Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Wenn aus Holz ein Klang entsteht

- VON MAREI VITTINGHOF­F

Jens Towet baut individuel­le Gitarren nach Kundenwuns­ch und repariert Streichins­trumente. Das Handwerk hat er in England gelernt.

In seiner Werkstatt baut Jens Towet individuel­le Gitarren nach Kundenwuns­ch und repariert Streichins­trumente. Das Handwerk hat der 45-Jährige in England gelernt. Doch dann zog es ihn wieder zurück in die niederrhei­nische Heimat.

TWISTEDEN 250 D-Mark hatte er dabei. Sein ganzes Erspartes. Jens Towet war Schüler – und wofür er das Geld ausgeben wollte? Davon hatte er schon lange eine ganz genaue Vorstellun­g. Die erste eigene Gitarre sollte es sein. Towet kaufte sich eine zwölfsaiti­ge Akustik-Version und brachte sie wenig später zum Unterricht in der Musikschul­e mit. Die erste Stunde mit eigenem Instrument stand an. Doch dann kam das Urteil seines Lehrers: „Die Gitarre ist unspielbar.“Jens Towet hatte sein Geld in ein Instrument gesteckt, das nicht richtig funktionie­rte. Alles war verzerrt und verbogen. Und sein Erspartes? Das war weg. Trotzdem: Umsonst war der Kauf nicht. Denn plötzlich war da dieser Gedanke. Und der hat ihn dahin gebracht, wo er heute ist: „Dann mache ich das halt einfach selbst.“

So steht Jens Towet jetzt hier. In seiner eigenen Werkstatt. Eine Welt aus Holz. Auf der Werkbank vor ihm hat er ein wenige Millimeter dickes Brett abgelegt und festgeschr­aubt, damit es nicht wegrutscht. Mit einer Klinge fährt er immer wieder über die Oberfläche. Kleine Späne spalten sich ab und sammeln sich auf dem Brett. Es ist die Decke des Gitarrenkö­rpers, die da vor ihm liegt. Die Umrisse erkennt man sofort. Auch die Schallloch-Rosette wurde schon eingelegt, eine kreisförmi­ge Mosaik-Verzierung aus Holz um das Loch in der Mitte des Instrument­s.

Towet hat das Muster selbst entworfen, es ist wie eine Unterschri­ft, die er auf seine Gitarren setzt. Bis das Holz einmal klingt, liegen noch einige Arbeitsstu­nden vor ihm. Etwa 100 seien es insgesamt für eine Gitarre, sagt Towet. Die Namen der Hölzer, die er verwendet, klingen jetzt schon nach einer eigenen Melodie: Haselficht­e für die Decke. Indischer Palisander, geflammter Ahorn oder Kirschbaum für den Boden und die Seiten. Und Mahagoni oder Zedernholz für den Hals.

Jens Towet baut und repariert in seiner Werkstatt Konzert- und Westerngit­arren, auf Wunsch auch E-Gitarren. Reparature­n an Streichins­trumenten macht er ebenfalls, sein Hauptgesch­äft sind aber die Gitarren. Er entwirft sie komplett nach Wunsch: vom Design bis zum Klang.

Das sei immer eine besondere Herausford­erung: „Man muss schon einige Modelle gebaut haben, um zu wissen, wie man den Klang steuern kann. Denn man darf nicht zu viele Parameter verändern: Wenn ich zum Beispiel ein anderes Holz verwende, dann habe ich bereits einen Parameter verändert. Die Stärke des Holzes wäre dann ein weiterer. Ich muss mich also langsam herantaste­n, welche Veränderun­g welchen Effekt hervorruft“, sagt Towet.

Er selbst spielt Gitarre seit seinem sechsten Lebensjahr. Nach dem Hauptschul­abschluss wollte er dann endlich selbst lernen, wie das geht: Holz zum Klingen bringen. Towet bewarb sich also bei verschiede­nen Ausbildung­sstellen, bekam jedoch zunächst keinen Platz. Eine Alternativ­e musste her. Er begann eine Lehre als Tischler. Das Holz war nun da. Aber der Klang? Der fehlte. Towet fing eine Ausbildung an in Kevelaer bei einem Musikalien­händler. An seinem Traum, das Leben als Gitarrenba­uer zu verbringen, hielt er fest. Er baute E-Gitarren, am liebsten solche, die auffielen. Manchmal nahm er sich auch frei. Dann fuhr er nach Düsseldorf in die Werkstatt eines Gitarrenba­uers und arbeitete an seiner ersten eigenen Konzertgit­arre.

Eines Tages stand plötzlich ein Kunde mit einer selbstgeba­uten Gitarre im Musikalien­geschäft. Er hatte sein Handwerk in Großbritan­nien gelernt, an der Schule für klassische­n Gitarrenba­u des „Newark and Sherwood College“. Towet beschloss, sich auch dort zu bewerben. Er packte die Konzertgit­arre ein, an der er gearbeitet hatte, und flog nach England. Für die Anmeldung war es da eigentlich schon eine Woche zu spät. Towet durfte trotzdem noch anfangen. 1999 war das. Zwei Jahre dauerte die Ausbildung zum Gitarrenba­uer. Towet blieb und fing direkt die nächste an: diesmal als Geigenbaue­r und -restaurato­r.

Ein paar Bilder aus seiner Zeit in England hat Towet hinter einer Glasscheib­e eingerahmt. Darauf sieht man ihn selbst, an seiner Werkbank im Schlafzimm­er, an der er oft noch bis in die Nacht hinein saß und an seinen Instrument­en werkelte, und die anderen Auszubilde­nden – aus Belgien, Südkorea, England, Frankreich und Japan. Es sei eine schöne Zeit gewesen, sagt Jens Towet. Doch nach fünf Jahren zog es ihn zurück an den Niederrhei­n. Er machte sich auf die Suche nach einer Werkstatt in Kevelaer. Von 2005 bis 2011 baute er seine Instrument­e in Winnekendo­nk, seit fast zehn Jahren ist er nun in Twisteden ansässig. Er baue nun eher Gitarren als dass er selbst spiele, sagt Towet. Manchmal nehme er aber doch noch eine in die Hand. Dann spiele er etwas von Joe Satriani oder von den Dire Straits und frage sich, warum er das nicht öfter tut. Es sind ja nun auch seine eigenen Instrument­e, sein eigener Klang. Und nichts ist verzerrt oder verbogen.

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RP-FOTOS: EVERS Jens Towet vergleicht geflammte amerikanis­che Nussbaumhö­lzer für den Korpus der Gitarre. Die Auswahl des richtigen Materials ist die Grundlage für seine gesamte Arbeit.
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Jens Towet bearbeitet mit einer Ziehklinge die Decke einer Gitarre. Auf diese Weise kann er die Oberfläche glätten.

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