Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Olaf Scholz lobt die Bürger für ihre Anstrengun­gen und macht Fußballfan­s Hoffnung.

Der Bundesfina­nzminister über Wege aus dem Corona-Lockdown, die richtige Impfstrate­gie und höhere Schulden auch in Zukunft.

- KERSTIN MÜNSTERMAN­N UND BIRGIT MARSCHALL FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

Herr Scholz, plötzlich ist der Frühling ausgebroch­en. Das Wetter wird besser, die Stimmung im Lockdown aber schlechter. Wie hält man die Menschen noch dazu an, sich coronakonf­orm zu verhalten?

SCHOLZ Die meisten Bürgerinne­n und Bürger verhalten sich sehr klug und halten sich an die Abstandsre­geln. Da nutzt der Vorfrühlin­g sogar, weil man gerne an der frischen Luft ist. Insgesamt hilft, klar zu sagen, was Sache ist: Wir alle gemeinsam haben es hingekrieg­t, dass die Infektions­zahlen deutlich zurückgega­ngen sind und die Intensivst­ationen entlastet werden. Das ist die erste gute Nachricht. In dieser Woche haben vielerorts Kitas und Grundschul­en wieder geöffnet – im Wechselunt­erricht und mit Masken, aber immerhin. Das ist die zweite gute Nachricht. Nächste Woche folgt die Öffnung der Friseursal­ons, was insbesonde­re viele Ältere wichtig finden. Und am Mittwoch werden die Bundesregi­erung und Länder miteinande­r diskutiere­n, wie die weiteren Öffnungssc­hritte aussehen können. Wir sind auf einem guten Weg.

Kann die Inzidenzza­hl das alleinige Kriterium für Öffnungen sein? SCHOLZ Die Inzidenzza­hlen sind ein wichtiges Kriterium. Wir müssen aber das ganze Umfeld in den Blick nehmen. Das Virus bleibt gefährlich – in Deutschlan­d sind mehr als 65.000 Menschen durch Corona gestorben. Das ist eine sehr hohe Zahl. Deshalb müssen wir vorsichtig bleiben, bis weite Teil der Bevölkerun­g geimpft sind. Jetzt gilt: genügend Impfstoff beschaffen, viel testen und zügig impfen.

Kanzlerin Angela Merkel hat einen Vier-Stufen-Plan in Aussicht gestellt, obwohl die Zahlen derzeit aufgrund der Mutanten einen negativen Trend aufweisen. Ist das ein Kurswechse­l?

SCHOLZ Der Kurs der Regierung hat die Infektions­zahlen deutlich verringert und wird, wie gesagt, breit getragen. Und bereits in dem Beschluss von Januar steht, dass es um eine Öffnungspe­rspektive geht. Erste Öffnungssc­hritte mit Blick auf Schulen, Kitas und Friseure sind im Februarbes­chluss enthalten. Jetzt geht es um die Öffnungsst­rategie unter den aktuellen Bedingunge­n, also mit einer sich immer stärker ausbreiten­den Mutation des Virus. Ergänzt aus meiner Sicht um eine umfangreic­he Teststrate­gie mit Millionen von Schnelltes­ts.

Ist das Testen bisher unterbelic­htet? SCHOLZ Ich finde, dass wir im Vergleich zu anderen Ländern bislang wenig getestet haben, und das war nicht gut. Ich spreche mich seit Langem dafür aus, viel mehr zu testen. Das muss aber mit einer Strategie verbunden sein, was man mit dem jeweiligen Testergebn­is anfängt. Das Virus und seine Mutationen werden uns noch eine Weile begleiten, fürchte ich. Wir müssen also Wege finden, wie wir es hinbekomme­n, nicht immer weiter im Lockdown leben zu müssen. Deshalb könnten wir die nächsten Öffnungssc­hritte mit Schnelltes­ts verbinden. Darüber werden wir nächste Woche mit den Ministerpr­äsidentinn­en und -präsidente­n beraten. Für niemanden ist die aktuelle Situation einfach, deshalb ist mir eines ganz wichtig zu sagen: Wir haben allen Grund zur Hoffnung. Ich gehe davon aus, dass wir im Sommer wieder im Biergarten sitzen können und die nächste Bundesliga-Saison auch wieder im Stadion verfolgen werden.

Sie hatten auch die Impfkampag­ne kabinettsi­ntern harsch kritisiert. Wie läuft es nun?

SCHOLZ Beim Thema Impfen sind wir gerade in einer Schlüsselp­hase: Die Aufgabe, die da vor uns liegt, ist riesengroß. Innerhalb vergleichs­weise kurzer Zeit müssen wir etwa 60 Millionen Bürgerinne­n und Bürger zweimal impfen, das ist organisato­risch und logistisch ein Mega-Projekt. Und dafür müssen wir jetzt – Bund, Länder und Kommunen – alle Vorbereitu­ngen treffen, damit das zügig und möglichst reibungslo­s geschieht. Unsere bisherigen Kapazitäte­n reichen da schlicht nicht aus. Wenn wir Betriebsär­zte und Hausärzte in die Impfkampag­ne einbeziehe­n wollen, muss auch das klug vorbereite­t werden. Nachdem das mit der Impfstoff-Bestellung schlecht gelaufen ist, will ich nicht, dass wir beim Impfen die nächsten Schwierigk­eiten bekommen und selbst den Impfstoff, den wir haben, nicht restlos verimpft bekommen, weil die Organisati­on nicht klappt.

Was für Probleme sehen Sie? SCHOLZ Wenn wir spätestens bis Herbstanfa­ng mit den Impfungen durch sein wollen, wie das die Kanzlerin und der Gesundheit­sminister versproche­n haben, werden bald mehrere Millionen Impfungen pro Woche in ganz Deutschlan­d stattfinde­n müssen. Sonst geraten wir, wie gesagt, in eine Situation, in der zwar Impfstoff da ist, die Leute aber trotzdem nicht geimpft werden. Ein zweites Problem: der ungerechtf­ertigt schlechte Ruf von Astrazenec­a. Da kann ich nur an alle appelliere­n: Nehmt bitte auch diesen Impfstoff – auch er schützt wirksam vor der Infektion!

Die Corona-Krise kostet den Bund Abermillia­rden. Planen Sie bereits einen Nachtragsh­aushalt?

SCHOLZ Der Bundestag hat uns für das laufende Jahr eine Kreditermä­chtigung von 180 Milliarden Euro gegeben. Darüber hinaus haben wir noch Spielräume, die wir im vorigen Jahr nicht genutzt haben. Wichtig ist aber doch vor allem: Wir haben die wirtschaft­liche Kraft, alle gesundheit­spolitisch­en und sozialen Folgen der Krise abzufedern. Die Wirtschaft hat sich im vergangene­n Jahr besser entwickelt, als viele befürchtet hatten. Das ist auch eine Konsequenz unserer entschloss­enen Politik. Bis zum Ende der Pandemie werde ich gegen diese Krise angehen – mit allem, was möglich und nötig ist.

Die Beratungen für den Bundeshaus­halt 2022 laufen gerade. Was hören Sie an Ausgabewün­schen aus den Ressorts?

SCHOLZ Das sind vertraulic­he Verhandlun­gen, aus guten Gründen. Lassen Sie mich aber kurz den Rahmen beschreibe­n für den Haushalt 2022: Die Folgen der Corona-Krise werden sich mehrere Jahre lang auf unsere Steuereinn­ahmen auswirken, weil das vorausgesa­gte Niveau aufgrund der Pandemie natürlich nicht erreicht wird. Insofern werden wir mit weniger Einnahmen rechnen müssen bei weiterhin hohen Ausgaben. Auch im nächsten Jahr werden wir viel Geld aufwenden zum Schutz unserer Gesundheit und zur Finanzieru­ng des Sozialstaa­tes, der uns gerade sehr gut durch diese Krise bringt. Auch das Investitio­nsniveau muss weiterhin hoch bleiben, sonst verspielen wir die Zukunftsch­ancen unseres Landes. All das müssen wir im Haushalt 2022 und der Finanzplan­ung bis 2025 abbilden. Bis Ende März muss die Koalition sich darüber eine Meinung bilden – vor dieser Entscheidu­ng kann sich niemand drücken.

Das geht nur, wenn Sie die Schuldenbr­emse auch 2022 aussetzen. SCHOLZ Ich habe eben skizziert, vor welchen Aufgaben wir stehen.

Sie möchten höhere Steuern für starke Schultern durchsetze­n. Verhindern Sie damit nicht Wachstum, weil Sie Leistungst­räger bestrafen? SCHOLZ Diejenigen, die sehr hohe Einkommen und Vermögen haben, sollten nach dieser Krise nicht mit Steuersenk­ungen rechnen.

Das tun sie auch sicher nicht! SCHOLZ Mein Eindruck ist, dass da einige schon ganz forsch unterwegs sind im politische­n Raum und meinen, Steuererle­ichterunge­n für Besserverd­ienende seien jetzt das Richtige. Nehmen Sie den Soli, den jetzt nur noch 1,35 Millionen Bürgerinne­n und Bürger zahlen. Wir können auf die gut elf Milliarden Euro Einnahmen pro Jahr nicht verzichten. Um es ganz klar zu sagen: Steuererle­ichterunge­n für diese Gruppe wären eine Entscheidu­ng gegen das Volk. Ich weiß mich mit der überwiegen­den Mehrheit der Bürgerinne­n und Bürger einig, dass wir unser Steuersyst­em gerechter gestalten müssen. Dazu gehört, dass die, die sehr viel verdienen, einen etwas größeren Beitrag zur Finanzieru­ng des Gemeinwese­ns beitragen, damit die unteren und mittleren Einkommen etwas entlastet werden können.

Braucht es die Vermögenst­euer? SCHOLZ Die SPD ist da schon immer klar: Wir befürworte­n die Vermögenst­euer, damit Länder und Kommunen mehr Geld für die Infrastruk­tur, die Kitas, Schulen, öffentlich­en Nahverkehr und Polizei zur Verfügung haben. Gleichzeit­ig darf die Frage, wie wir den Fortschrit­t organisier­en, dabei nicht aus dem Blick geraten. Da unterschei­den wir uns von unseren Wettbewerb­ern. Die Konservati­ven und Liberalen denken meistens, die Zukunft ereigne sich von alleine, man müsse sie nur geschehen lassen. Das ist ein großer Irrtum, wenn es um die großen Zukunftsfr­agen geht, die jetzt entschiede­n werden müssen. Die Union hat keinen Plan für die Zukunft. Wenn die Union dranbleibt, wird uns das Wachstum und Wohlstand kosten.

Bedauern Sie den Finanzmini­ster, der Ihnen nachfolgen wird?

SCHOLZ (schmunzelt) Als Bundeskanz­ler werde ich gut mit meinem Nachfolger oder meiner Nachfolger­in zusammenar­beiten.

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