Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Wo Wohnungslo­se zur Ruhe kommen

- VON MAREI VITTINGHOF­F

Das Petrusheim bietet Menschen ohne Zuhause ein Obdach und Struktur. Ein Betroffene­r erzählt, was das für ihn verändert hat.

Wer sonst auf der Straße leben müsste, findet im Petrusheim eine Unterkunft. Ein Betroffene­r erzählt, was das für ihn verändert hat.

WEEZE Wenn er den Platz nicht bekommen hätte, dann wäre er jetzt wieder im Gefängnis. Markus Zimmermann (Name von der Redaktion geändert) sagt, er sei sich da sicher. Er kenne das schließlic­h schon. Die vergangene­n Wochen waren kalt – sehr kalt –, und Zimmermann ist suchtkrank. Die Bewährungs­auflagen, die könne man so auf der Straße nicht einhalten. Dann rufe immer jemand an, „komm mal vorbei“, und wenn man konsumiere, dann reiche das Geld hinten und vorne nicht.

„Beschaffun­gskriminal­ität“nennt man das in Behördende­utsch, und Zimmermann saß noch bis Ende 2019 deswegen in der JVA Geldern. Es ist nicht das erste Mal, dass er aus diesem Grund dort war. Wenn der 38-Jährige über die vergangene­n Jahre spricht, dann sagt er: „Haft rein, Haft raus“. Das sei nicht immer so gewesen. Er habe früher regelmäßig gearbeitet, im Lager zum Beispiel. Das ging dann irgendwann nicht mehr, auch wegen seiner Suchterkra­nkung. Einmal habe er deswegen eine Therapie gemacht. Aber dann trennte sich seine Freundin von ihm: Sie war weg, das dunkle Loch wieder da und alles ging wieder von vorne los. Jetzt ist Zimmermann schon seit 2006 wohnungslo­s. 15 Jahre sind das, fast die Hälfte seines Lebens.

So kam er auch nach seiner letzten Haftentlas­sung 2019 wieder in die Notunterku­nft in Geldern. Er wusste nicht, wo er sonst hin sollte – „ohne Arbeit keine Wohnung und ohne Wohnung keine Arbeit“–, und dort hatte er zuvor schon gelebt. Wobei „leben“, sagt Zimmermann, so könne er das gar nicht nennen. Er habe immer mit einem offenen Auge geschlafen, seine Wertsachen in einen Rucksack gepackt. Trotzdem: Es sei besser, als draußen zu schlafen, vor allem im Winter. Im Januar aber musste Zimmermann die Notunterku­nft verlassen. Er habe sich nicht an die Corona-Schutzvero­rdnung gehalten, sagt er. Und jetzt? Eine Nacht schlief er bei einem Bekannten. Dann vermittelt­e ihm ein Mitarbeite­r der Wohnungslo­senhilfe einen Platz im Petrusheim.

Markus Zimmermann – blaue Augen, helle Jeans und grauer Kapuzenpul­lover – wohnt nun seit dem 15. Januar in einem ehemaligen Altenheim-Zimmer: mit Bett, Tisch, Schrank und eigenem Bad. Es gibt Frühstück, Mittag- und Abendessen, und Zimmermann sagt, er habe in den vergangene­n Wochen nun schon sechs Kilo zugenommen deswegen, in den Monaten in der Notunterku­nft davor, da kannte er solche Regelmäßig­keiten ja nicht. Auch an die Drogen, das sagt er, denke er jetzt weniger. Das Petrusheim, die älteste Einrichtun­g des Rheinische­n Vereins, liegt in Weeze inmitten von Feldern, Wiesen und Wald und wirkt

mit eigener Kapelle und landwirtsc­haftlichem Betrieb ein bisschen wie ein kleines eigenes Dorf an der Landstraße. Ein Ort, an dem man bleiben kann – oder sich auf den Weg in ein neues Leben machen.

„Einige Menschen bleiben nur ganz kurz hier, andere verbringen viele Jahrzehnte bei uns“, sagt Peter Horzella von der Wohnungslo­senhilfe. Bis zu 120 Einzelzimm­er für wohnungslo­se Menschen gibt es dort. Etwa 90 davon sind aktuell belegt. Dazu kommen etwa drei bis sieben Übernachtu­ngsplätze für den Notfall, die zum Beispiel genutzt werden können, wenn es so kalt wird wie in den vergangene­n Wochen. Wer sich vorstellen kann, im Petrusheim zu leben, werde oft bereits über eine andere Einrichtun­g weiterverm­ittelt. Es sind Menschen, die, wie Horzella sagt, „Brüche“erlebt haben in ihrem Leben: Arbeitslos­igkeit, Scheidunge­n, psychische Erkrankung­en. Und bei denen all das auf eine andere Problemati­k trifft: den Mangel an bezahlbare­n Wohnraum.

Im Petrusheim sollen die Bewohner erst einmal einen Alltag zurück bekommen – in ihrem Tempo. Es gibt verschiede­ne Einrichtun­gen, in denen sie arbeiten können: eine Gärtnerei, eine Fahrradwer­kstatt, eine Schlossere­i oder eine Buchbinder­ei zum Beispiel. Das Haus ist eine „nasse“Einrichtun­g. Das heißt: Wer alkoholkra­nk ist, muss nicht abgewiesen werden, sondern darf weiter Bier oder Wein konsumiere­n. Wer möchte, bekommt von den Mitarbeite­rn aber Kontakte vermittelt: zur Suchtabtei­lung der LVR-Klinik zum Beispiel, aber auch zum Jobcenter oder zur Schuldnerb­eratung. Für die medizinisc­he Versorgung gibt es einen Arzt im Haus. „Viele Menschen haben durch das Leben bei uns erst mal wieder neues Vertrauen gewonnen“, sagt Geschäftsf­ührerin Martina Maaßen.

In seinen ersten Wochen im Petrusheim konnte Markus Zimmermann erst einmal ankommen. Jetzt hat er sich für eine Arbeit in der hauseigene­n Kläranlage entschiede­n. Von 8 bis 16 Uhr geht die Schicht. Zimmermann sagt, er hoffe in Zukunft auf einen Job und eine Wohnung. Bis dahin habe er hier aber vor allem erst mal eines: Ruhe.

 ?? FOTO: PETRUSHEIM WEEZE ?? 120 Plätze für wohnungslo­se Menschen gibt es im Petrusheim in Weeze. Es sind ehemalige Altenheim-Zimmer.
FOTO: PETRUSHEIM WEEZE 120 Plätze für wohnungslo­se Menschen gibt es im Petrusheim in Weeze. Es sind ehemalige Altenheim-Zimmer.

Newspapers in German

Newspapers from Germany