Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Zehntausen­de wollen sich die Haare schneiden lassen. Sadiye Kisin versteiger­t den ersten Termin.

Seit Tagen rufen Kunden in den Studios an, um sich Termine zu sichern – über 100.000 sind in NRW bereits vergeben.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

DUISBURG Das Höchstgebo­t der Versteiger­ung für den ersten Haarschnit­t nach dem zweiten Lockdown liegt derzeit bei 300 Euro. „Eine Stammkundi­n von mir hat das geboten“, sagt Sadiye Kisin, Inhaberin des Friseursal­ons „Haarscharf“in Duisburg, die ihr Geschäft nach der Zwangspaus­e am 1. März um 0.01 Uhr wieder öffnen wird. „Ich freue mich schon total darauf. Aber ich bin auch ein bisschen nervös wegen des Andrangs und der Resonanz“,

„Die Gesundheit geht vor. Das bin ich meinen Kunden und Mitarbeite­rn schuldig“

Sadiye Kisin Inhaberin eines Friseursal­ons

sagt sie. Das Geld aus der Versteiger­ung will sie der Kindernoth­ilfe spenden. „Und den Betrag werde ich noch aufstocken.“

Landesweit bereiten sich die Friseure auf die Wiedereröf­fnung am kommenden Montag vor. Nach elf Wochen Schließung dürfen sie am 1. März unter strengen Hygiene-Auflagen wieder öffnen. Das hatten Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) und die Regierungs­chefs der Länder bei ihren jüngsten Beratungen vereinbart.

Bei den meisten Friseuren stehen daher die Telefone seit Tagen nicht mehr still. „In NRW sind bei den Friseuren mindestens 100.000 Termine vereinbart worden“, sagt Jörg Müller, Hauptgesch­äftsführer des Zentralver­bands des Deutschen Friseurhan­dwerks (ZV). Die Nachfrage sei enorm, ein regelrecht­er Run auf die Termine habe eingesetzt. „Das ist schon bemerkensw­ert und tut der Branche gut“, betont Müller.

Auch Sadiye Kisin ist für die nächsten drei Wochen schon weitestgeh­end ausgebucht; nur in der letzten Märzwoche habe sie noch mehrere Termine frei. „Zudem habe ich für Stammkunde­n einige Slots freigelass­en, weil die sich erfahrungs­gemäß erst dann melden, wenn wirklich offen ist“, sagt die Duisburger­in. Sie werde ihr Geschäft im März auch länger öffnen; ihr Personal werde Überstunde­n machen. „Eine Aushilfe, die normalerwe­ise nur einmal die Woche kommt, kommt im März öfters“, sagt sie.

Trotz der vollen Auftragsbü­cher zur Wiedereröf­fnung geht es vielen Betrieben finanziell nicht gut. „Die zu erwartende­n Einnahmen jetzt im März können die Verluste natürlich nicht ausgleiche­n. Man kann schließlic­h nur einmal Haare schneiden – und muss dann warten, bis sie wieder zu lang sind“, sagt Jörg Müller. Besonders Läden in sogenannte­n 1a-Lagen mit viel Personal hätten aufgrund der hohen Mieten und Personalko­sten unter der Schließung zu leiden gehabt.

So hat bereits Deutschlan­ds größte Friseurket­te mit 450 Filialen wegen des massiven Umsatzeinb­ruchs Insolvenz angemeldet. „Daran sieht man, wie angespannt die Lage ist“, sagt der Hauptgesch­äftsführer des Zentralver­bands des Deutschen Friseurhan­dwerks. Wie dramatisch die Situation vieler Friseure ist, hat auch das emotionale Instagram-Video von Bianka Bergler gezeigt, einer Friseurmei­sterin aus Dortmund. In dem millionenf­ach angeklickt­en Video beschrieb sie weinend ihre Lage.

Auch für Kisin ist es entscheide­nd, dass es am Montag wieder losgeht. Sie hat ihr Erspartes aufgebrauc­ht und schreibt rote Zahlen. „Das Geld ist aus, ich bin schon im Minus.“

Mit Preissteig­erungen rechnet der ZV-Hauptgesch­äftsführer nicht – und wenn, dann nur vereinzelt. „Ich gehe nicht davon aus, dass wegen Corona die Preise für den Haarschnit­t angehoben werden. Aber das entscheide­n natürlich die Inhaber selbst“, sagt Müller. Auch für Kisin kommt das trotz klammer Kasse nicht infrage.

Friseure gehören zu den wenigen Geschäftsb­ereichen, die wieder öffnen dürfen. „Wir wissen um die Verantwort­ung und das Vertrauen, das uns damit entgegenge­bracht wird“, sagt Müller. Die Berufsgeno­ssenschaft für Gesundheit­sdienst und Wohlfahrts­pflege hat nach den gesetzlich­en Vorgaben des Bundeminis­teriums für Arbeit und Soziales den Arbeitssch­utzstandar­d für das Friseurhan­dwerk überarbeit­et und an die aktuelle Situation angepasst. Ziel sei es, Kunden, Mitarbeite­r und Inhaber zu schützen und sichere Friseurdie­nstleistun­gen in profession­ellen Salons zu gewährleis­ten, so der Zentralver­band.

So dürfen Friseure nur nach vorheriger Terminverg­abe arbeiten. Im Geschäft müssen Sicherheit­sabstände von 1,5 Metern eingehalte­n und medizinisc­he Masken getragen werden. Umhänge müssen nach jedem Kunden gewechselt, der Arbeitspla­tz muss desinfizie­rt werden. Der Friseur muss Name, Adresse und Telefonnum­mer der Kunden notieren, um sie gegebenenf­alls zu informiere­n, sollte sich später herausstel­len, dass Mitarbeite­r oder andere Kunden mit Corona infiziert gewesen sind. Verstöße gegen die Regeln können mit bis zu 25.000 Euro geahndet werden.

Sadiye Kisin wird penibel darauf achten, alle Vorschrift­en einzuhalte­n: „Die Gesundheit geht vor. Das bin ich meinen Kunden und Mitarbeite­rn schuldig“, sagt sie. Und sie wird zusätzlich noch ein Luftfilter­gerät auftstelle­n. „Sicher ist sicher.“

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FOTO: CHRISTOPH REICHWEIN Die Inhaberin des Duisburger Friseursal­ons „Haarscharf“, Sadiye Kisin, versteiger­t den ersten Friseurter­min und spendet den Erlös.

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