispiel durch ein Video mit einem satirischen Jahresrückblick“, sagt Winkel. Aber Parteiarbeit lebe nicht nur von Podiumsdiskussionen und Positionspapieren, sondern vom freundschaftlichen Gespräch am Rande der Sitzung, von der Party nach dem Parteitag. „Das ist momentan natürlich bitter.“
JU-Chef in NRW, das kann ein Sprungbrett für höhere Weihen sein. Ronald Pofalla, Norbert Röttgen und Paul Ziemiak – sie alle hatten diese Position mal inne. Auch Verkehrsminister Hendrik Wüst führte den JU-Landesverband von 2000 bis 2006: „Johannes Winkel kann mit seinen 28 Jahren pointiert auf die Lage seiner Generation aufmerksam machen, und gleichzeitig ist er ausgewogen und reif genug, andere für seine Positionen zu begeistern“, sagt Wüst. „Ich halte ihn für ein großes Talent, weil er reifer ist als ich damals, als ich mit 25 zum JU-Landesvorsitzenden gewählt wurde.“
Die Wahl Tilman Kubans zum JUChef auf Bundesebene 2019 hat polarisiert – auch den NRW-Landesverband. Winkels Vorgänger Florian Braun hatte sich gegen Kuban ausgesprochen, eine in der JU NRW umstrittene Entscheidung. „Die Sehnsucht war groß, dass einer den Laden wieder zusammenführt“, sagt ein langjähriges JU-Mitglied aus NRW. „Da ist Johannes genau der richtige. Er hat beim NRW-Tag eine sehr gute Rede gehalten, der wichtigste
Punkt für sein gutes Wahlergebnis war aber, dass viele in ihm einen wesentlichen Akteur gesehen haben, der die Gräben geschlossen hat.“
Winkel selbst bezeichnet sich parteipolitisch als Spätzünder. Erst mit 19 Jahren wird er bei der JU aktiv. „Daheim war niemand Parteimitglied, was ich im Rückblick als eher angenehm empfinde.“Die Eltern sind in der Kirchengemeinde und der Kolpingsfamilie aktiv. Winkel selbst ist Messdiener, in der Kolpingjugend, im Fußball- und Basketballverein. Das Elternhaus ist christlich-sozial geprägt. „Zu Hause wurde bei uns viel diskutiert. Mit meinem Vater habe ich sonntags manchmal den ,Presseclub’ geschaut. Ich weiß noch, wie er da sagte: ,Ich verstehe nicht, wie man als christliche Partei gegen den Mindestlohn sein kann.’“Seine Lehrer gehören eher dem linken Spektrum an. „Meine Sozialwissenschaftslehrerin meinte zu mir, sie sei aus der SPD ausgetreten, da diese ,nicht mehr links genug sei’.“
Winkel hält schon zu Schulzeiten mit seiner Meinung nicht hinterm Berg: „Da bin ich verbalen Auseinandersetzungen selten aus dem Weg gegangen.
Der Gedanke reift: Wenn er was ändern will, genüge es nicht, politische Talkshows anzusehen. Mit Freunden reaktiviert er die Junge
Union im sozialdemokratisch geprägten Kreuztal bei Olpe. Ein öffentliches Mandat hat Winkel bislang nicht bekleidet. „Meine erste Priorität lag auf dem Studium, das mit dem Staatsexamen auch gut funktioniert hat. Das war mir auch wichtig, um eine gewisse Unabhängigkeit zu bewahren.“Genau die lobt ein langjähriger Weggefährte: „Ihm hilft, dass er nicht nur im JU-Kosmos zu Hause ist. Er schaut über den Tellerrand hinaus: Ein ganz normaler, guter Typ, der mitten im Leben steht.“Zugleich sei Winkel extrem fleißig. „Ihm macht es nichts, morgens früh quer durch NRW zu fahren, um bei einem Verband am Niederrhein als Redner aufzutreten.“
Nach dem Abitur 2011 geht er fürs Studium nach München, dann nach Sankt Gallen, doch am Ende zieht es ihn zurück nach NRW: nach Bonn, wo er 2018 sein erstes juristisches Staatsexamen ablegt, derzeit an seiner Dissertation sitzt und am Lehrstuhl für Öffentliches Recht arbeitet.
„Für Krawall um der Aufmerksamkeit willen bin ich nicht der Typ“, sagt Winkel. In Rage bringe ihn jedoch „die akademische Arroganz, gepaart mit absoluter Ahnungslosigkeit der Grünen, wie man zum Beispiel an deren völligen Desinteresse beim Thema Industriepolitik sieht“. Dass dieser Sektor das Rückgrat der deutschen Exportwirtschaft sei, scheine dort niemanden zu interessieren. „Das halte ich für abgehoben und weltfremd.“
Als Südwestfale und jemand, der Wirtschaftspolitik als Kernkompetenz der Union sehe, habe er Friedrich Merz’ Kandidatur für den CDU-Vorsitz unterstützt. „Dass er nicht bereit war, ins Präsidium zu gehen, hat mich enttäuscht. Jetzt steht auch die JU geschlossen hinter Armin Laschet, der in NRW bewiesen hat, dass er alle Parteiflügel einbinden und zu einer Mannschaft zusammenschweißen kann.“Genau die Aufgabe liegt auch vor Winkel.