Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Wie Naturschüt­zer dem Kiebitz helfen

Weil der Vogel stark gefährdet ist, verbringen zwei Naturschüt­zer das Frühjahr auf den Feldwegen: Sie zählen die Tiere und markieren ihre Nester. Dabei ist auch die Zusammenar­beit mit den Landwirten wichtig.

- VON MAREI VITTINGHOF­F

Weil der Vogel inzwischen nur noch sehr selten zu sehen ist, verbringen zwei Anwohner das Frühjahr auf den Feldwegen.

WEEZE Wenn die Kiebitze im März anfangen zu brüten, dann sind auch für Melanie van de Flierdt und Hans-Georg Klose die nächsten Monate fest verplant. Dann läuft Klose zwischen seinen Schichten als Feuerwehrm­ann etwa vier oder fünfmal pro Woche mit seinem Fernglas über die Weezer Feldwege und van de Flierdt fährt jedes Wochenende mehrere Stunden durch die Gemeinde und macht sich Notizen, wo sie nur kann. Es gibt viel zu tun bis zum Ende der Brutzeit im Juni: die Vögel müssen gezählt und ihre Nester gefunden werden. Denn van de Flierdt und Klose bilden zu zweit die „Kiebitz Squad Weeze“. Und sie haben einen Mission: Der Schutz des Kiebitz. Dafür stehen sie jetzt auch hier, am Baaler Bruch, zwischen Windrädern und Bäumen, und halten nach den Schwärmen Ausschau.

Angefangen hat alles 2018. Melanie van de Flierdt, die auch beruflich als Naturschüt­zerin arbeitet und Artenschut­zberichte schreibt, sah nun auch den Kiebitz unter den stark gefährdete­n Arten. Ausgerechn­et der Kiebitz! Der Vogel, den man „doch nie wieder vergisst, wenn man ihn einmal gesehen und gehört hat.“Mit seinem markanten Ruf – „Ki-witt, Ki-witt“– und diesem noch imposanter­en Aussehen: die grünlich schimmernd­en Flügel, die schwarz-weiß gefärbte Brust und die schwungvol­l abstehende Feder am Hinterkopf.

Früher, da sei doch immer alles voll mit den Vögeln gewesen, sagt van de Flierdt. Wenn sie als junges Mädchen mit dem Vater abends noch einmal über die Weiden seines Milchviehb­etriebs fuhr, um nach den Tieren zu sehen, dann waren die Kiebitze immer schon da. Kiebitz – das hieß für sie auch Kindheit.

„Warum tut denn keiner was?“, habe sie sich darum gedacht, als sie den Vogel auf der Roten Liste in NRW sah. Und gleich darauf gesagt: „Dann muss ich selbst etwas tun.“

Also startete sie einen Aufruf auf Facebook und Hans-Georg Klose meldete sich. Die Anfänge seien noch etwas schwierig gewesen, sagen beide. Sie hätten ja überhaupt noch gar nicht gewusst, wo sie anfangen sollten. Das hieß: Erst einmal alle Flächen in Weeze absuchen. Und das wiederum: Ganz schön viel Arbeit. „Da haben wir erstmal gemerkt, wie groß die Gemeinde überhaupt ist. Ein Tier steht ja nicht auf und sagt ‚Hallo, hier bin ich‘. Man muss schon richtig suchen“, sagt van de Flierdt. Gleich in den Jahren darauf habe sich der Aufwand aber verringert. Denn Kiebitze sind brutortstr­eu: Wer im Frühjahr an einem bestimmten Ort geschlüpft ist, kehrt im Jahr darauf auch genau zu diesem Ort zurück.

Genau darin liegt jedoch auch ein Problem: Der Kiebitz kommt nach dem Winter selbst dann zurück, wenn sich die Brutbeding­ungen für ihn extrem verschlech­tert haben. Eigentlich bevorzugt er offenes, flaches und feuchtes Dauergrünl­and. Ein Lebensraum, der in Deutschlan­d durch Faktoren wie Grundwasse­rabsenkung oder landwirtsc­haftliche Arbeiten jedoch selten geworden ist. Oft brütet er darum auf Äckern – mit geringem Erfolg. Denn die Flächen bieten für die Küken weder ausreichen­d Nahrung noch Schutz vor Treckern oder Fressfeind­en.

„Selbst in den vier Jahren, die wir das jetzt machen, merken wir, dass der Bestand in einzelnen Gebieten stark zurück gegangen ist“, sagt van de Flierdt. Bei einer vom Naturschut­zbund Deutschlan­d organisier­ten Zählung aller Kiebitze im Kreis Kleve, an der sich auch die „Kiebitz Squad Weeze“beteiligte, konnten vom 3. bis zum 5. April 2020 insgesamt 1798 Tiere gezählt werden, was etwa 850 bis 950 Paaren entspricht. Das sind im Vergleich zu einer Hochrechnu­ng aus dem Jahr 2004 etwa 50 bis 60 Prozent Paare weniger. Auch Jungvögel habe man im vergangene­n Jahr kaum entdeckt. „Der Boden war im Frühjahr knüppelhar­t, da konnte man kaum Würmer draus ziehen“, sagt van de Flierdt.

Mit dem Zählungen für dieses Jahr haben die beiden nun bereits begonnen. Gar nicht so leicht, wenn die Tiere in Schwärmen ankommen. „In der Balz-Phase wird das dann schon einfacher, da hört man die Tiere meistens, bevor man sie sieht“, sagt Hans-Georg Klose. Und auch eine Brut lasse sich an dem spezifisch­en Verhalten der Männchen erkennen: Um mögliche Feinde abzulenken, fliegt das Männchen immer wieder mit Getöse in eine andere Richtung. Für van de Flierdt und Klose deuten all diese Zeichen auf eines hin: Sie müssen eingreifen. Denn möglicher Nachwuchs ist unterwegs.

An die Ränder der Felder stecken sie darum Holzschild­er, die zwei Funktionen erfüllen sollen. Erstens: Spaziergän­ger werden gewarnt, dass sie ihre Hunde nicht auf die Felder laufen lassen wollen. Und zweitens: Landwirte darum gebeten, sich bei bei den Naturschüt­zern zu melden. Denn sobald die Erlaubnis vom Landwirt da ist, das Feld zu betreten, macht sich die „Kiebitz Squad Weeze“auf die Suche nach den Nestern. Dann steht einer mit einem Fernglas am Rand und navigiert den anderen zu den Tieren und der steckt dann vier Stöcke mit rot-weißem Flatterban­d in den Boden, sodass der Landwirt bei der Bearbeitun­g der Felder mit dem Trecker die Nester sofort sieht und drumherum fahren kann.

„Es sind zum Glück schon viele Landwirte

mit im Boot“, sagt van de Flierdt. Als im vergangene­n Jahr etwa ein Landwirt auf sein Feld gefahren sei, Mais säen wollte und dabei gesehen habe, dass dort Kiebitze schlüpften, sei er sofort wieder herunterge­fahren und habe erst später gesät. Es gebe aber auch andere Fälle. Nicht jeder wolle sofort mit der „Kiebitz Squad Weeze“reden. Darum ist das Ziel auch noch ein anderes: Das Zusammenbr­ingen von Naturschüt­zern und Landwirten, ohne Vorurteile. „Als ich selbst Artenschut­z studieren wollte, haben mir viele gesagt, dass das doch Quatsch ist, weil ich von einem Bauernhof komme und die beiden Gruppen doch ‚Feinde’ seien. Dabei wollen sie doch eigentlich oft das Gleiche“, sagt van de Flierdt. Und überhaupt: Eigentlich sei ihr Aufwachsen mit einem Milchviehb­etrieb jetzt sogar ein Vorteil für sie. Den wenn sie auf einen Landwirt zukomme und über den Kiebitz-Schutz sprechen wolle, dann höre sie öfter ein „Du bist doch die Tochter von Eberhard“– und schon sei man im Gespräch.

„Als wir angefangen haben, waren noch alle skeptisch und haben gedacht: ‚Was machen denn die Super-Ökos da?‘ Aber wenn man dann weitermach­t und auch schon Erfolge zu sehen sind, dann merken die Leute: ‚Die sind ja doch seriös‘“, sagt van de Flierdt. Sie arbeitet jetzt noch als Artenvielf­altsbeauft­ragte für die Gemeinde Weeze, Klose wurde zusätzlich zum „Uhu-Beauftragt­en“ernannt. Die Hartnäckig­keit hat sich gelohnt.

Und tatsächlic­h. Irgendwann ist es auch an diesem Tag so weit: Ein Schwarm Kiebitze fliegt über das Feld. Klose legt das Fernglas an seine Augen und zählt nach: Es sind zwölf Stück. Er wird sich das gleich aufschreib­en – und hoffen, dass sie im kommenden Jahr wiederkomm­en. Vielleicht sogar mit neuen Jungtieren.

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RP-FOTO: GOTTFRIED EVERS Hans-Georg Klose sichtet die ersten Kiebitz-Rückkehrer dieser Saison.

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