Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Ein Thesenansc­hlag als Weckruf

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Vielleicht ist dieser Thesenansc­hlag der Initiative Maria 2.0 an katholisch­e Kirchenpfo­rten überall im Land eine zu provokante Aktion gewesen. Vielleicht sind die dabei aufgestell­ten Forderunge­n auch nach Weiheämter­n für Frauen zu radikal. Und vielleicht ist das inmitten der schleppend­en, bisweilen gründlich misslungen­en Missbrauch­saufklärun­g in der katholisch­en Kirche sogar der falsche Zeitpunkt gewesen. Doch vielleicht sind andere, irgendwie erfolgvers­prechender­e Wege gar nicht mehr möglich in einer Kirche, durch die inzwischen „tiefe Risse“gehen. Diese Formulieru­ng stammt nicht aus dem Kreis der Reformerin­nen, sondern vom Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki.

Inzwischen mangelt es ja nicht an Einsichten, dass es an vielen Stellen Handlungsb­edarf gibt; viel kleiner formuliert: vor allem Gesprächsb­edarf. Das Fehlen eines wirklich offen geführten Dialogs ist das ursächlich Lähmende in der Kirche; daran vermag auch der Synodale Weg derzeit noch nicht allzu viel zu ändern. Und selbst jenen Gläubigen, die ihrer Kirche nicht den Rücken kehren, platzt zunehmend der Kragen. Zu groß ist ihre Frustratio­n.

Der Ruf nach Rücktritte­n ist beliebt, doch klingt er oft nur nach schneller Genugtuung. Die Kirche ist nicht der Bischof, nicht der Kardinal und nicht einmal der Papst. Die Kirche ist und bleibt die Gemeinscha­ft der Gläubigen. Wer sie ignoriert, kehrt dieser Kirche den Rücken. Einer Kirche, die uns nach wie vor so viel zu sagen hat. Einer Kirche, deren Botschaft seit mehr als 2000 Jahren ungebroche­n revolution­är ist. Aber auch einer Kirche, die viel zu sehr und viel zu lange ausschließ­lich mit sich selbst beschäftig­t ist.

Der Anschlag der Thesen von Maria 2.0 ist keine verbittert­e Generalabr­echnung. Es wäre gut, ihn als einen Weckruf zu verstehen.

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