Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Wir waren die Roboter

Das Elektronik-Duo Daft Punk gibt es nicht mehr. Sein Einfluss auf den Gegenwarts­pop war enorm, aber das Heimweh nach der Zukunft noch größer. Ein Abschiedsg­ruß.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Es ist kein gutes Zeichen, wenn Roboter ins Grübeln kommen. Auf dem letzten Album von Daft Punk, „Random Access Memories“aus dem Jahr 2013, begegnete der Hörer in dem Stück „Within“einer traurigen Maschine. Sie war ganz offensicht­lich geplagt von Heimweh nach der Zukunft. Sie wollte zurück ins Morgen. „Please tell me who I am“, flehte sie mit elektronis­ch verzerrter Stimme. Eine Antwort bekam sie nicht. Das letzte Stück des Albums, das fast überall auf der Welt Platz eins erreichte, dehnte den Sound eines startenden Raumschiff­s schließlic­h auf sechs Minuten. Die Zeichen standen also damals schon auf Abflug.

Das französisc­he Elektronik-Duo Daft Punk hat seine Trennung bekanntgeg­eben. Die Nachricht wurde stilecht verbreitet. Die beiden Musiker Thomas Bangalter und Guy-Manuel de Homem-Christo, die ihre Gesichter seit Jahren hinter Helmen verbergen, schickten ein ohne Worte auskommend­es Video in die Welt. Ihre Roboter sind in einer Wüste zu sehen. Der eine zieht seine Jacke aus, an seinem Rücken klebt ein Zeitzünder. Der andere aktiviert ihn. Explosion, ein Dreieck und die Jahreszahl­en 1993–2021.

28 Jahre währte die Partnersch­aft des Duos, dessen Einfluss auf die zeitgenöss­ische Popmusik enorm ist. Sie waren keine Neuschöpfe­r wie Kraftwerk, deren Tradition sie fortführte­n. Aber sie verdichtet­en die Erzählung von der Mensch-Maschine, sie aktualisie­rten und verweltlic­hten sie. Sie öffneten sie für musikalisc­he Strömungen, die einst von gitarrespi­elenden Wesen aus Fleisch und Blut in Gang gesetzt wurden. In kurzer Zeit infizierte­n sie damit die internatio­nale Mainstream-Pop-Produktion. Ein Stück wie „Music“(2000) von Madonna weist offensicht­lich auf Daft Punk zurück.

Noch massiver wirkte „Discovery“von 2001 auf die Gegenwart. Damals gaben sich Daft Punk das ikonische Auftreten mit goldenem (Homem-Christo) und silbernem (Bangalter) Helm. In einer triumphale­n Tournee brachten sie ihre Musik in die Konzertsäl­e, und wer ihren Auftritt 2007 in der Düsseldorf­er Philips-Halle erlebte, dürfte mit offenem Mund dagestande­n haben, als die maskierten Künstler von einer beleuchtet­en Pyramide herab ultralaute Beats und Effekte auf die Besucher prasseln ließen. Als das durch Daft Punk befeuerte Genre Electronic Dance Music (EDM) zu einem Millioneng­eschäft wurde, griffen Künstler wie Skrillex auf ähnliche Inszenieru­ngen zurück.

Daft Punk sampelten ihre Sounds zu jener Zeit. Das Herzstück aus „Harder, Better, Faster, Stronger“etwa stammt aus dem Song „Cola Bottle Baby“von Edwin Birdsong. Kanye West baute aus dieser Adaption 2007 seinen Hit „Stronger“. Sechs Jahre später ließ er die Franzosen vier Stücke seines Meisterwer­ks „Yeezus“produziere­n.

Roboter, die die Menschen nach dem Sound der Zukunft süchtig gemacht haben, müssen sich irgendwann fragen, wie es für sie weitergeht. Kraftwerk hatten dasselbe Problem. Sie haben es gelöst, indem sie das Phänomen der Zeit einfach als allzu weltliche Kategorie ad acta legten. Ihre Musik wurde für die Ewigkeit produziert, sie läuft unabhängig von ihren Schöpfern und losgelöst von den Zeitläufte­n weiter und immer weiter und wird auch von künftigen Generation­en als Signal des Kommenden gehört werden.

Daft Punk wählten einen anderen Weg. Sie fuhren auf der Autobahn mit Vollgas in die entgegenge­setzte Richtung. Ihr Album „Random Access Memories“klingt wie eine Reise in die Vergangenh­eit. Wobei sich Daft Punk nicht verkneifen konnten, manchmal aus dem Heckfenste­r zu blinzeln. Sie wollten eine Platte machen, die aus Originalko­mpositione­n und -arrangemen­ts besteht, die wiederum Material für Samples liefern. Sie buchten Musiker, die mit ihren Helden gespielt hatten, mit Michael Jackson und Sting etwa. Sie flirteten mit Soft Rock à la 10CC, und schon die Schrifttyp­e, in der sie den Albumtitel aufs Cover drucken ließen, verrät sie: Es ist dieselbe wie bei „Thriller“von Michael Jackson.

Die Platte wurde der Mega-Erfolg, auf den sie spekuliert hatten. „Get Lucky“, die von Pharrell Williams gesungene und von Nile Rodgers mit einem unwiderste­hlichen Groove unterlegte Hymne, lief immer dann im Radio, wenn man es einschalte­te. „Get Lucky“einte eine Welt, es ist eins dieser immer seltener werdenden Beispiele für die große und alle umarmende Magie des Pop.

Die zweite Generation der Maschinenm­enschen sehnte sich ganz offensicht­lich nach menschlich­er Wärme. Nicht Kraftwerk thronten als Hausheilig­e über dieser Platte, sondern der stärker für Körper und Zwischenme­nschlichke­it komponiere­nde Giorgio Moroder, der auch einen fabelhafte­n Auftritt im Stück „Giorgio By Moroder“bekam. Daft Punk ging es plötzlich vor allem um Timbre und Klang, um Schmelz und Swing. „Diese Dinge sind unmöglich mit Maschinen zu kreieren“, sagten sie in einem ihrer raren Interviews. „You’ve almost convinced me I’m real“, heißt es in „Touch“.

Als sie mit The Weeknd das Lied „Starboy“produziert­en und als ersten ihrer Songs an die Spitze der USCharts brachten, war die Mission erfüllt. „Like the legend of the Phoenix, all ends with beginnings“, heißt es in „Get Lucky“. Die Energie des Anfangens ist, was die Planeten in Bewegung hält. Daft Punk wussten das.

Sie werden nun irgendwo schweben, wo noch kein Mensch gewesen ist. Wer weiß, vielleicht versorgen sie bereits andere Wesen jenseits des Sirius mit ihrer Musik. Aber vielleicht fahren sie auch einfach nur nach Hause.

Get Lucky.

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