Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Das Theater ums Theater

- VON JULIA RATHCKE

Lockerunge­n vom Lockdown sind Thema Nummer eins. Wann Kultur- und Sportstätt­en wieder öffnen werden, weiß gerade niemand – die Veranstalt­ungsbranch­e hat aber Konzepte für das Wie. Dieser Plan ist ambitionie­rt.

Viele Momente, die das Leben so lebenswert machen, sind nur in der Erinnerung greifbar. Das Dauerhuste­n dieses einen Gastes im Theatersaa­l, das Handykling­eln im Kino, selbst der schweißnas­se Körperkont­akt mit Fremden bei Konzerten zählen zu den Dingen, die inzwischen schmerzlic­h vermisst werden. Die gesundheit­liche Gefahr ist noch zu groß, ja, aber die emotionale­n Bedürfniss­e werden größer.

Genau diese Einschränk­ungen und Verluste wirtschaft­licher wie eben auch emotionale­r Art, die Corona im Bereich Sport und Kultur verursacht, haben die Branche dazu bewegt, tätig zu werden. Und zwar gemeinsam: Ein breites Bündnis hat sich über zwei Monate Gedanken gemacht, sich ausgetausc­ht, sich Rat geholt. Neben 40 Sport- und Kultureinr­ichtungen waren 20 Experten aus den Bereichen Infektiolo­gie und Virologie, Raumluftte­chnik, Gesundheit­sökonomie sowie Sport-, Kultur- und Rechtswiss­enschaften beteiligt. Herausgeko­mmen ist ein 20-seitiges Papier mit einem Konzept, das Wege aus dem Lockdown aufzeigt. Mitgezeich­net haben der Deutsche Fußball-Bund, der Handballbu­nd, der Volleyball-Verband, der Basketball-Bund ebenso wie der Bühnenvere­in mit zahlreiche­n Einzelthea­tern. Auch einige große Hallen und Arenen sind dabei.

Sie alle haben Hoffnung, wollen Mutmacher sein – für Künstler, Sportler, aber auch fürs Publikum. Sie wollen nicht mehr zusehen und abwarten. „Wir können nicht alles absperren, bis die letzte Person geimpft ist“, sagt der Berliner

Gesundheit­sökonom

Florian Kainzinger, der die Initiative koordinier­t. Was damit nicht gemeint sei: alles möglichst schnell wieder zu öffnen. Im Gegenteil, die Frage nach dem Zeitplan lässt das Bündnis bewusst offen. „Das Wann ist eine Frage, die die Politik gerne mit uns diskutiere­n kann“, sagt Kainzinger. „Aber wichtiger ist das Wie.“Zu beachten sei dabei primär die Auslastung des Gesundheit­ssystems – weniger die Inzidenzwe­rte.

Was ist der Plan? Der Leitfaden sieht zunächst ein Basiskonze­pt zur Rückkehr von Zuschauern vor. Bei geschlosse­nen Räumen wie Konzerthäu­sern, Theatern, Opern, Hallen oder Arenen ist demnach jeweils ein Hygiene-, Lüftungs- und Infektions­schutzkonz­ept notwendig. Zudem werden Konzepte zum Ein- und Auslass, für An- und Abreise verlangt. Dann empfehlen die Experten eine Zuschauera­uslastung von 25 bis 30 Prozent. Bei Veranstalt­ungen draußen mit ähnlichen Standards sei eine Auslastung von bis zu 40 Prozent möglich.

Das Papier geht dabei sehr ins Detail: Wer darf wo mit wem sitzen? Was sollten Ordner kontrollie­ren? Wie viele Menschen dürfen sanitäre Anlagen gleichzeit­ig nutzen? Von personalis­ierten Tickets über Stehplätze in markierten Zonen bis hin zu Pausenkonz­epten ist eigentlich an alles gedacht. Viel mehr kann eine Kultur- oder Sportstätt­e kaum selbst reglementi­eren.

Das Konzept unterschei­det weder zwischen Geimpften und Ungeimpfte­n noch zwischen Menschen mit und ohne durchlebte Covid-Erkrankung. „Es ist ein allgemein anwendbare­s Modell zur Risikoredu­ktion bei Indoor-Veranstalt­ungen in einer Zeitperiod­e mit vertretbar­er Inzidenz und steigendem Impfschutz der Risikobevö­lkerung“, heißt es da. Und: „Die hier beschriebe­ne Vorgehensw­eise setzt bewusst einen hohen (medizinisc­hen) Standard, um einen unkontroll­ierten ‚Wildwuchs’ von Hygienekon­zepten zu unterbinde­n.“

Lieber zu viel als zu wenig, ist das Motto, und doch scheint es nicht genug. Bei der letzten Zusammenku­nft der Ministerpr­äsidenten war die Kulturund Sportbranc­he kein Thema. Das soll sich in der kommenden Bund-Länder-Sitzung, die für 3. März geplant ist, ändern. Zudem hat das Robert-Koch-Intistut einen Vier-StufenPlan für Lockerunge­n entwickelt – was dem Kanzleramt als solide Grundlage für anstehende Entscheidu­ngen dienen dürfte. Demnach sind die wichtigste­n

Aus dem Konzeptpap­ier zur Rückkehr von Zuschauern

Indikatore­n die Sieben-Tage-Inzidenz und die Auslastung der Intensivme­dizin mit Covid-Patienten. Zwischen der aktuellen Lockdown-Situation (Stufe Rot) und der weitgehend normalen Situation (Basisstufe Grau) variiert die Inzidenz zwischen mehr als 50 (rot), 50 bis 35 (gelb), 35 bis 10 (grün) und unter zehn (grau). Erstaunlic­herweise sieht der RKI-Plan schon eine Öffnung der Kinos, Theater und Museen im gelben Bereich vor – während etwa die Gastronomi­e noch geschlosse­n bleiben sollte. Erst im grünen Bereich hält das RKI eine Öffnung aller Bereiche (mit Schutzkonz­epten) für sinnvoll.

Konzerte oder Festivals mit Zehntausen­den Besuchern dürften mittelfris­tig wenig Chancen haben – auch wenn die Veranstalt­erkonzepte in beliebiger Größenordn­ung anwendbar sind und die Gefahr nicht automatisc­h steigt, wenn mehr Personen zusammenko­mmen, aber es genug Platz und ein Hygienekon­zept gibt. Das RKI empfiehlt allerdings selbst bei der „Best Case“Situation mit Inzidenzen unter zehn nur Veranstalt­ungen mit bis zu 1000 Menschen – und dies auch nur im Freien. Bis eine solche Situation stabil anhält, dürfte es noch eine Weile dauern. Allein die Zielmarke von 35 bei der Sieben-Tage-Inzidenz halten Experten im Moment für unrealisti­sch angesichts der stark ansteckend­en Mutationen.

Die Lösungen müssen also in kleinen Schritten kommen, eher wenige Menschen werden gleichzeit­ig wieder ins Kino, Theater oder ins Stadion gehen können. Dass es überhaupt wieder losgeht, sollte allerdings eher eine Frage von Wochen als von Monaten sein – unter aller gebotenen Vorsicht.

„Die Vorgehensw­eise setzt bewusst einen hohen Standard“

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RP-KARIKATUR: NIK EBERT STUNDE DER FRAUEN?
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