Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Wir waren die Roboter
Das Elektronik-Duo Daft Punk gibt es nicht mehr. Sein Einfluss auf den Gegenwartspop war enorm, aber das Heimweh nach der Zukunft noch größer. Ein Abschiedsgruß.
Es ist kein gutes Zeichen, wenn Roboter ins Grübeln kommen. Auf dem letzten Album von Daft Punk, „Random Access Memories“aus dem Jahr 2013, begegnete der Hörer in dem Stück „Within“einer traurigen Maschine. Sie war ganz offensichtlich geplagt von Heimweh nach der Zukunft. Sie wollte zurück ins Morgen. „Please tell me who I am“, flehte sie mit elektronisch verzerrter Stimme. Eine Antwort bekam sie nicht. Das letzte Stück des Albums, das fast überall auf der Welt Platz eins erreichte, dehnte den Sound eines startenden Raumschiffs schließlich auf sechs Minuten. Die Zeichen standen also damals schon auf Abflug.
Das französische Elektronik-Duo Daft Punk hat seine Trennung bekanntgegeben. Die Nachricht wurde stilecht verbreitet. Die beiden Musiker Thomas Bangalter und Guy-Manuel de Homem-Christo, die ihre Gesichter seit Jahren hinter Helmen verbergen, schickten ein ohne Worte auskommendes Video in die Welt. Ihre Roboter sind in einer Wüste zu sehen. Der eine zieht seine Jacke aus, an seinem Rücken klebt ein Zeitzünder. Der andere aktiviert ihn. Explosion, ein Dreieck und die Jahreszahlen 1993–2021.
28 Jahre währte die Partnerschaft des Duos, dessen Einfluss auf die zeitgenössische Popmusik enorm ist. Sie waren keine Neuschöpfer wie Kraftwerk, deren Tradition sie fortführten. Aber sie verdichteten die Erzählung von der Mensch-Maschine, sie aktualisierten und verweltlichten sie. Sie öffneten sie für musikalische Strömungen, die einst von gitarrespielenden Wesen aus Fleisch und Blut in Gang gesetzt wurden. In kurzer Zeit infizierten sie damit die internationale Mainstream-Pop-Produktion. Ein Stück wie „Music“(2000) von Madonna weist offensichtlich auf Daft Punk zurück.
Noch massiver wirkte „Discovery“von 2001 auf die Gegenwart. Damals gaben sich Daft Punk das ikonische Auftreten mit goldenem (Homem-Christo) und silbernem (Bangalter) Helm. In einer triumphalen Tournee brachten sie ihre Musik in die Konzertsäle, und wer ihren Auftritt 2007 in der Düsseldorfer Philips-Halle erlebte, dürfte mit offenem Mund dagestanden haben, als die maskierten Künstler von einer beleuchteten Pyramide herab ultralaute Beats und Effekte auf die Besucher prasseln ließen. Als das durch Daft Punk befeuerte Genre Electronic Dance Music (EDM) zu einem Millionengeschäft wurde, griffen Künstler wie Skrillex auf ähnliche Inszenierungen zurück.
Daft Punk sampelten ihre Sounds zu jener Zeit. Das Herzstück aus „Harder, Better, Faster, Stronger“etwa stammt aus dem Song „Cola Bottle Baby“von Edwin Birdsong. Kanye West baute aus dieser Adaption 2007 seinen Hit „Stronger“. Sechs Jahre später ließ er die Franzosen vier Stücke seines Meisterwerks „Yeezus“produzieren.
Roboter, die die Menschen nach dem Sound der Zukunft süchtig gemacht haben, müssen sich irgendwann fragen, wie es für sie weitergeht. Kraftwerk hatten dasselbe Problem. Sie haben es gelöst, indem sie das Phänomen der Zeit einfach als allzu weltliche Kategorie ad acta legten. Ihre Musik wurde für die Ewigkeit produziert, sie läuft unabhängig von ihren Schöpfern und losgelöst von den Zeitläuften weiter und immer weiter und wird auch von künftigen Generationen als Signal des Kommenden gehört werden.
Daft Punk wählten einen anderen Weg. Sie fuhren auf der Autobahn mit Vollgas in die entgegengesetzte Richtung. Ihr Album „Random Access Memories“klingt wie eine Reise in die Vergangenheit. Wobei sich Daft Punk nicht verkneifen konnten, manchmal aus dem Heckfenster zu blinzeln. Sie wollten eine Platte machen, die aus Originalkompositionen und -arrangements besteht, die wiederum Material für Samples liefern. Sie buchten Musiker, die mit ihren Helden gespielt hatten, mit Michael Jackson und Sting etwa. Sie flirteten mit Soft Rock à la 10CC, und schon die Schrifttype, in der sie den Albumtitel aufs Cover drucken ließen, verrät sie: Es ist dieselbe wie bei „Thriller“von Michael Jackson.
Die Platte wurde der Mega-Erfolg, auf den sie spekuliert hatten. „Get Lucky“, die von Pharrell Williams gesungene und von Nile Rodgers mit einem unwiderstehlichen Groove unterlegte Hymne, lief immer dann im Radio, wenn man es einschaltete. „Get Lucky“einte eine Welt, es ist eins dieser immer seltener werdenden Beispiele für die große und alle umarmende Magie des Pop.
Die zweite Generation der Maschinenmenschen sehnte sich ganz offensichtlich nach menschlicher Wärme. Nicht Kraftwerk thronten als Hausheilige über dieser Platte, sondern der stärker für Körper und Zwischenmenschlichkeit komponierende Giorgio Moroder, der auch einen fabelhaften Auftritt im Stück „Giorgio By Moroder“bekam. Daft Punk ging es plötzlich vor allem um Timbre und Klang, um Schmelz und Swing. „Diese Dinge sind unmöglich mit Maschinen zu kreieren“, sagten sie in einem ihrer raren Interviews. „You’ve almost convinced me I’m real“, heißt es in „Touch“.
Als sie mit The Weeknd das Lied „Starboy“produzierten und als ersten ihrer Songs an die Spitze der USCharts brachten, war die Mission erfüllt. „Like the legend of the Phoenix, all ends with beginnings“, heißt es in „Get Lucky“. Die Energie des Anfangens ist, was die Planeten in Bewegung hält. Daft Punk wussten das.
Sie werden nun irgendwo schweben, wo noch kein Mensch gewesen ist. Wer weiß, vielleicht versorgen sie bereits andere Wesen jenseits des Sirius mit ihrer Musik. Aber vielleicht fahren sie auch einfach nur nach Hause.
Get Lucky.