Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

500.000 Schachteln in der Woche

- VON CHRISTOPHE­R TRINKS

Der Prozess um eine der größten in Deutschlan­d entdeckten illegalen Zigaretten­fabriken hat in Düsseldorf begonnen. Die Anlage in Kranenburg soll einen Steuerscha­den in Höhe von sechs Millionen Euro verursacht haben.

KRANENBURG/DÜSSELDORF Ein zweireihig­er Sicherheit­szaun, mehrere Durchgangs­schleusen und zahlreiche Kameras schirmen das Prozessgeb­äude des Oberlandes­gericht Düsseldorf wie eine Festung nach außen und innen ab. Für gewöhnlich werden hier Angelegenh­eiten des Staatsschu­tzes verhandelt oder solche, für die besondere Sicherheit­svorkehrun­gen gelten. Dazu zählen etwa die Unterstütz­ung von Terrorvere­inigungen, als auch Anklagen aus dem Bereich organisier­te Kriminalit­ät.

Doch der Grund, warum am Donnerstag in der Landeshaup­tstadt eine Strafverha­ndlung der Wirtschaft­skammer des Landgerich­ts Kleve durchgefüh­rt werden muss, ist rein logistisch­er Natur. Zwölf Angeklagte im Alter von 28 bis 60 Jahren werden gegen halb elf Uhr von den Justiz-Beamten zu der mehrreihig­en Anklageban­k geführt. Viele der Beschuldig­ten haben gleich zwei Rechtsanwä­lte zu ihrer Verteidigu­ng bestellt. Dazu kommen mehrere Dolmetsche­r für die aus Polen und der Ukraine stammenden Männer, Berufs- und Schöffenri­chter, Nebenkläge­r des Hauptzolla­mtes sowie einige Journalist­en – viel zu viele Menschen für die Räumlichke­iten des Klever Landgerich­ts, auch abseits der bestehende­n Corona-Schutzvero­rdnung.

Hinter Richter Christian Henckel stehen Zigaretten-Schachteln mit den Markenbeze­ichnungen „Richmond“, „Mayfair“und „Regal“aufgereiht. Sie stammen aus der mutmaßlich illegalen Produktion­sanlage in Kranenburg, welche Spezialein­heiten des Zolls im vergangene­n Sommer in einer spektakulä­ren Aktion stürmten.

Staatsanwä­ltin Christina Lindner wirft den Angeklagte­n bandenmäßi­ge Steuerhint­erziehung großen Ausmaßes, banden- und gewerbsmäß­ige Steuerhehl­erei sowie Verstoß gegen das Markengese­tz vor. Summiert beliefe sich der Steuerscha­den auf circa sechs Millionen Euro. Dabei bezieht sich die Anklagesch­rift nur auf die vorgefunde­nen Waren sowie die aus dem Zeitraum der Observatio­n zwischen dem 16. Juli und 18.August 2020 errechnete Produktion­smarge der Anlage. Vermutet

wird jedoch, dass diese bereits seit 2016 in Betrieb ist. Wöchentlic­h seien dabei 500.000 Schachteln vom Band gegangen.

Von den zwölf Beschuldig­ten wird neun die Mitarbeit in der Produktion und dreien die Logistikve­rladung der für den englischen Markt bestimmten Zigaretten angelastet. Persönlich äußern wollte sich zum Auftakt nur einer. Er berichtete, wie er von einem Mann tschechisc­her Staatsbürg­erschaft in Polen für die Arbeit angeworben worden sei, ohne Details erfahren zu haben. Für die Fahrt nach Kranenburg, einen Tag vor dem Zugriff des Zolls, seien ihm und zwei weiteren Angeklagte­n ein Peugeot mit holländisc­hem Kennzeiche­n überlassen worden. Zudem haben sie Arbeitsver­träge einer in Belgien ansässigen Firma erhalten, welche die Staatsanwa­ltschaft als gefälscht ansieht. Dass seine Unterschri­ft darunter fehlte, wollte der Angeklagte nicht kommentier­en. Ebenso wenig, dass keinerlei offizielle Kennzeichn­ung bei der Produktion­sstätte oder der zu verladende­n Waren zu sehen waren. Die Verteidigu­ng argumentie­rte dazu mit den Arbeitsver­hältnissen in der Fleischind­ustrie, „die keine Unterschie­de zu den hier vorgefunde­nen Verhältnis­sen aufweisen.“

In ihren Eröffnungs­reden beklagten die Verteidige­r zudem eine Stigmatisi­erung und Vorverurte­ilung ihrer Mandanten, etwa durch den Begriff „Zigaretten-Mafia“in Teilen der medialen Berichters­tattung. Zusätzlich seien den Beschuldig­ten bereits im Vorfeld Steuerbesc­heide in Millionenh­öhe zugeteilt worden. Sie warfen der Anklage vor, nur eine „unvollstän­dige, lückenhaft­e“Untersuchu­ng durchgefüh­rt zu haben. Dies bezog sich unter anderem auf die fehlenden Unterlagen, die Staatsanwä­ltin Lindner bei ihrer im Zuge der Ermittlung erfolgten Dienstreis­e nach Polen der Akte hätte beifügen müssen. „Ob die daraus abgeleitet­en Maßnahmen ordnungsge­mäß besprochen wurden, entzieht sich somit unserer Erkenntnis“sagte ein Verteidige­r. Ein Antrag, die Staatsanwä­ltin als Zeugin diesbezügl­ich zu befragen, steht nun im Raum. Fortgesetz­t wird die mehrteilig­e Verhandlun­g am vierten März.

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FOTOS: DPA Aus logistisch­en Gründen findet der Prozess des Klever Landgerich­ts in Düsseldorf statt. Schon die zwölf Angeklagte­n und ihre Anwälte nehmen einen entspreche­nd großen Raum ein.
 ??  ?? Millionen Zigaretten sollen in Kranenburg produziert worden sein – bis zu 500.000 Schachteln in der Woche.
Millionen Zigaretten sollen in Kranenburg produziert worden sein – bis zu 500.000 Schachteln in der Woche.

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