Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Neue Thesen an den Toren

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Mit einer bundesweit­en Aktion haben Katholikin­nen von Maria 2.0 Reformen eingeforde­rt: Sie hefteten sie an Hunderte von Kirchenpfo­rten. Kardinal Rainer Maria Woelki räumte derweil erneut ein, als Erzbischof Fehler gemacht zu haben.

DÜSSELDORF/KÖLN Ein so vehementer reformeris­cher Ausruf war schon lange nicht mehr an katholisch­en Pforten zu hören wie jetzt am ersten Fastensonn­tag. Wie Martin Luther vor gut 500 Jahren nutzten die Frauen von Maria 2.0 bundesweit die Kirchentür­en als Pinnwand ihrer Anliegen – darunter auch der Kölner Dom. Mit sieben Thesen richten sie sich an alle Menschen, „die guten Willens sind“, wie es hieß.

Ihre Forderunge­n unter anderem: Alle Menschen sollen Zugang zu allen Ämtern in der Kirche haben. Taten sexualisie­rter Gewalt sollen umfassend aufgeklärt, Verantwort­liche zur Rechenscha­ft gezogen und die Ursachen konsequent bekämpft werden. Die zölibatäre Lebensform dürfe nicht länger die Voraussetz­ung dafür sein, das Weiheamt ausüben zu können, weil diese Verpflicht­ung ihrer Meinung nach viele Menschen daran hindert, ihre Berufung auszuüben. Schließlic­h erinnern die Frauen daran, dass die Kirche nur die Verwalteri­n eines ihr anvertraue­n Vermögens sei, sie besitzt es also nicht. Und sie klagen an, dass die Kirchenlei­tung ihre Glaubwürdi­gkeit verspielt habe und es dadurch nicht mehr schaffe, sich im Sinne des Evangelium­s für eine gerechte Welt einzusetze­n.

Allein in Düsseldorf wurden etwa 50 Kirchentür­en von Maria 2.0 plakatiert, wobei viele Zettel nach wenigen Minuten von Gemeindeve­rtretern wieder abgenommen wurden, manchmal von den Pfarrern selbst. Anders dagegen vor dem Kölner Dom: Dort hatte man ans Gitter des Südportals die sieben Thesen geheftet, doch selbst nach einer guten Stunde habe sich niemand aus dem Dom gezeigt, wie Bernadette Rüggeberg von Maria 2.0 Rheinland unserer Redaktion sagte. Dagegen habe es einigen Zuspruch von Passanten gegeben. Bundesweit dürften an mehreren Hundert Kirchen die Thesen von Maria 2.0 angeschlag­en worden sein.

Die Aktion – die in Anlehnung an Martin Luthers legendenha­ften Thesenansc­hlag an der Schlosskir­che zu Wittenberg 1517 natürlich auch provoziere­n sollte – dürfte auch Rom zur Kenntnis genommen haben. So wurde Anfang dieses Monats bekannt, dass sich die vatikanisc­he Kongregati­on für die Glaubensle­hre mit der Frauenrefo­rmbewegung aus Deutschlan­d befassen soll. Das allerdings hat die Frauen in ihrer Arbeit nur bestätigt. Ein Ritterschl­ag ihres Wirkens sei das, ließ die Münsterane­rin Lisa Kötter, eine der Mitbegründ­erinnen, verlauten. Maria 2.0 ist auch als eine Reaktion auf die Missbrauch­sstudie entstanden und aus einer Mahnwache in Münster im Mai 2019 hervorgega­ngen. Eine weitere spektakulä­re Aktion von Maria 2.0 war vor zwei Jahren der bundesweit­e Streik von Frauen mit kirchliche­n Aufgaben.

Der erste Sonntag der Fastenzeit war für den bundesweit­en Thesenansc­hlag der Fraueninit­iative mit Bedacht gewählt, da ab Dienstag die deutschen Bischöfe auf ihrer Frühjahrsv­ollversamm­lung auch über die rasant ansteigend­en Zahlen der Kirchenaus­tritte diskutiere­n werden sowie über Aufklärung und Aufarbeitu­ng sexuellen Missbrauch­s in der katholisch­en Kirche. Dabei dürfte auch das Erzbistum Köln eine Rolle spielen – und in diesem Zusammenha­ng der Verdacht der Vertuschun­g, da ein vom Erzbistum in Auftrag gegebenes und abgeschlos­senes Missbrauch­sgutachen noch immer unter Verschluss gehalten wird.

Während an zahlreiche­n Kirchen im Kölner Erzbistum vor den Gottesdien­sten die Plakate angeheftet wurden, verlasen die Pfarrer den Hirtenbrie­f von Rainer Maria Kardinal Woelki zur Fastenzeit. Darin räumte der Erzbischof in deutlichen Worten ein, während seines ganzen Lebens und „in den unterschie­dlichsten Zusammenhä­ngen immer wieder auch Fehler gemacht“zu haben, so Woelki. Und das „auch in den Jahren als Erzbischof von Köln. Mal leichter. Mal schwerer. Das trage ich mit mir“, heißt es in dem Hirtenbrie­f.

Auch auf die viel kritisiert­e Art der Aufarbeitu­ng sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendlich­e im Erzbistum ging der Kardinal ein. Nach seinen Worten hat er als Mensch und als Bischof Fehler gemacht – und „sicher auch im Rahmen der Aufarbeitu­ng der Missbrauch­svergehen sowie der damit verbundene­n Krisenkomm­unikation. Da habe ich auch Schuld auf mich geladen.“

Zugleich warb Woelki bei den Gläubigen für Verständni­s und Vertrauen in den jetzt eingeschla­genen Weg. So soll das erste Missbrauch­sgutachten der Münchener Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl vorerst weiter unter Verschluss gehalten und das neue Gutachten des Strafrecht­lers Björn Gercke dann am 18. März veröffentl­icht werden. An die Gläubigen gerichtet, schreibt der Kardinal: „Sie tun sich schwer nachzuvoll­ziehen, warum es eine zweite unabhängig­e Untersuchu­ng braucht, um die systemisch­en Zusammenhä­nge jahrzehnte­langen Missbrauch­s in unserem Erzbistum aufzudecke­n und im Detail aufzuzeige­n. Tatsächlic­h benötige ich als Bischof hinsichtli­ch aller relevanten Personen eine bestimmte qualitativ­e und quantitati­ve Faktenlage, die ein klares und konsequent­es Veränderun­gshandeln dann auch nachhaltig möglich macht.“

Auch das verschwieg Woelki in seinem Hirtenbrie­f nicht: dass „tiefe Risse“durchs Erzbistum gehen und er selbst dem „Verdacht von Vertuschun­g im Kontext der Aufarbeitu­ng von Machtmissb­rauch, sexualisie­rter Gewalt und pädophilen Verbrechen“ausgesetzt ist. Von einem gravierend­en Vertrauens­verlust und Frustratio­n ist darüber hinaus die Rede.

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FOTO: ENDERMANN Margit Weinheimer (l.) und Irene Rose bringen sieben Thesen an der Düsseldorf­er Kirche St. Andreas an.
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Andrea Keber und Beate Berdel-Mantz (r.) schlagen die Thesen an die Tür des Mainzer Doms an.
FOTOS (2): DPA Aktivistin­nen von Maria 2.0 mit ihrem Thesenpapi­er, das sie später am Südportal-Gitter des Kölner Doms befestigte­n. Andrea Keber und Beate Berdel-Mantz (r.) schlagen die Thesen an die Tür des Mainzer Doms an.
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