Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Der Geist im Kick
Philipp Lahm stellt sein Buch vor – und erklärt seine Thesen zum Thema Coming-out.
MÜNCHEN Als der sechsjährige Philipp Lahm im Münchner Stadtviertel Gern immer wieder auf der Straße kickte, entdeckte er im Spiel ein Gefühl für Fairness, für Gemeinschaft, für Recht. Da wusste man noch nicht, was aus ihm mal wird. Und da wusste man auch nicht, dass Philipp Lahm im Jahr 2021 auf dem Podium des Literaturhauses München Platz nimmt und sein neues Buch vorstellt. Das Haus am Salvatorplatz ist der Hochaltar der Literaturszene in der bayerischen Landeshauptstadt.
Kick trifft auf Kultur – eine spannende Aufstellung für den Abend, der am Montag live gestreamt wurde. Tanja Graf, Verlegerin und Leiterin des Literaturhauses, begrüßt den einstigen Profi-Fußballer. Dunja Hayali, Moderatorin des ZDF-„Sportstudios“, befragt Lahm. Sie ist fußballversiert und liefert zugleich immer wieder tiefenscharfe gesellschaftspolitische Analysen.
Fußball ist einfach, schreibt Lahm. „Ein Spiel, das überall gespielt werden kann, wo es ein paar Meter ebener Erde gibt.“Jedes Kind versteht die Regeln, weltweit. Darin liegt die Faszination. Doch der Autor fragt auch: „Hat nicht der ganze Rummel, der um diesen Sport gemacht wird, Ausmaße erreicht, die verstören?“Fußball als gesellschaftlicher Kitt und als ein Spiel, das „hohe Anforderungen an Körper und Geist“stelle – das ist die eine Seite der Lahm’schen Ausführungen. Die andere sind die wohl weiterhin zu wenig kritisierten Auswüchse, der Kommerz sowie die teils
„Unsere Gesellschaft ist vielfältig und bunt, und das ist auch gut so“
Philipp Lahm rät Fußballprofis dennoch von einem Coming-out ab
reaktionär-rassistische Haltung an manchen Fußball-Orten. Zwischen diesem Gegensatz bewegt sich der ganze Abend. Nicht alle Fußballer können so reflektiert darüber sprechen wie Lahm.
Gegen Rassismus auf dem Platz und in Fankurven wendet er sich massiv: „Unsere Gesellschaft ist vielfältig, ist bunt, und das ist auch gut so.“Als „Champions League an Verantwortung und Anstand“bezeichnet er das Drittliga-Spiel zwischen Münster und Würzburg vor einem Jahr: Als ein Zuschauer einen Spieler rassistisch beleidigte, riefen die Fans „Nazis raus“und zeigten auf den Rassisten. So konnte der Ordnungsdienst ihn fassen und der Polizei übergeben.
In anderen Bereichen bleibt Lahm vage. Zum Thema verheimlichte Depressionen und Angstzuständen bei Profis sagt er, es herrsche Konkurrenzkampf. „Es geht schnell weiter, es ist wie in einem Rad.“Sich als schwul zu outen, würde er keinem raten, denn es herrsche „enormer Gruppenzwang in der Kabine“. Da fragt man sich: Hat der Fußball gehörig etwas verpasst, geht es in den Kabinen noch zu wie vor 50 Jahren? Fragwürdig erscheint auch Lahms Aussage, dass bei einem Outing etwa bei Auswärtsspielen „Gefahren lauern“.
Lahm muss man sich weiterhin als rührigen Mann vorstellen. Er engagiert sich in seiner Stiftung für benachteiligte Kinder, verdient Geld mit einer Pflegeprodukt-Firma. Auch leitet er das Organisationskomitee für die EM 2024 in Deutschland. Mit seiner Familie lebt er weiterhin in München-Gern, dort bolzt jetzt sein achtjähriger Sohn rum.