Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
500.000 Schachteln in der Woche
Der Prozess um eine der größten in Deutschland entdeckten illegalen Zigarettenfabriken hat in Düsseldorf begonnen. Die Anlage in Kranenburg soll einen Steuerschaden in Höhe von sechs Millionen Euro verursacht haben.
KRANENBURG/DÜSSELDORF Ein zweireihiger Sicherheitszaun, mehrere Durchgangsschleusen und zahlreiche Kameras schirmen das Prozessgebäude des Oberlandesgericht Düsseldorf wie eine Festung nach außen und innen ab. Für gewöhnlich werden hier Angelegenheiten des Staatsschutzes verhandelt oder solche, für die besondere Sicherheitsvorkehrungen gelten. Dazu zählen etwa die Unterstützung von Terrorvereinigungen, als auch Anklagen aus dem Bereich organisierte Kriminalität.
Doch der Grund, warum am Donnerstag in der Landeshauptstadt eine Strafverhandlung der Wirtschaftskammer des Landgerichts Kleve durchgeführt werden muss, ist rein logistischer Natur. Zwölf Angeklagte im Alter von 28 bis 60 Jahren werden gegen halb elf Uhr von den Justiz-Beamten zu der mehrreihigen Anklagebank geführt. Viele der Beschuldigten haben gleich zwei Rechtsanwälte zu ihrer Verteidigung bestellt. Dazu kommen mehrere Dolmetscher für die aus Polen und der Ukraine stammenden Männer, Berufs- und Schöffenrichter, Nebenkläger des Hauptzollamtes sowie einige Journalisten – viel zu viele Menschen für die Räumlichkeiten des Klever Landgerichts, auch abseits der bestehenden Corona-Schutzverordnung.
Hinter Richter Christian Henckel stehen Zigaretten-Schachteln mit den Markenbezeichnungen „Richmond“, „Mayfair“und „Regal“aufgereiht. Sie stammen aus der mutmaßlich illegalen Produktionsanlage in Kranenburg, welche Spezialeinheiten des Zolls im vergangenen Sommer in einer spektakulären Aktion stürmten.
Staatsanwältin Christina Lindner wirft den Angeklagten bandenmäßige Steuerhinterziehung großen Ausmaßes, banden- und gewerbsmäßige Steuerhehlerei sowie Verstoß gegen das Markengesetz vor. Summiert beliefe sich der Steuerschaden auf circa sechs Millionen Euro. Dabei bezieht sich die Anklageschrift nur auf die vorgefundenen Waren sowie die aus dem Zeitraum der Observation zwischen dem 16. Juli und 18.August 2020 errechnete Produktionsmarge der Anlage. Vermutet
wird jedoch, dass diese bereits seit 2016 in Betrieb ist. Wöchentlich seien dabei 500.000 Schachteln vom Band gegangen.
Von den zwölf Beschuldigten wird neun die Mitarbeit in der Produktion und dreien die Logistikverladung der für den englischen Markt bestimmten Zigaretten angelastet. Persönlich äußern wollte sich zum Auftakt nur einer. Er berichtete, wie er von einem Mann tschechischer Staatsbürgerschaft in Polen für die Arbeit angeworben worden sei, ohne Details erfahren zu haben. Für die Fahrt nach Kranenburg, einen Tag vor dem Zugriff des Zolls, seien ihm und zwei weiteren Angeklagten ein Peugeot mit holländischem Kennzeichen überlassen worden. Zudem haben sie Arbeitsverträge einer in Belgien ansässigen Firma erhalten, welche die Staatsanwaltschaft als gefälscht ansieht. Dass seine Unterschrift darunter fehlte, wollte der Angeklagte nicht kommentieren. Ebenso wenig, dass keinerlei offizielle Kennzeichnung bei der Produktionsstätte oder der zu verladenden Waren zu sehen waren. Die Verteidigung argumentierte dazu mit den Arbeitsverhältnissen in der Fleischindustrie, „die keine Unterschiede zu den hier vorgefundenen Verhältnissen aufweisen.“
In ihren Eröffnungsreden beklagten die Verteidiger zudem eine Stigmatisierung und Vorverurteilung ihrer Mandanten, etwa durch den Begriff „Zigaretten-Mafia“in Teilen der medialen Berichterstattung. Zusätzlich seien den Beschuldigten bereits im Vorfeld Steuerbescheide in Millionenhöhe zugeteilt worden. Sie warfen der Anklage vor, nur eine „unvollständige, lückenhafte“Untersuchung durchgeführt zu haben. Dies bezog sich unter anderem auf die fehlenden Unterlagen, die Staatsanwältin Lindner bei ihrer im Zuge der Ermittlung erfolgten Dienstreise nach Polen der Akte hätte beifügen müssen. „Ob die daraus abgeleiteten Maßnahmen ordnungsgemäß besprochen wurden, entzieht sich somit unserer Erkenntnis“sagte ein Verteidiger. Ein Antrag, die Staatsanwältin als Zeugin diesbezüglich zu befragen, steht nun im Raum. Fortgesetzt wird die mehrteilige Verhandlung am vierten März.