Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Olaf Scholz lobt die Bürger für ihre Anstrengungen und macht Fußballfans Hoffnung.
Der Bundesfinanzminister über Wege aus dem Corona-Lockdown, die richtige Impfstrategie und höhere Schulden auch in Zukunft.
Herr Scholz, plötzlich ist der Frühling ausgebrochen. Das Wetter wird besser, die Stimmung im Lockdown aber schlechter. Wie hält man die Menschen noch dazu an, sich coronakonform zu verhalten?
SCHOLZ Die meisten Bürgerinnen und Bürger verhalten sich sehr klug und halten sich an die Abstandsregeln. Da nutzt der Vorfrühling sogar, weil man gerne an der frischen Luft ist. Insgesamt hilft, klar zu sagen, was Sache ist: Wir alle gemeinsam haben es hingekriegt, dass die Infektionszahlen deutlich zurückgegangen sind und die Intensivstationen entlastet werden. Das ist die erste gute Nachricht. In dieser Woche haben vielerorts Kitas und Grundschulen wieder geöffnet – im Wechselunterricht und mit Masken, aber immerhin. Das ist die zweite gute Nachricht. Nächste Woche folgt die Öffnung der Friseursalons, was insbesondere viele Ältere wichtig finden. Und am Mittwoch werden die Bundesregierung und Länder miteinander diskutieren, wie die weiteren Öffnungsschritte aussehen können. Wir sind auf einem guten Weg.
Kann die Inzidenzzahl das alleinige Kriterium für Öffnungen sein? SCHOLZ Die Inzidenzzahlen sind ein wichtiges Kriterium. Wir müssen aber das ganze Umfeld in den Blick nehmen. Das Virus bleibt gefährlich – in Deutschland sind mehr als 65.000 Menschen durch Corona gestorben. Das ist eine sehr hohe Zahl. Deshalb müssen wir vorsichtig bleiben, bis weite Teil der Bevölkerung geimpft sind. Jetzt gilt: genügend Impfstoff beschaffen, viel testen und zügig impfen.
Kanzlerin Angela Merkel hat einen Vier-Stufen-Plan in Aussicht gestellt, obwohl die Zahlen derzeit aufgrund der Mutanten einen negativen Trend aufweisen. Ist das ein Kurswechsel?
SCHOLZ Der Kurs der Regierung hat die Infektionszahlen deutlich verringert und wird, wie gesagt, breit getragen. Und bereits in dem Beschluss von Januar steht, dass es um eine Öffnungsperspektive geht. Erste Öffnungsschritte mit Blick auf Schulen, Kitas und Friseure sind im Februarbeschluss enthalten. Jetzt geht es um die Öffnungsstrategie unter den aktuellen Bedingungen, also mit einer sich immer stärker ausbreitenden Mutation des Virus. Ergänzt aus meiner Sicht um eine umfangreiche Teststrategie mit Millionen von Schnelltests.
Ist das Testen bisher unterbelichtet? SCHOLZ Ich finde, dass wir im Vergleich zu anderen Ländern bislang wenig getestet haben, und das war nicht gut. Ich spreche mich seit Langem dafür aus, viel mehr zu testen. Das muss aber mit einer Strategie verbunden sein, was man mit dem jeweiligen Testergebnis anfängt. Das Virus und seine Mutationen werden uns noch eine Weile begleiten, fürchte ich. Wir müssen also Wege finden, wie wir es hinbekommen, nicht immer weiter im Lockdown leben zu müssen. Deshalb könnten wir die nächsten Öffnungsschritte mit Schnelltests verbinden. Darüber werden wir nächste Woche mit den Ministerpräsidentinnen und -präsidenten beraten. Für niemanden ist die aktuelle Situation einfach, deshalb ist mir eines ganz wichtig zu sagen: Wir haben allen Grund zur Hoffnung. Ich gehe davon aus, dass wir im Sommer wieder im Biergarten sitzen können und die nächste Bundesliga-Saison auch wieder im Stadion verfolgen werden.
Sie hatten auch die Impfkampagne kabinettsintern harsch kritisiert. Wie läuft es nun?
SCHOLZ Beim Thema Impfen sind wir gerade in einer Schlüsselphase: Die Aufgabe, die da vor uns liegt, ist riesengroß. Innerhalb vergleichsweise kurzer Zeit müssen wir etwa 60 Millionen Bürgerinnen und Bürger zweimal impfen, das ist organisatorisch und logistisch ein Mega-Projekt. Und dafür müssen wir jetzt – Bund, Länder und Kommunen – alle Vorbereitungen treffen, damit das zügig und möglichst reibungslos geschieht. Unsere bisherigen Kapazitäten reichen da schlicht nicht aus. Wenn wir Betriebsärzte und Hausärzte in die Impfkampagne einbeziehen wollen, muss auch das klug vorbereitet werden. Nachdem das mit der Impfstoff-Bestellung schlecht gelaufen ist, will ich nicht, dass wir beim Impfen die nächsten Schwierigkeiten bekommen und selbst den Impfstoff, den wir haben, nicht restlos verimpft bekommen, weil die Organisation nicht klappt.
Was für Probleme sehen Sie? SCHOLZ Wenn wir spätestens bis Herbstanfang mit den Impfungen durch sein wollen, wie das die Kanzlerin und der Gesundheitsminister versprochen haben, werden bald mehrere Millionen Impfungen pro Woche in ganz Deutschland stattfinden müssen. Sonst geraten wir, wie gesagt, in eine Situation, in der zwar Impfstoff da ist, die Leute aber trotzdem nicht geimpft werden. Ein zweites Problem: der ungerechtfertigt schlechte Ruf von Astrazeneca. Da kann ich nur an alle appellieren: Nehmt bitte auch diesen Impfstoff – auch er schützt wirksam vor der Infektion!
Die Corona-Krise kostet den Bund Abermilliarden. Planen Sie bereits einen Nachtragshaushalt?
SCHOLZ Der Bundestag hat uns für das laufende Jahr eine Kreditermächtigung von 180 Milliarden Euro gegeben. Darüber hinaus haben wir noch Spielräume, die wir im vorigen Jahr nicht genutzt haben. Wichtig ist aber doch vor allem: Wir haben die wirtschaftliche Kraft, alle gesundheitspolitischen und sozialen Folgen der Krise abzufedern. Die Wirtschaft hat sich im vergangenen Jahr besser entwickelt, als viele befürchtet hatten. Das ist auch eine Konsequenz unserer entschlossenen Politik. Bis zum Ende der Pandemie werde ich gegen diese Krise angehen – mit allem, was möglich und nötig ist.
Die Beratungen für den Bundeshaushalt 2022 laufen gerade. Was hören Sie an Ausgabewünschen aus den Ressorts?
SCHOLZ Das sind vertrauliche Verhandlungen, aus guten Gründen. Lassen Sie mich aber kurz den Rahmen beschreiben für den Haushalt 2022: Die Folgen der Corona-Krise werden sich mehrere Jahre lang auf unsere Steuereinnahmen auswirken, weil das vorausgesagte Niveau aufgrund der Pandemie natürlich nicht erreicht wird. Insofern werden wir mit weniger Einnahmen rechnen müssen bei weiterhin hohen Ausgaben. Auch im nächsten Jahr werden wir viel Geld aufwenden zum Schutz unserer Gesundheit und zur Finanzierung des Sozialstaates, der uns gerade sehr gut durch diese Krise bringt. Auch das Investitionsniveau muss weiterhin hoch bleiben, sonst verspielen wir die Zukunftschancen unseres Landes. All das müssen wir im Haushalt 2022 und der Finanzplanung bis 2025 abbilden. Bis Ende März muss die Koalition sich darüber eine Meinung bilden – vor dieser Entscheidung kann sich niemand drücken.
Das geht nur, wenn Sie die Schuldenbremse auch 2022 aussetzen. SCHOLZ Ich habe eben skizziert, vor welchen Aufgaben wir stehen.
Sie möchten höhere Steuern für starke Schultern durchsetzen. Verhindern Sie damit nicht Wachstum, weil Sie Leistungsträger bestrafen? SCHOLZ Diejenigen, die sehr hohe Einkommen und Vermögen haben, sollten nach dieser Krise nicht mit Steuersenkungen rechnen.
Das tun sie auch sicher nicht! SCHOLZ Mein Eindruck ist, dass da einige schon ganz forsch unterwegs sind im politischen Raum und meinen, Steuererleichterungen für Besserverdienende seien jetzt das Richtige. Nehmen Sie den Soli, den jetzt nur noch 1,35 Millionen Bürgerinnen und Bürger zahlen. Wir können auf die gut elf Milliarden Euro Einnahmen pro Jahr nicht verzichten. Um es ganz klar zu sagen: Steuererleichterungen für diese Gruppe wären eine Entscheidung gegen das Volk. Ich weiß mich mit der überwiegenden Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger einig, dass wir unser Steuersystem gerechter gestalten müssen. Dazu gehört, dass die, die sehr viel verdienen, einen etwas größeren Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwesens beitragen, damit die unteren und mittleren Einkommen etwas entlastet werden können.
Braucht es die Vermögensteuer? SCHOLZ Die SPD ist da schon immer klar: Wir befürworten die Vermögensteuer, damit Länder und Kommunen mehr Geld für die Infrastruktur, die Kitas, Schulen, öffentlichen Nahverkehr und Polizei zur Verfügung haben. Gleichzeitig darf die Frage, wie wir den Fortschritt organisieren, dabei nicht aus dem Blick geraten. Da unterscheiden wir uns von unseren Wettbewerbern. Die Konservativen und Liberalen denken meistens, die Zukunft ereigne sich von alleine, man müsse sie nur geschehen lassen. Das ist ein großer Irrtum, wenn es um die großen Zukunftsfragen geht, die jetzt entschieden werden müssen. Die Union hat keinen Plan für die Zukunft. Wenn die Union dranbleibt, wird uns das Wachstum und Wohlstand kosten.
Bedauern Sie den Finanzminister, der Ihnen nachfolgen wird?
SCHOLZ (schmunzelt) Als Bundeskanzler werde ich gut mit meinem Nachfolger oder meiner Nachfolgerin zusammenarbeiten.