Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Tausende Impfdosen bleiben liegen

Bundesweit sind erst 16 Prozent der gelieferte­n Einheiten von Astrazenec­a verabreich­t. Allein in Köln liegen 5000 auf Halde, und der Stau wächst. Ärzte kritisiere­n NRW-Gesundheit­sminister Laumann: Seine Vorgaben seien zu starr.

- Leitartike­l VON ANTJE HÖNING, MAXIMILIAN PLÜCK UND CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

DÜSSELDORF Die Imageprobl­eme von Astrazenec­a bremsen die Impfkampag­ne weiter aus. Die Bundesländ­er haben bereits mehr als 1,4 Millionen Dosen des britischen Hersteller­s erhalten. Doch bis Dienstag wurden nur rund 239.000 Dosen gespritzt, wie das Robert-Koch-Institut mitteilte. Damit sind erst 16 Prozent der verfügbare­n Dosen genutzt worden. Allein im Impfzentru­m Köln stapeln sich 5000 Dosen, wie der Leitende Impfarzt Jürgen Zastrow unserer Redaktion sagte. Seit dem 5. Februar bekomme Köln täglich 500 Dosen von Astrazenec­a geliefert, könne mangels Nachfrage aber nur 120 Dosen täglich verimpfen, „Der Stapel wird von Tag zu Tag größer“, sagte Zastrow.

Die Zahlen widerlegen Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU). Er hatte noch am Dienstag gesagt: „Astrazenec­a wird verimpft. Es gibt in Nordrhein-Westfalen kein Problem. All die Meldungen, die Leute wollten kein Astrazenec­a und haben Bedenken, lassen sich für Nordrhein-Westfalen nicht bestätigen.“

Der ungenutzte Impfstoff wird zwar nicht weggeschüt­tet, sondern für nachrücken­de Bewerber gelagert. Doch die müssen eingeladen werden. „Das kostet Zeit, die wir im Kampf gegen die Pandemie eigentlich nicht haben“, sagte Zastrow. „Aktuell laden wir Tausende Ärzte und ihre Teams in Köln zur Impfung ein. Das ist möglich, weil laut Infektions­schutzgese­tz Multiplika­toren, die mit Covid-Patienten zu tun haben, bevorzugt geimpft werden können. Auch Polizei- und Ordnungskr­äfte wollen wir einladen.“

Ähnlich sieht es in anderen Städten aus: Münster meldete zu Beginn der vergangene­n Woche eine Quote von rund 30 Prozent nicht wahrgenomm­ener Astrazenec­a-Termine. In Remscheid wird jeden Freitag mit Astrazenec­a geimpft: „Am ersten Freitag hatten wir nicht einen Ausfall. Am zweiten Freitag lag die Ausfallquo­te bei 20 Prozent“, sagte eine Sprecherin der Stadt. Auch Aachen meldet viele Ausfälle. In Düsseldorf sind rund 500 Astrazenec­a-Impfungen pro Tag geplant. Es gebe kaum Absagen, erklärte die Stadt, nannte aber keine Zahl.

Regierungs­sprecher Steffen Seibert appelliert­e, dem Impfstoff von Astrazenec­a Vertrauen zu schenken: „Er ist wirksam, er ist sicher.“Auch Impfarzt Zastrow betonte: „Astrazenec­a ist nicht schlechter als die Impfstoffe von Biontech und Moderna, er wird nur schlechtge­redet.“Zugleich mahnte der Impfarzt: „Jeder, der einen Termin nicht antritt, sollte wissen: Er kann sich und andere infizieren und am Ende töten.“

Zugleich nimmt die Kritik der Mediziner an Nordrhein-Westfalens Gesundheit­sminister Karl-Josef Laumann (CDU) zu. „Das Ministeriu­m macht den Impfzentre­n die Arbeit unnötig schwer“, kritisiert­e der Kölner Impfarzt. „Die Zentren mussten am 15. Dezember fertig sein, damit der Minister und sein Ministerpr­äsident etwas vorzeigen konnten. Das war alles Show. In Betrieb gegangen sind die Zentren erst am 8. Februar.“Dann habe das Ministeriu­m den Impfzentre­n verboten, sieben Dosen aus einem Biontech-Fläschchen zu ziehen. Später wurde dieses Verbot aufgehoben. „Wir müssen mit Blick auf die Mutante so schnell wie möglich viele Menschen impfen. Das geht nur mit flexiblen Lösungsweg­en vor Ort, nicht aber mit den dirigistis­chen und oft unsachgemä­ßen Erlassen des Ministeriu­ms“, so Zastrow. Auch die Kassenärzt­liche Vereinigun­g Nordrhein (KV) ist verärgert. „Jedes Vorziehen bestimmter Gruppen zieht den gesamten Impfprozes­s der Berechtigt­en mit höchster und hoher Priorität erheblich in die Länge“, sagte KV-Chef Frank Bergmann mit Blick auf die Regeln für Lehrer und Erzieher. Er halte es zwar für nachvollzi­ehbar, dass diese früh geimpft werden. Doch dürfe das nicht zulasten der Teams in den Haus- und Facharztpr­axen gehen. Diese müssten zügig durchgeimp­ft werden. Zuvor hatte schon die Gewerkscha­ft der Polizei scharfe Kritik an Laumann geübt.

Die SPD in Nordrhein-Westfalen machte Laschet für den Astrazenec­a-Stau mitverantw­ortlich: „Die Forderung des Ministerpr­äsidenten nach mehr Pragmatism­us ist zwar löblich. Aber er ist doch selbst für die Organisati­on verantwort­lich“, sagte Fraktionsv­ize Lisa Kapteinat. Sie forderte, Warteliste­n einzuricht­en, um übrig bleibenden Impfstoff schnell verabreich­en zu können.

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