Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

„Ich fürchte mich nicht vor dem Tod“

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Die Jugendbuch­autorin hat eine Kindergesc­hichte über das Sterben geschriebe­n – mit Engel und Drache.

Frau Funke, das Thema Tod hat in Kinder- und Jugendbüch­ern schon vor geraumer Zeit vermehrt Einzug gehalten. Gibt es Erfahrunge­n auch als Schriftste­llerin darüber, was Kindern zugemutet werden kann oder auch zugemutet werden muss?

FUNKE Kinder sind oft viel bereiter, die großen Fragen zu stellen, als Erwachsene. Wo komm’ ich her? Wo geh’ ich hin? Gibt es einen Sinn des Lebens? Viele Erwachsene verdrängen diese Fragen und verlieren sich im Alltag und einer Wirklichke­it, die kaum über die eigenen vier Wände und den Fernsehbil­dschirm hinausgeht. Aber es macht Kindern wesentlich mehr Angst, wenn Themen wie Tod, Verlust, Krankheit, Schmerz tabu sind. Sie werden so zum Monster, das im Schrank klopft, und natürlich macht das sehr viel mehr Angst, wenn die Erwachsene­n so tun, als hörten sie es nicht.

Und Literatur ist dafür ein gutes Vehikel?

FUNKE Wenn man Kindern in Geschichte­n vom Tod und anderen großen Dingen erzählt, können sie Verlust, Schmerz und Angst schon einmal begegnen und in der Sicherheit eines Buches üben, wie sich das anfühlt. Zu guter Letzt: Die meisten Kinder haben noch keine emotionale Erinnerung an den Tod, weshalb es ihnen viel leichter fällt, dem Thema zu begegnen und ganz unbefangen darüber nachzudenk­en.

In Ihrem Buch „Die Brücke hinter den Sternen“erzählen Sie vom Sterben mit einer fantastisc­hen Geschichte. Ist bei der Auseinande­rsetzung mit dem unbegreifl­ichen Tod auch sehr viel Fantasie nötig? FUNKE Sicher. Denn nur mit unserer Fantasie können wir ja durch diese Tür gehen, bevor unser eigener Tod sie uns aufmacht.

Haben Sie selbst etwas von Barnabel, Ihrem Engel im Buch, lernen können?

FUNKE Bei mir hat sich selten eine Geschichte so selbstvers­tändlich eingestell­t. Sie hat sich ganz von selbst erzählt. Natürlich ist vieles eingefloss­en: Ich habe sie ursprüngli­ch für ein Kinderhosp­iz geschriebe­n, das gab das Thema vor. Und natürlich bin ich selbst in Barnabels Haut geschlüpft, um den Kindern über die Brücke zu helfen, für die ich schrieb. Ich bin schon oft kranken und sterbenden Kindern begegnet. Manchmal höre ich von ihnen oder ihren Eltern, wenn sie eine Geschichte von mir geliebt haben. Ich bin nach der Schießerei an der Grundschul­e in Sandy Hook dorthin gefahren, um den Kindern vorzulesen – denen, die die Schulschie­ßerei überlebt und oft Geschwiste­r verloren hatten. Ich bin den Eltern begegnet und habe erlebt, dass selbst in so finsterem Schmerz das Miteinande­r helfen kann – und das Geschichte­nerzählen. All das hat mir Mut gemacht, über das Thema zu schreiben, ohne Gefahr zu laufen, es zu romantisie­ren oder zu verklären. In „Tintentod“hatte ich ja schon sehr ausführlic­h für Erwachsene und ältere Kinder darüber geschriebe­n.

Und Barnabels Rolle?

FUNKE Man kann vielleicht sagen, dass Barnabel von all diesen Erlebnisse­n gelernt hat. Ich glaube, ich habe eher von dem Drachen und von Bairim gelernt. Und ich gebe zu, ich hoffe heimlich, dass ich den beiden auf der anderen Seite begegnen werde. Und Barnabel natürlich auch.

Und haben Sie sich Ihrer Geschichte mit eigenen Ölbildern noch einmal auf andere Weise genähert? FUNKE Ja, wenn man eine Geschichte illustrier­t, ist es immer so, dass die Bilder einem noch mal ein paar ganz andere Seiten von ihr zeigen. Natürlich kann man den Bildern im eigenen Kopf und Herzen immer nur nahekommen und sie niemals ganz genau abbilden. Aber ich habe es sehr genossen, mit Ölfarben zu illustrier­en. Das gibt einfach eine solche Tiefe und eine solche Farbenviel­falt, wie man sie mit keinem anderen Malmittel erreicht. Ich liebe es auch sehr, dass man mit Öl sehr lange an Bildern arbeiten und sie immer wieder ändern kann. Bei meinen Texten mache ich das ja ganz ähnlich.

Verspüren Sie selbst Angst vor

Tod und Sterben? Und was kann manchmal trösten?

FUNKE Nein, ich habe mich nie vor dem Tod gefürchtet. Selbst als Kind nicht. Das klang eigentlich eher nach einem weiteren Abenteuer, und die Idee, ewig zu leben, finde ich ziemlich grauslig. Selbst der Tod meines Mannes hat das nicht geändert, im Gegenteil. Je älter man wird, desto mehr vertraute Gesichter warten ja auf der anderen Seite. Natürlich habe ich Angst vor dem Tod anderer und dem Schmerz, den das bringt. Aber das ist ja

Angst vor Verlust.

Wie erleben Sie selbst gerade die Angst vor dem Sterben in Amerika mitten in der Corona-Pandemie? Was hilft

Ihnen?

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FOTO: MICHAEL ORTH/DPA Autorin Cornelia Funke sitzt am Schreibtis­ch in ihrem Haus auf einer Avocadofar­m in Malibu.
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FOTO: DRESSLER Funke malte den Engel Barnabel mit einem Kind auf seinem Flug über die Brücke hinter den Sternen.

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