Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Der lange Weg nach Budapest
Wie Borussia Mönchengladbach in zehn Jahren von Platz 18 der Bundesliga ins Achtelfinale der Champions League gestürmt ist.
Es sind, Luftlinie, ziemlich genau 1000 Kilometer, die zwischen Mönchengladbach und Ungarns Hauptstadt Budapest liegen. Dort findet, weil die deutsche Corona-Verordnung die Einreise des englischen Tabellenführers Manchester City nicht erlaubt, Borussias Heimspiel im Champions-League-Achtelfinale statt (21 Uhr/Dazn). Es ist wohl das größte internationale Spiel der Borussen seit dem Uefa-Cup-Finale 1980. Der Weg dahin hat fast zehn Jahre gedauert.
2011 war die Welt der Gladbacher noch eine komplett andere. Sie waren Tabellenletzter und gefühlt schon abgestiegen. Dass am 20. Februar der Aufstieg in ganz andere Sphären begonnen hatte, war da längst nicht abzusehen. Eben hatte Lucien Favre, der neue Schweizer Trainer, mit dem 2:1 gegen Schalke ein Ausrufezeichen gesetzt, und der 24. Februar war der Vorabend seines zweiten Spiels gegen den VfL
Wolfsburg.
Favre reanimierte Borussia, rettete sie in der Relegation und dann zündete er mit seinem Team den Turbo: Borussia stürmte mit tollstem Fußball auf Platz vier und spielte ein Jahr nach dem Beinahe-Absturz in Liga zwei um den Einzug in die Champions League. Drei weitere Jahre später hatte Favre es geschafft: Borussia war Dritter und dabei in der Königsklasse. Was geblieben ist: Das nachhaltige Fundament für das, was die Borussen heute sind – ein Team, das seit 2012 immer einstellig war und zudem immer bis zum letzten Spieltag um Europa, zuletzt sogar um die Königsklasse mitspielte. Zum dritten Mal seit 2015 spielen die Gladbacher nun bei den Besten Europas mit.
„Wir haben viel gemeinsam geschaffen. Als wir Lucien Favre 2015 verloren haben, dachten viele, dass dieses Aufflackern des Erfolges wieder vorbei sein würde. Aber wir haben immer wieder gute Trainer und Spieler gefunden und uns immer mehr stabilisiert“, sagte Max Eberl zuletzt im Interview mit unserer Redaktion. Und das unabhängig von Trainern. Es ist eine klare Identität da, eine, die immer wieder erweitert wird – die aber immer die Basis ist.
Seit dem Favre-Start hat Borussia genau 340 Ligaspiele absolviert, zehn komplette Spielzeiten. 548 Punkte hat Gladbach seither geholt, das ist ein Schnitt von 1,61 pro Spiel. Hochgerechnet auf eine Saison illustiert das den Standort der Gladbacher: als Europa-Kandidat mit Trend zur Champions League. Dass die nun verpasst werden könnte und dies als Krise beschrieben wird, ist letztlich ein Qualitätsmerkmal.
Doch sind auch die Ansprüche gestiegen. An die Tabelle, an den Fußball. Bei einem Klub, der einst in den 70ern den Konterfußball in seiner ganzen ästhetischen Bandbreite quasi erfand und 2012 in der ersten Hochphase der Neuzeit „Borussia Barcelona“getauft wurde, gehört die Schönheit des Spiels zum Anforderungsprofil. Aber inzwischen auch der Erfolg. Für den, der Dritter (2015) und Vierter (2012, 2016, 2020) war, für den fühlt sich der fünfte Platz und alles darunter als zweitoder drittbeste Lösung an.
Diese Borussia, die binnen zehn Jahren vom ständigen Abstiegskandidaten zu einer Mannschaft mit Topteam-Ambitionen geworden ist, tritt nun gegen das aktuell beste Team der Welt an, das seit 18 Spielen am Stück siegreiche Manchester City. Vor zehn Jahren wäre jemand, der ein solches Spiel vorhergesagt hätte, als unverbesserlicher Tagträumer abgetan worden, als Phantast. Die Favre-Zeit war dann aber eine
Zeitenwende, und zwar eine nachhaltige.
Favre selbst hat die Champions League bei Borussia nur als Debakel erlebt, sein einziges Spiel war das 0:3 gegen Sevilla. Vor dem ersten Treffen mit Manchester City 2015, dem ersten Heimspiel in der Königsklasse überhaupt, empfand sich Favre nicht mehr als richtigen Trainer für Gladbach und warf nach sechs Pflichtspiel-Niederlagen am Stück hin. Das dritte Treffen mit City in der Neuzeit findet erstmals in der K.o.-Runde der Meisterliga statt.
Es ist trotz aller Unruhe und Zukunftsangst, die manchen am Niederrhein umtreibt seit dem angekündigten Rose-Abgang, ein Spiel, in dem die Gladbacher nicht fern jeder Ambition unterwegs sind. „Wir haben uns in den letzten Jahren entwickelt und ich glaube, dass auch City nicht glücklich ist mit uns als Gegner. Wenn wir unser Top-Niveau auf den Platz bringen, werden wir uns vielleicht auf einer anderen Stufe messen als 2015 und 2016“, sagte Eberl.