Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Mit dem Chauffeur zum Impfzentru­m

- VON DIRK WEBER

Josef Reuvers aus Kerken nutzte den Fahrdienst der Gemeinde, um zu seinem Impftermin nach Kalkar zu kommen.

Das Impfzentru­m für den Kreis Kleve hat am 8. Februar seinen Betrieb aufgenomme­n. Seitdem müssen alle über 80-Jährigen irgendwie nach Kalkar kommen. Josef Reuvers aus Kerken nutzt den Fahrdienst der Gemeinde.

NIEUKERK/KALKAR Jeden Samstag lässt sich Josef Reuvers ein Bad ein. Es ist sein Ritual, wie er sagt. In der Zeit zwischen 16 und 19 Uhr ist er für niemanden erreichbar. Freunde und Bekannte wüssten das. Für die Kassenärzt­liche Vereinigun­g Nordrhein hat der Rentner nun eine Ausnahme gemacht. Statt in die Badewanne geht es für den 83-Jährigen zum Impfen ins Wunderland nach Kalkar. Von Nieukerk aus, wo Reuvers mit seiner Frau Anne-Maria lebt, sind es 43 Kilometer hin und 43 Kilometer zurück. Nicht gerade ein Pappenstie­l. Doch in Kalkar befindet sich das einzige Impfzentru­m für den gesamten Kreis Kleve. Reuvers hat keine Wahl. Er muss dorthin kommen. Aber wie?

Gleich am ersten Tag, als die Kassenärzt­liche Vereinigun­g die Leitungen freigescha­ltet hat, habe er zum Telefonhör­er gegriffen, um einen Termin zu vereinbare­n. Stundenlan­g habe er die Wahlwieder­holungstas­te gedrückt. Keine Chance, erzählt er. Einmal habe er ein Freizeiche­n gehört, aber kurz darauf sei er wieder aus der Leitung geflogen. „Ich dachte schon, mein Telefon ist kaputt“, erzählt Reuvers. Irgendwann habe er aufgegeben. Am Nachmittag versuchte es seine Frau noch einmal – und hatte Glück: „Ich konnte gleich beide Impftermin­e für meinen Mann ausmachen“, berichtet sie. Sie selbst sei noch zu jung. „Ich werde erst im Mai 80.“Bis dahin heißt es warten.

Reuvers hat den ersten Termin um 19.20 Uhr, weiß aber nicht, wie er nach Kalkar kommen soll. Er hat keine Kinder, die ihn fahren könnten, und sein Schwager sei nur ein Jahr jünger als er und werde von seinem Schwiegers­ohn gebracht. Außerdem sei das ein „elendig langer Weg“, den er niemandem aus seinem Umfeld zumuten wolle. Er selbst sei zwar noch fahrtüchti­g, aber diese Strecke traue er sich dann doch sich nicht zu, besonders nicht im Dunkeln. Hinzu komme, dass es vor einer Woche heftig geschneit habe und die Straßen noch immer nicht frei seien. „Außerdem“, sagt er, „weiß man nie, wie man sich hinterher fühlt.“

Seit mehr als 50 Jahren lassen er und seine Frau sich gegen Grippe impfen. Bislang sei immer alles gut gegangen. Er sei froh, dass so schnell ein Mittel gegen dieses

„dämliche Virus“gefunden werden konnte. „Ich kann nicht verstehen, dass sich manche nicht impfen lassen wollen“, sagt Reuvers. „Es ist die einzige Alternativ­e. Das Virus ist zu gefährlich, als dass man damit länger warten könnte.“Also ist er aktiv geworden und hat sich bei der Mitfahrzen­trale der Gemeinde Kerken angemeldet.

Günter Nebelung wohnt ebenfalls in Nieukerk, nicht weit von Reuvers’ Haus entfernt. Auch er möchte sich impfen lassen, auch er muss warten, bis er an der Reihe ist. Nebelung ist 70 – zu jung, um bei der ersten Impfwelle dabei zu sein, aber alt genug, um anderen zu helfen, die sich impfen lassen wollen. Als er erfährt, dass ehrenamtli­che Fahrer gesucht werden, die die Impflinge zum Impfzentru­m chauffiere­n sollen, meldet er sich freiwillig bei der Gemeinde. Das Kümmern liegt ihm im Blut. Seit Jahren engagiert er sich in der evangelisc­hen Kirchengem­einde und der Gefärdeten­hilfe der JVA Pont.

Pünktlich auf die Minute klingelt es bei Reuvers an der Tür. Nebelung

ist da, also Masken auf und kurze Begrüßung. Reuvers Frau kommt nicht mit. Kann nicht mit. Im Impfzentru­m ist nur eine Begleitper­son erlaubt. Außerdem sei sie nicht gut zu Fuß. Reuvers holt die Unterlagen, die ihm seine Frau fein säuberlich abgeheftet hat: die Impfeinlad­ung, seinen Impfpass, die Anamnese-Einwilligu­ng, der Aufklärung­sbogen, und, zur Sicherheit, seine Medikament­enliste.

Nebelung ist mit seinem Privatauto gekommen, ein VW Golf. Geld bekommt er keines für seine Dienste, auch kein Spritgeld. Der Fahrdienst ist reine Nächstenli­ebe. „Sie haben die freie Auswahl“, sagt er zu Reuvers. Zielstrebi­g läuft der zur Tür hinten rechts und lässt sich von Nebelung beim Einsteigen helfen. Besorgt schaut seine Frau den beiden von der Haustür hinterher. Sie habe nicht gut geschlafen, erzählt sie. „Hoffen wir mal, dass alles gut geht.“

Nebelung schaltet das Navi ein und fährt über Landstraße­n durch Sevelen, Issum, Alpen, vorbei an der Bislicher Insel und Xanten, bis er nach einer guten Dreivierte­lstunde das erste Schild in Richtung Impfzentru­m entdeckt. Je näher er dem Wunderland kommt, desto voller wird es. Auf dem Parkplatz herrscht trotz der späten Stunde und eisiger

Temperatur­en um fünf Grad minus noch reger Betrieb. Ein paar Hundert Meter weiter ist die Haltestell­e für den Shuttlebus, der sie in das 450 Meter entfernte Impfzentru­m bringt. Reuvers setzt sich nach hinten.

Nach einer Stunde kommen die beiden zurück. Alles sei wie am Schnürchen gelaufen. „Nur auf dem Flur war ein bisschen viel los“, meint Reuvers, der sich kein bisschen schlecht fühlt. „Es geht mir gut, von der Impfung merke ich nichts.“Eine Viertelstu­nde habe er nach dem Piekser warten müssen, dann durfte er gehen. Als Geschenk gab es ein „Priemelche­n“mit einem Gruß von Landrätin Silke Gorißen. Als Reuvers im Auto sitzt, ruft er als erstes seine Frau an, um ihr mitzuteile­n, dass alles in Ordnung ist. Am nächsten Tag, es ist Valentinst­ag, überreicht er ihr die Blumen.

In drei Wochen muss Reuvers erneut auf sein Bad verzichten, dann wird die zweite Impfung fällig. Und wieder wird ihn Günter Nebelung fahren.

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 ?? RP-FOTO: MARKUS VAN OFFERN ?? Impfling Josef Reuvers (l.) wurde von Günter Nebelung zum Impfzentru­m nach Kalkar und wieder zurückgefa­hren. Vor Ort stiegen sie in einen Shuttlebus.
RP-FOTO: MARKUS VAN OFFERN Impfling Josef Reuvers (l.) wurde von Günter Nebelung zum Impfzentru­m nach Kalkar und wieder zurückgefa­hren. Vor Ort stiegen sie in einen Shuttlebus.

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