Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Vogts bemängelt Förderung von Talenten

- VON KARSTEN KELLERMANN

Der ehemalige Bundestrai­ner und langjährig­e Nachwuchsc­oach beim DFB sieht schwerwieg­ende Fehler bei der Ausbildung von jungen Spielern in Deutschlan­d. Fußball-Globetrott­er Winnie Schäfer pflichtet ihm bei.

DÜSSELDORF Es ist eine Hiobsbotsc­haft für den deutschen Fußballnac­hwuchs, zumindest für die U19-Teams von Borussia Mönchengla­dbach, Bayern München, Borussia Dortmund, RB Leipzig und des 1. FC Köln: Die Uefa hat die Youth League abgesagt. Für die Talente fällt ein internatio­naler Leistungsv­ergleich weg. Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs. Durch die Corona-Krise haben die Talente seit März 2020 kaum Wettkampfp­raxis. Je nach Corona-Bestimmung in den Bundesländ­ern darf in manchen Leistungsz­entren nicht mal trainiert werden. Ein ganzer Jahrgang droht hintenüber zu fallen – in einer Phase, in der Experten ohnehin Qualitätsp­robleme in der deutschen Fußballer-Ausbildung sehen.

„Warum holen die Klubs Talente aus England oder Frankreich? Wo sind unsere Spieler aus den Akademien? Warum holen die Klubs Trainer aus der Schweiz oder Österreich? Haben wir keine guten Trainer?“, fragt der frühere Bundestrai­ner Berti Vogts. Unangenehm­e Fragen, mit denen er auch DFB-Direktor Oliver Bierhoff konfrontie­rt hat. Vogts war früher selbst DFB-Nachwuchst­rainer. „Aus dem Weltmeiste­r-Team von 1990 hatten 18 von 22 Spielern bei mir in der U16 gespielt“, erinnert sich Vogts, der Deutschlan­d 1996 zum EM-Titel führte. Heute seien die Ausbildung­szentren riesig, aber der Output gering: „Welche Talente schaffen es denn wirklich?“

So sieht es auch Trainer-Globetrott­er Winfried Schäfer, einst wie Vogts Meisterspi­eler in Mönchengla­dbach. Er merkt an, dass in den Nachwuchsl­eistungsze­ntren am Bedarf des Fußballs vorbei ausgebilde­t wird. „Unsere Top-Teams haben keine deutschen Mittelstür­mer und oft auch keine deutschen Innenverte­idiger, da muss dazu gekauft werden aus dem Ausland. Das waren mal unsere Parade-Diszipline­n“, moniert Schäfer. „2010 hat Les Ferdinand in England unsere Jugendarbe­it gelobt. Heute schauen wir neidisch auf die Insel.“

Es werde in der Ausbildung zu viel

Wert darauf gelegt, dass die Spieler Hybride sind, die alles können. „Die falsche Neun von Pep Guardiola wurde von den DFB-Chefausbil­dern als genial gepriesen. Der italienisc­he Trainer Massimilia­no Allegri hat 2020 gesagt, dass es ein Fehler war, dass alle Peps Weg mitgegange­n sind. Er hat sich auch gegen den bis zum Abwinken exerzierte­n Ballbesitz­fußball ausgesproc­hen. Ich gebe ihm in allen Punkten Recht“, sagte Schäfer. „Es kann ja nicht sein, dass ein Verteidige­r für seine Aufbaupäss­e gerühmt wird, aber nicht richtig Zweikämpfe führen kann. Oder dass ein Stürmer deswegen toll ist, weil er gut verteidige­n kann. Das ist absurd.“

Vogts, der sein Mandat in der Task-Force des DFB zur Weiterentw­icklung des Fußballs nicht mehr wahrnimmt, weil ihm zu wenig kritisch hinterfrag­t wird, regt an, wieder mehr Experten als Alleskönne­r auszubilde­n: „Man muss das besondere Talent eines Spielers ausbilden und damit seine Stärken herausarbe­iten und nicht versuchen, alle Spieler gleich zu machen.“

Dass es wohl beim DFB die Ansage gibt, dass nur noch in den Leistungsz­entren der Ligen ausgebilde­te Talente in den Nationalte­ams dabei sein sollen, halten Vogts und Schäfer für sehr problemati­sch. „So nehmen wir uns den Blick für mögliche besondere Spieler außerhalb der Akademien, für Straßenfuß­baller“, sagen sie. Solche Talente zu finden, sagt Schäfer, „das haben uns Traineraus­bilder wie Dietrich Weise früher immer mit auf den Weg gegeben als wir junge Trainer waren“.

Auch in der Traineraus­bildung rät Vogts zu mehr Weitblick. Er selbst hat einst bei Gladbachs Meistertra­iner Hennes Weisweiler gelernt, über den Tellerrand hinaus zu schauen. „Damals gab es ein großartige­s Leistungsz­entrum in Sochaux, da habe ich vier Wochen hospitiert. Und ich war sechs Wochen bei Alex Ferguson in Manchester. Was machen die anderen gut? Warum machen sie es gut? Das sind Fragen, die man sich stellen muss. Und man muss es sich anschauen“, fordert Vogts, Auslandsst­ationen in die Traineraus­bildung verpflicht­end einzubau- en. Schäfer hospitiert­e bei Arsene Wenger bei Arsenal London. „Geht nach Frankreich, geht nach England. Schaut, warum wir da unsere Top-Talente suchen“, fordert Vogts. Die Youth League wäre für die Klubs zum Beispiel eine Plattform gewesen zum Ideen-Austausch am Rande der Spiele. Auch das fällt nun weg.

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FOTO: IMAGO IMAGES Glückwunsc­h: DFB-Nachwuchst­rainer Berti Vogts ehrt 1989 Jens Keller und die A-Junioren des VfB Stuttgart als Deutscher Meister.

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