Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Das Theater ums Theater
Lockerungen vom Lockdown sind Thema Nummer eins. Wann Kultur- und Sportstätten wieder öffnen werden, weiß gerade niemand – die Veranstaltungsbranche hat aber Konzepte für das Wie. Dieser Plan ist ambitioniert.
Viele Momente, die das Leben so lebenswert machen, sind nur in der Erinnerung greifbar. Das Dauerhusten dieses einen Gastes im Theatersaal, das Handyklingeln im Kino, selbst der schweißnasse Körperkontakt mit Fremden bei Konzerten zählen zu den Dingen, die inzwischen schmerzlich vermisst werden. Die gesundheitliche Gefahr ist noch zu groß, ja, aber die emotionalen Bedürfnisse werden größer.
Genau diese Einschränkungen und Verluste wirtschaftlicher wie eben auch emotionaler Art, die Corona im Bereich Sport und Kultur verursacht, haben die Branche dazu bewegt, tätig zu werden. Und zwar gemeinsam: Ein breites Bündnis hat sich über zwei Monate Gedanken gemacht, sich ausgetauscht, sich Rat geholt. Neben 40 Sport- und Kultureinrichtungen waren 20 Experten aus den Bereichen Infektiologie und Virologie, Raumlufttechnik, Gesundheitsökonomie sowie Sport-, Kultur- und Rechtswissenschaften beteiligt. Herausgekommen ist ein 20-seitiges Papier mit einem Konzept, das Wege aus dem Lockdown aufzeigt. Mitgezeichnet haben der Deutsche Fußball-Bund, der Handballbund, der Volleyball-Verband, der Basketball-Bund ebenso wie der Bühnenverein mit zahlreichen Einzeltheatern. Auch einige große Hallen und Arenen sind dabei.
Sie alle haben Hoffnung, wollen Mutmacher sein – für Künstler, Sportler, aber auch fürs Publikum. Sie wollen nicht mehr zusehen und abwarten. „Wir können nicht alles absperren, bis die letzte Person geimpft ist“, sagt der Berliner
Gesundheitsökonom
Florian Kainzinger, der die Initiative koordiniert. Was damit nicht gemeint sei: alles möglichst schnell wieder zu öffnen. Im Gegenteil, die Frage nach dem Zeitplan lässt das Bündnis bewusst offen. „Das Wann ist eine Frage, die die Politik gerne mit uns diskutieren kann“, sagt Kainzinger. „Aber wichtiger ist das Wie.“Zu beachten sei dabei primär die Auslastung des Gesundheitssystems – weniger die Inzidenzwerte.
Was ist der Plan? Der Leitfaden sieht zunächst ein Basiskonzept zur Rückkehr von Zuschauern vor. Bei geschlossenen Räumen wie Konzerthäusern, Theatern, Opern, Hallen oder Arenen ist demnach jeweils ein Hygiene-, Lüftungs- und Infektionsschutzkonzept notwendig. Zudem werden Konzepte zum Ein- und Auslass, für An- und Abreise verlangt. Dann empfehlen die Experten eine Zuschauerauslastung von 25 bis 30 Prozent. Bei Veranstaltungen draußen mit ähnlichen Standards sei eine Auslastung von bis zu 40 Prozent möglich.
Das Papier geht dabei sehr ins Detail: Wer darf wo mit wem sitzen? Was sollten Ordner kontrollieren? Wie viele Menschen dürfen sanitäre Anlagen gleichzeitig nutzen? Von personalisierten Tickets über Stehplätze in markierten Zonen bis hin zu Pausenkonzepten ist eigentlich an alles gedacht. Viel mehr kann eine Kultur- oder Sportstätte kaum selbst reglementieren.
Das Konzept unterscheidet weder zwischen Geimpften und Ungeimpften noch zwischen Menschen mit und ohne durchlebte Covid-Erkrankung. „Es ist ein allgemein anwendbares Modell zur Risikoreduktion bei Indoor-Veranstaltungen in einer Zeitperiode mit vertretbarer Inzidenz und steigendem Impfschutz der Risikobevölkerung“, heißt es da. Und: „Die hier beschriebene Vorgehensweise setzt bewusst einen hohen (medizinischen) Standard, um einen unkontrollierten ‚Wildwuchs’ von Hygienekonzepten zu unterbinden.“
Lieber zu viel als zu wenig, ist das Motto, und doch scheint es nicht genug. Bei der letzten Zusammenkunft der Ministerpräsidenten war die Kulturund Sportbranche kein Thema. Das soll sich in der kommenden Bund-Länder-Sitzung, die für 3. März geplant ist, ändern. Zudem hat das Robert-Koch-Intistut einen Vier-StufenPlan für Lockerungen entwickelt – was dem Kanzleramt als solide Grundlage für anstehende Entscheidungen dienen dürfte. Demnach sind die wichtigsten
Aus dem Konzeptpapier zur Rückkehr von Zuschauern
Indikatoren die Sieben-Tage-Inzidenz und die Auslastung der Intensivmedizin mit Covid-Patienten. Zwischen der aktuellen Lockdown-Situation (Stufe Rot) und der weitgehend normalen Situation (Basisstufe Grau) variiert die Inzidenz zwischen mehr als 50 (rot), 50 bis 35 (gelb), 35 bis 10 (grün) und unter zehn (grau). Erstaunlicherweise sieht der RKI-Plan schon eine Öffnung der Kinos, Theater und Museen im gelben Bereich vor – während etwa die Gastronomie noch geschlossen bleiben sollte. Erst im grünen Bereich hält das RKI eine Öffnung aller Bereiche (mit Schutzkonzepten) für sinnvoll.
Konzerte oder Festivals mit Zehntausenden Besuchern dürften mittelfristig wenig Chancen haben – auch wenn die Veranstalterkonzepte in beliebiger Größenordnung anwendbar sind und die Gefahr nicht automatisch steigt, wenn mehr Personen zusammenkommen, aber es genug Platz und ein Hygienekonzept gibt. Das RKI empfiehlt allerdings selbst bei der „Best Case“Situation mit Inzidenzen unter zehn nur Veranstaltungen mit bis zu 1000 Menschen – und dies auch nur im Freien. Bis eine solche Situation stabil anhält, dürfte es noch eine Weile dauern. Allein die Zielmarke von 35 bei der Sieben-Tage-Inzidenz halten Experten im Moment für unrealistisch angesichts der stark ansteckenden Mutationen.
Die Lösungen müssen also in kleinen Schritten kommen, eher wenige Menschen werden gleichzeitig wieder ins Kino, Theater oder ins Stadion gehen können. Dass es überhaupt wieder losgeht, sollte allerdings eher eine Frage von Wochen als von Monaten sein – unter aller gebotenen Vorsicht.
„Die Vorgehensweise setzt bewusst einen hohen Standard“