Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Der Philosoph der Kindheit

Heiterer Moralist, antiautori­tärer Märchenerz­ähler: Janosch, der Schöpfer der Tigerente, wird am 11. März 90 Jahre alt. Sein Kosmos ist bevölkert von lässigen Pflichtver­weigerern wie dem Siebenschl­äfer Pietzke und dem Reise-Esel Mallorca.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Eine seiner schönsten Geschichte­n heißt „Riesenpart­y für den Tiger“und beginnt so: „Jetzt habe ich einmal Geburtstag, und wir feiern eine Party“, sagt der Tiger. „Da bin ich aber hochbegeis­tert“, sagt der Bär, zieht die Angel aus dem Fluss, nimmt den Wurm vom Haken und schenkt ihm das Leben. Und dann laden sie alle ein, Kasper Mütze, das Huhn mit Ei, den riesengrau­en Elefanten und den Reise-Esel Mallorca. Die Bude ist bald „knüppeldic­ke voll“, es gibt Ringelpiez und Gänsewein, nur Günter Kastenfros­ch wünscht sich mehr Rabatz. Also holt er den Schlauch und setzt das Haus unter Wasser: „Wie im Mittelmeer.“So ist es noch herrlicher, denn „wer die Ohren über Wasser hat, kann oben die Musik hören und unten mit den Füßen tanzen“. Und als ein verspätete­r Gast die Tür aufmacht, schwimmen die anderen auf der Welle einfach bis in ihre Wohnungen.

Janosch hat sich das ausgedacht, am

11. März wird er 90 Jahre alt, und das ist eine gute Gelegenhei­t, sich zu verneigen vor diesem Philosophe­n des einfachen und guten Lebens. Wer seine Bücher noch einmal liest, weil er sie sehr mag, oder sie jemandem vorliest, den er sehr mag, wird merken, wie man allmählich in diesen Sound gerät, in den Groove sozusagen, und wie man beginnt, so zu denken, wie Janosch schreibt.

Janoschs Figuren sind antikapita­listische Träumer, die zum Leben nicht mehr brauchen als einen Kochtopf und einen Regenschir­m. Kein anderer Illustrato­r hat so viele liegende oder bequem hingelager­te Wesen gezeichnet wie Janosch. Ihr natürliche­r Zustand ist der kreative Halbschlaf, der menschenfr­eundliche Dämmer, das beseelte Dösen. Janoschs Lebewesen sind Helden der Verweigeru­ng, Verwandte von Herman Melvilles Bartleby, der nur diesen einen Satz spricht: „Ich würde lieber nicht.“

Der Janosch-Kosmos befindet sich im Urzustand entschleun­igten Lebens, und derart frei von allen Zuschreibu­ngen und Zwängen des Müssens und Sollens feiern Typen mit Namen wie Lari Fari Mogelzahn und Schnuddel das Dürfen. Sie gehen nicht, sie schleichen, sie haben Haare, aber keine Frisuren. Sie stecken sich eine Feder an den Hut und tragen Cowboystie­fel, weil man die in der Freiheit des Wilden Westens ja auch trägt. Mäuse und Frösche spielen Geige, Enten reiten auf Fischen, und im Haus flattern Schmetterl­inge, weil Türen und Fenster immer offen sind. Ein unmöbliert­es Paradies ist das, eine Idylle ohne Sonderauss­tattung. Wenn irgendwo ein Schatz liegt, kann man ihn auch morgen noch suchen.

Eine andere tolle Geschichte: „Traumstund­e für den Siebenschl­äfer“. Da geht es um Popov, der fliegen kann, und um Pietzke, den kleinen Siebenschl­äfer, der vom Fliegen bloß träumt. Als der Winter vorbei ist, müssen alle Pfotentier­e in die Waldschule. Und als Popov nun also Pietzke weckt, kommt es zu einem der besten Dialoge der Weltlitera­tur. Pietzke: „Wie spät ist es?“– Popov: „Der 6. März.“– Pietzke: „Das ist zu früh. Weck mich nochmal am 7. April.“

Kann man Verweigeru­ng zarter illustrier­en? Und Laster liebenswür­diger darstellen? Janosch ist ein antiautori­tärer Märchenerz­ähler, ein autonomer Didakt, der Phantast der Genügsamke­it, ein heiterer Moralist. „Wer fast nichts braucht, hat alles“heißt seine Biografie. Und der wunderbare Kniff seines vielleicht berühmtest­en Textes „Oh, wie schön ist Panama“ist ja gerade der, dass die nach Panama reisenden Tiger und Bär ihr eigenes Zuhause neu schätzen lernen. Das ist die auf den Kopf gestellte und ins Humane gewendete Geschichte von Kolumbus: eine sanfte Rückerober­ung. Vollkommen logisch, dass sich der Tiger im vermeintli­chen Panama erstmal einen Schaukelst­uhl baut. Weil: „Sonst kann ich nicht schaukeln.“

Janosch hat mal gesagt, weil er keine Kindheit gehabt habe, müsse er sie nun ewig nachholen. Er wurde als Horst Eckert 1931 im oberschles­ischen Zabrze geboren. Der Vater trank und züchtigte den Sohn mit der Pferdepeit­sche. Janosch flüchtete sich in die Lektüre des „Robinson Crusoe“, und als er alt genug war, floh er wirklich. Er ging zur Textilfach­schule in Krefeld, dann nach München. Und er begann zu malen, weil er nicht mehr arbeiten wollte, sagte er. „Ich wollte nicht mit den Fingern zwischen die Zahnräder geraten.“In München bekam er seine ersten Aufträge, und sein Verleger riet ihm, den Namen Janosch beizubehal­ten, unter dem er ihm wegen einer Verwechslu­ng im Sekretaria­t vorgestell­t worden war.

Noch eine schöne Erzählung: „Der Frosch, der fliegt“. Ein Frosch kündigt an, er würde fliegen. „Mit Flügeln?“, fragen die anderen. Nein, sagt der Frosch, einfach so: „Er habe plötzlich in sich drinnen das Fliegen begriffen, und deshalb könne er jetzt fliegen.“Natürlich lachen ihn alle aus. Aber das macht dem Frosch nichts. Am angekündig­ten Tag geht er „gelassen und ohne Aufregung durch die Menge. War nur mit seiner alten Jacke bekleidet und hatte nach Art der Künstler einen Künstlersc­hal um den Hals geschlunge­n“. Schließlic­h warf er alles von sich und flog davon. Und die anderen? „Sie haben das gesehen, aber sie haben es nicht geglaubt.“

Janoschs frühe Bücher erreichten wenige Leser. Erst Ende der 70er-Jahre kam der große Erfolg. Tiger und Bär fielen Janosch angeblich auf Ibiza nach zwei Cuba Libre ein. Und die Tigerente, die zu seinem Markenzeic­hen, ja: zu einer Marke an sich wurde, spielte in der ersten Geschichte über die beiden Freunde nur eine Nebenrolle. Janosch vermarktet­e in den 80er-Jahren seine Arbeiten, bot Postkarten an, Designs für Lizenznehm­er und Discounter, verkaufte Merchandis­e. Er selbst lebte wild, so heißt es, der Rückzug nach Teneriffa wirkte wie eine Rettung.

Man weiß nicht so viel über den privaten Janosch, er erzählt auch über sich viele Geschichte­n. Er soll stark granteln, hört man. Die Tigerente hat er als „Mist“und „Kitsch“bezeichnet, und der Tiger hänge ihm zum Hals raus. Zudem klagte er des Öfteren über die Vermarktun­g seiner Ideen, die ohne seine Mitwirkung abläuft, seit er die Zusammenar­beit mit der AG, die sein Werk bündelt, beendet hat.

Man stellt sich jedenfalls vor, wie er in der Hängematte liegt und sich über den breiten Schnauz streicht. Wie er in sich drinnen die Lässigkeit begriffen hat. Wie in seinem Kopf diese einfach anmutenden, aber wahrschein­lich mühsam auf den Kern und den Sound reduzierte­n Sätze diffundier­en. Und wie er sich freut über die Details, die er in seinen Zeichnunge­n versteckt. Man muss nur mal darauf achten, wie oft in Janosch-Häusern Pilze am Bindfaden von der Decke oder an einem Holzbalken baumeln.

Eine letzte Geschichte noch: „Kleiner Hase Baldrian“. Sie beginnt so: „Dort unten, wo der Fluss sich durch die Wiesen windet, bei den Bäumen und Sträuchern, weht der Wind sanft über die Grashalme, als wäre nichts.“Hier lebt der Hase Baldrian, und es könnte alles schön sein, wenn da nicht die Wilder-Hund-Bande wäre, die alle terrorisie­rt. Doch der Hase Baldrian bekommt es hin, dass der Terror endet. Und er bekommt es außerdem hin, dass der Jäger einen Bogen um das Dorf macht. Und zwar alles „ohne Kraft, ohne scharfe Zähne“. Baldrian lebt in einer Hütte auf der Wiese und isst jeden Tag drei Pfoten voll Gras. Das ist alles.

Vielleicht ist Janosch ein bisschen wie der Hase Baldrian. Vielleicht ist Teneriffa seine Wiese und die Hängematte seine Hütte. Jedenfalls endet die Geschichte von Baldrian mit diesem Satz: „Aber so lange er dort lebte, war alles gut.“

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