Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

GELDERN Kröten über die Straße helfen.

- VON MAREI VITTINGHOF­F

Wenn es wieder milder wird, gehen Amphibien auf Wanderscha­ft, um sich fortzupfla­nzen. Um die Tiere vor Autos zu schützen, helfen in Geldern und Umgebung spezielle Zäune. Unterwegs mit Naturschüt­zern bei einer Rettungsak­tion.

GELDERN „Das sieht doch nach einer guten Ausbeute aus“, sagt Hermann-Josef Windeln. Er greift mit seiner Hand in einen schwarzen Eimer. Insgesamt elf Erdkröten sitzen dort auf dem Boden, Windeln erkennt sie sofort an ihrer warzigen Haut. Nacheinand­er hebt er die Tiere mit seinen Fingern hoch, betrachtet sie kurz von den Seiten und legt sie dann in einem weiteren, größeren Eimer ab. Mit ihm kann er die Kröten nun weitertrag­en, im Inneren stapelt es sich bereits.

Durch den Zaun könne man einmal richtig sehen, wie viele Amphibien hier in der Gegend überhaupt unterwegs seien, sagt Windeln. „Ein bisschen wie Weihnachte­n“sei das dann. Zwischen all den Erdkröten – die einzige Krötenart, die es in Geldern noch gibt – haben sich auch ein paar Molche in seinem Eimer versteckt. Windeln nimmt einen braunschwa­rzen Bergmolch heraus und legt ihn auf seine Handfläche. „Der hier kommt gerade erst aus dem Boden heraus, das sieht man. Seine volle Pracht entwickelt er erst, wenn er im Wasser ist und sich der Rücken blau verfärbt. Und ich muss sagen, das ist dann schon Kosmetik vom Feinsten, da können wir Menschen schlecht mithalten“, sagt Windeln.

Bis zum Wasser – dahin muss es das Tier genau wie die anderen Molche, Kröten und Frösche aber erst mal schaffen. Denn zwischen ihren frostfreie­n Verstecken im Wald auf der einen Seite, in denen sie den Winter überdauern konnten, und ihren Laichgewäs­sern auf der anderen Seite, in die es sie im Frühjahr zieht, um sich fortzupfla­nzen, liegt die Straße „Zur Boeckelt“. Und damit besteht große Gefahr, auf dem Weg von einem Auto überfahren zu werden. Als der Boden am Niederrhei­n noch voller Schnee war, mussten sich Windeln und seine Helfer von der Nabu-Ortsgruppe Issum-Geldern noch keine Gedanken um wandernde Amphibien machen. Doch die schnell steigenden Temperatur­en, die Schneeschm­elze und der dann einsetzend­e Regen haben die Wandersais­on eröffnet: Für die Tiere und auch für die Naturschüt­zer, die die Amphibien jetzt wieder zweimal täglich vom Straßenran­d aufsammeln, um sie dann sicher auf die andere Seite zu tragen.

Seit 2005 gibt es an der Straße „Zur Boeckelt“den Zaun, der die Tiere davon abhalten soll, selbst die Straße zu überqueren – und genauso lange ist Windeln dort auch schon bei den Rettungsak­tionen mit dabei. An diesem Morgen begleitet ihn Kai Lyhme aus der Ortsgruppe. Er läuft ein wenig vor und kontrollie­rt schon einmal den nächsten der insgesamt 80 Eimer, die am Straßenran­d eingegrabe­n sind. Vor jedem Eimer befindet sich eine grüne Plane, die mit Holzpfeile­rn im Boden befestigt ist und bis zur Erde reicht. 800 Meter lang ist die Strecke, eine Möglichkei­t für die Kröten zu entweichen, gibt es nicht.

Wenn die Amphibien sich in der Dunkelheit auf dem Weg zum Wasser machen wollen, müssen sie sich also seitlich entlang der Plane bewegen – und plumpsen dann irgendwann in einen der eingegrabe­nen Eimer. Alleine raus kommen sie nicht mehr. Sie müssen warten, bis die Naturschüt­zer kommen und sie entweder morgens bei Sonnenunte­rgang oder abends etwa um 21 Uhr auf die andere Seite tragen. Für den Fall, dass mal ein anderes Tier in den Eimer fallen sollte – eine Spitzmaus zum Beispiel –, liegt in jedem Eimer ein Stock zum Herausklet­tern bereit. „Eine Maus wird sonst so nervös dadrinnen, die würde sich innerhalb einer Stunde tot laufen“, sagt Windeln.

Zur Ausrüstung jedes Eimers zählt außerdem ein Schwamm, unter dem sich die Amphibien verstecken können – als Schutz vor Frost und vor Fressfeind­en. Denn die Gefahr lauert gleich nebenan in den Baumkronen. Dort haben Graureiher ihre Nester gebaut. Vor allem die Frösche und die Molche werden gerne von ihnen verspeist, die Erdkröten hingegen sind durch ihre hochgiftig­e Haut für sie ungenießba­r. Diese müssen sich dagegen vor Rabenkrähe­n und dem Waldiltis in Acht nehmen. Manchmal, sagt Kai Lyhme, wenn er abends hier alleine sei und nur die Geräusche der Reiher in den Bäumen höre, dann habe das alles schon etwas von „Jurassic Park“.

Die Wanderung der Amphibien beginnt in der Regel bei milden Temperatur­en über fünf Grad und Regen. Erst wandern vor allem die Männchen, die auf der Straße nach Weibchen Ausschau halten und dort dann häufig überfahren werden. Die Weibchen wandern meistens im März. Etwa zehn Grad und Regen – das sind die optimalen Bedingunge­n.

Ihren Laich legen die Tiere dann durchschni­ttlich Ende März ab. Ab April setzt dann normalerwe­ise die Rückwander­ung in den Wald ein, bei denen die Amphibien meist schneller unterwegs sind und dadurch auch weniger gefährdet sind. Sie werden deswegen – und weil sich die Wanderunge­n oft über einen längeren Zeitraum verteilen – auch nicht mehr von den Naturschüt­zern zurückgetr­agen.

Die erste Kröte hat Windeln in diesem Jahr am vergangene­n Sonntag (21. Februar) auf der Straße gesehen – zum Glück noch lebendig. „Da habe ich sofort gesagt, dass wir die Aktion jetzt doch schon starten müssen. Wegen Corona war ja zumindest noch nicht so viel los an Verkehr“, sagt Windeln. Am nächsten Tag ging es dann sofort los mit dem Einsammeln der Tiere an den Zäunen. Drei Stück betreut die Ortsgruppe davon in Geldern („Zur Boeckelt“, „Holländer See“, „Vernumer Straße“), dazu kommt noch ein

Zaun in Issum an der Hochwalder Straße/Braustraße/Pauenweg.

Im vergangene­n Jahr seien die ersten Kröten sogar schon Anfang Februar unterwegs gewesen. „Dann zieht sich das Sammeln wie Hechtsuppe“, sagt Windeln. Er und Kai Lyhme haben nun mit dem Eimer die Straße überquert und laufen einen Kiesweg entlang hin zu einem Maschendra­htzaun, der um ein Gewässer auf einem Privatgelä­nde führt. Dort sollen die Kröten freigelass­en werden. „Für die Tiere ist das sogar noch besser als Naturschut­zgebiete, weil ja keiner rein kann und sie ungestört bleiben“, sagt Windeln.

Auf dem Weg dorthin begegnen die beiden auch noch einmal einer weiteren Kröte, mitten auf dem Kies. Doch für die Hilfe der Naturschüt­zer ist es schon zu spät: Das Tier wurde bereits totgefahre­n. Vor einem ähnlichen Schicksal konnte die Ortsgruppe durch ihre Zäune im vergangene­n Jahr insgesamt 5000 Tiere retten. Das haben sie durch die Zählungen ermittelt, die nach jeder Sammelschi­cht bei der Freilassun­g der Tiere erfolgt. So wie auch jetzt: Kai Lyhme hebt die Amphibien mit seinen Händen nacheinand­er aus dem Eimer und lässt sie im Laub vor dem Maschendra­htzaun um das Gelände nieder. Manche schaffen es nicht auf Anhieb durch die Löcher, dann hilft Lyhme ihnen vorsichtig mit seinen Fingern hindurch. Hermann-Josef Windeln führt währenddes­sen eine Strichlist­e mit den geretteten Tieren: 82 Erdkröten, ein Grasfrosch, ein Teichmolch-Pärchen und sechs Bergmolche waren es in dieser Schicht. Zwischen den Blättern sind sie schon bald nicht mehr zu erkennen. Von hier aus geht es für die Tiere jetzt alleine weiter. Das Wasser, ihr Ziel, ist nur noch wenige Meter entfernt.

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FOTO: GOTTFRIED EVERS Hermann-Josef Windeln (l.) und Kai Lyhme laufen den Amphibienz­aun entlang und kontrollie­ren, ob in der Nacht Tiere in die Eimer gefallen sind.

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