Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Tauwetter über dem Atlantik
US-Präsident Joe Biden setzt ein Zeichen und spricht bei einer digitalen Spezialausgabe der Münchner Sicherheitskonferenz. Es geht immerhin um den Neustart der Beziehungen zwischen Amerikanern und Europäern, die unter Donald Trump zeitweise eingefroren waren.
BERLIN Für Joe Biden war die Münchner Sicherheitskonferenz meist ein fest gebuchter Termin in seinem Jahreskalender, seit 1980 ist er dabei. Jetzt führt ihn seine erste Auslandsreise als US-Präsident gewissermaßen wieder an diesen vertrauten Ort, wenn auch nur virtuell per Videoschalte. An diesem Freitag spricht Biden bei einer Spezialausgabe der Sicherheitskonferenz, die wegen Corona auf ein digitales Format von knapp drei Stunden geschrumpft ist. Es wird ein echtes Gipfeltreffen. Konferenzleiter Wolfgang Ischinger freut sich, dass die erste Garde der Weltpolitik bei dieser digitalen Sicherheitskonferenz dabei ist. Schließlich geht es um einen Neustart der transatlantischen Beziehungen, die unter Präsident Donald Trump zeitweise regelrecht eingefroren waren.
Peter Beyer, der Transatlantik-Koordinator der Bundesregierung, erwartet von Biden „konkrete Antworten zur Zusammenarbeit mit der EU und auch mit Deutschland“. Es gehe um die Frage nach gemeinsamen Zielen, wo die USA und Europa in 15 und in 20 Jahren stehen wollten. Zu den Zukunftsthemen gehören Handel, Sicherheit, Gesundheit, Klima und Digitalisierung. „Ideal wäre ein enges westliches Bündnis, das noch weit über die Zusammenarbeit der Obama-Jahre hinausgeht“, erklärte Beyer.
Zahlreiche Baustellen müssen die Alliierten nun wetterfest machen. Vier stechen aktuell hervor.
Afghanistan-Einsatz Nach bisheriger Planung sollten alle ausländischen Truppen das Land am Hindukusch bis zum 1. Mai verlassen, so ist es jedenfalls im Doha-Abkommen verabredet, das der damalige US-Präsident Donald Trump im vergangenen Februar mit den Taliban geschlossen hatte. Auch die Bundeswehr plante schon für den Abzug ihrer derzeit rund 1100 in Afghanistan stationierten Soldaten. Aber jetzt könnte der Einsatz doch länger werden, neues Bundestagsmandat inklusive. Das alte Mandat läuft Ende März aus. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Norbert Röttgen (CDU), sagte: „Ich habe die Ankündigung von Präsident Trump, dass am 1. Mai alle Truppen abgezogen seien, immer für völlig verantwortungslos gehalten. Die Taliban brauchten deshalb gar nicht mehr wirklich zu verhandeln, sondern nur noch abzuwarten.“Der Einsatz in Afghanistan wird wohl weitergehen. Röttgen: „Ich rechne mit dem Antrag der Bundesregierung, es im bisherigen Umfang noch einmal zu verlängern.“
Nord Stream 2 Das GaspipelineProjekt mit Russland durch die Ostsee stößt bei den Amerikanern – US-Demokraten wie Republikanern – auf massive Gegenwehr und Ablehnung. Führende US-Politiker drohten schon mit Sanktionen gegen deutsche Firmen, die am Bau der Pipeline beteiligt sind. Auch Biden gilt nicht als Freund der Pipeline. Er sagt, Nord Stream 2 sei „ein schlechtes Geschäft für Europa“, und will mit den Europäern beraten, wie es weitergehen soll. Röttgen sieht in Nord-Stream 2 „eine erhebliche Belastung im Verhältnis zu den USA, aber auch innerhalb Europas“, und sagte: „Eine Lösung könnte ein Verhandlungsmoratorium für den Bau von Nord Stream 2 sein. Die Pause bei den Bauarbeiten soll genutzt werden, um eine internationale Vereinbarung über den Betrieb zu treffen. Diese zielt darauf ab, dass Russland die Pipeline bauen darf, sich aber international rechtsverbindlich verpflichtet, die Pipeline nicht als geopolitische Waffe gegen unsere zentral- und osteuropäischen Partner einsetzen.“
Verteidigungsausgaben Trump wurde nicht müde, vor allem den Deutschen vorzuwerfen, viel zu wenig für die Vereidigung zu investieren. Beim Gipfel in Prag 2002 hatten sich die Nato-Staaten verpflichtet, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigung zu investieren, und das 2014 in Wales bekräftigt. Lange dümpelte Deutschland bei 1,1 Prozent herum, hat sich nun mühsam der 1,6 genähert – auch wegen des Konjunktureinbruchs. Aus der US-Administration verlautet im Vorfeld der Videokonferenz, der Präsident sei nicht der Auffassung, dass Berlin genug Geld für die Verteidigung ausgebe. Und es wurde zum Erwartungsmanagement kolportiert, die Europäer sollten nicht danach fragen, was Biden für sie tun könne, sondern was Europa für seinen Erfolg tun könne. Das Erreichen der zwei Prozent hat dabei einen hohen Stellenwert.
China-Politik Seit Monaten wissen die Europäer, dass Biden seinen außenpolitischen Schwerpunkt auf einen schärferen Kurs gegenüber China legen wird. Er warb bereits vor Amtsantritt für eine europäisch-amerikanische „Allianz gegen China“. Doch haben Chinas starker Mann Xi Jinping und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kurz vor Bidens Amtsantritt den Durchbruch für ein europäisch-chinesisches Investitionsabkommen verkündet. Nicht nur der frühere Weltbankchef Robert Zoellick empfand das als „schlechtes Timing“. Die Frage ist, ob Biden das europäische Vorgehen als Schlag ins Gesicht brandmarken oder diplomatisch-höflich noch einmal dafür werben wird, gemeinsam China mehr zur Rechenschaft zu ziehen. Beyer signalisierte, dass Deutschland an einer „gemeinsamen China-Strategie“interessiert sei.