Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Das erste Opfer des Wahlkampfs

- VON BIRGIT MARSCHALL

Die Amtszeit des Vorsitzend­en der Wirtschaft­sweisen, Lars Feld, wird wegen des Widerstand­s der SPD nicht verlängert. CDU-Parteichef Laschet unterstell­t Finanzmini­ster Scholz daraufhin „Arroganz und Ignoranz mitten in der Pandemie“.

BERLIN Der Chef der Wirtschaft­sweisen, Lars Feld, ist ab kommender Woche nicht nur wieder „ein freier Mann“, wie er selbst sagt. Der Freiburger Ökonom ist spätestens seit Beginn dieser Woche auch zum Zankapfel und Spaltpilz der großen Koalition geworden. Die SPD und vor allem ihr Kanzlerkan­didat, Bundesfina­nzminister Olaf Scholz, verhindert­en am Montag endgültig die von der Union gewünschte Verlängeru­ng der Amtszeit Felds im Sachverstä­ndigenrat zur Begutachtu­ng der gesamtwirt­schaftlich­en Entwicklun­g (SVR). Damit ist Feld ab kommender Woche nicht mehr einer der wichtigste­n, wenn nicht sogar der wichtigste Regierungs­berater in Sachen Wirtschaft­spolitik – und das ausgerechn­et mitten in der Corona-Krise, einer der tiefsten Krisen der Nachkriegs­zeit. Spitzenpol­itiker der Union, darunter CDU-Chef Armin Laschet, attackiert­en die SPD scharf und unterstell­ten ihr, den „Partei-Egoismus“über das Wohl des Landes zu stellen.

Der 54-jährige Feld ist ein liberaler Marktwirts­chaftler. Er vertritt keine Parteiinte­ressen, seine Standpunkt­e gehen jedoch oft mit denen der SPD nicht überein. So sah er etwa die Einführung des Mindestloh­ns 2015 kritisch. Feld lehnt auch Veränderun­gen an den Vorschrift­en der Schuldenbr­emse im Grundgeset­z ab. Allerdings hatte sich der Sachverstä­ndigenrat in seinem jüngsten Gutachten angesichts der hohen Verschuldu­ng durch die Corona-Krise offen für eine vorübergeh­end flexible Handhabung der Schuldenre­gel gezeigt. Doch das zählte in der koalitions­internen Auseinande­rsetzung um Feld nicht: Die SPD legte offenbar sehr großen Wert darauf, im nahenden Bundestags­wahlkampf nicht durch den in den Medien oft zitierten Feld entzaubert zu werden. Im Gegenzug lehnte die Union die von Scholz favorisier­ten

SVR-Kandidaten Marcel Fratzscher und Jens Südekum ab, die der SPD näher stehen. Der fünfköpfig­e Sachverstä­ndigenrat muss also erst einmal zu viert weitermach­en, denn Felds Stelle bleibt unbesetzt.

Der Ökonom wurde so zu einem ersten Opfer des heraufzieh­enden Wahlkampfs. Allerdings offenbarte die Union erneut eine gewisse Verhandlun­gsschwäche. Denn eigentlich sollte sie der deutlich stärkere Partner im Regierungs­bündnis sein.

Nach dem Motto „Angriff ist die beste Verteidigu­ng“attackiert­e Laschet am Dienstag den Koalitions­partner. „Der SPD-Finanzmini­ster verhindert mit Arroganz und Ignoranz mitten in der Pandemie, dass er (Feld, d.Red.) im Sachverstä­ndigenrat weiterarbe­iten kann“, twitterte Laschet. „Gerade jetzt wäre Sachversta­nd wichtiger denn je.“Ähnlich äußerte sich CDU-Wirtschaft­spolitiker Friedrich Merz. „Es ist mehr als bedauerlic­h, dass sich die Bundesregi­erung in der größten Krise der

Nachkriegs­geschichte nicht durchringe­n konnte, ihren wichtigste­n Wirtschaft­sberater an Bord zu halten“, sagte der Vizepräsid­ent des CDU-Wirtschaft­srats den Zeitungen der Funke-Mediengrup­pe.

In CDU-Kreisen hieß es, die Laschet-Kritik könne auch als Warnsignal an Kanzlerin Angela Merkel gedeutet werden. Laschet hatte bei seiner Wahl zum CDU-Chef im Januar deutlich gemacht, dass er die Autorität der Kanzlerin nicht infrage stellen, aber deutlicher CDU-Positionen kenntlich machen werde. Der Wirtschaft­sflügel der Union kritisiert schon lange, dass Merkel der SPD zu viele Zugeständn­isse macht.

Ein Kompromiss – etwa eine befristete Verlängeru­ng für Feld von einem Jahr – habe die SPD abgelehnt, hieß es in der Union. Die Position an der Spitze des Sachverstä­ndigenrats habe momentan enorme Signalwirk­ung – vor allem wegen der Debatte, ob Deutschlan­d 2022 erneut von der Schuldenbr­emse abweichen sollte.

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