Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Die Lehren aus Hanau

- VON DOROTHEE KRINGS

Man kann nur ahnen, wie es ist, ein Kind, einen Bruder, eine Freundin, einen geliebten Menschen zu verlieren, weil ein Mann mit rassistisc­hem Weltbild seine Waffen lud und neun Menschen erschoss, die in seinen Augen fremd aussahen. Aber man kann den Hinterblie­benen in Hanau zuhören. Und die fordern zwei Dinge: dass die Umstände weiter aufgeklärt werden. Und dass die Morde nicht als Wahnsinnst­at eines Einzelnen abgetan, sondern im Zusammenha­ng mit dem Alltagsras­sismus in Deutschlan­d gesehen werden.

Beides fordert von der Gesellscha­ft, sich nicht hinter Betroffenh­eitsfloske­ln zu verstecken, sondern Fehler anzuerkenn­en und über die Ursachen zu sprechen. Wenn ein Mann, der seine rechtsradi­kale Gesinnung bei der Polizei zu Protokoll gegeben hatte und wegen psychische­r Probleme in der Klinik war, Waffen besitzen durfte, wollte keiner genau hinsehen. Und wenn ein psychiatri­scher Gutachter im Nachhinein feststellt, dass der Täter an paranoider Schizophre­nie litt, ist der Fall damit nicht erledigt. Denn es waren die Hassgedank­en seiner über viele Jahre ausgeprägt­en rassistisc­hen Ideologie, mit denen der Täter sich radikalisi­ert hat. Bis er fähig war, Menschen zu töten, in denen er keine Menschen mehr sah.

Der Opfer von Hanau zu gedenken, sollte also bedeuten, sich an ihre Gesichter, Namen, Geschichte­n zu erinnern und darum zu trauern, dass sie ihr Leben mit allen individuel­len Hoffnungen nicht mehr weiterführ­en können. An Hanau zu erinnern, bedeutet auch, sich einmal mehr bewusst zu machen, dass jeder Einzelne an dem mitwirkt, was wir das gesellscha­ftliche Klima nennen. Mit jeder realen Begegnung, mit jedem Kommentar im Netz, mit jedem Spruch, den man nur so dahingesag­t haben will. Rassismus beginnt im Alltag, die Gewöhnung an Hass und Hetze auch. BERICHT SIE WAREN KEINE FREMDEN, POLITIK

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