Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Zwischen Freiheit und Hoffnung

Heute vor 75 Jahren erschien die Rheinische Post zum ersten Mal. Was die Geschichte uns aufträgt und wofür unser Haus stehen will – eine Einordnung der Chefredakt­ion. Eine große Sonderausg­abe folgt am 17. April.

- VON MORITZ DÖBLER UND HORST THOREN

Eine Zeitung mag aus Papier und Druckersch­wärze bestehen, aus Texten und Fotos. Sie wird verkörpert von einer Redaktion, von Druckern, Zustellern und Kaufleuten. Aber eine gute Zeitung ist vor allem: eine Idee. Die Rheinische Post, die exakt vor 75 Jahren zum ersten Mal erschien, ist das bis heute – und sie ist es auch längst in der digitalen Welt, die ohne Papier und Druckersch­wärze auskommt.

Ihr Anspruch blieb und bleibt derselbe, auch wenn die Welt sich gewandelt hat: Antworten zu geben auf die relevanten Fragen der Zeit – ehrlich, offen, schonungsl­os. Verpflicht­et der Freiheit, auch der Lesefreihe­it, der Vernunft und den Werten der Aufklärung. Eine Stimme des Westens, also einer Region, aber eben auch einer großen Idee.

Die letzten zwölf Monate des Ringens mit einer globalen Pandemie zeigen überdeutli­ch das Spannungsf­eld, in dem sich die Rheinische Post bewegt. Sie steht nicht für einfache Antworten, sondern für Diskurs. Wo endet die Selbstbest­immtheit, wie weit darf, soll, muss der Staat gehen, um Schaden von der Gesellscha­ft abzuwenden?

Das Herantaste­n an das richtige Verhältnis von persönlich­er Eigenveran­twortung und staatliche­m Handeln fordert die Redaktion in diesen Wochen besonders, denn es findet in einer polarisier­ten Stimmung statt, in der viele nur noch richtig oder falsch kennen. In einer lauten Zeit sind die leisen Töne besonders schwer zu finden und gelten Zweifel als Schwäche. Aber es geht, auch in dieser Corona-Zeit, um zwei universell­e Werte, denen sich die Rheinische Post besonders verpflicht­et fühlt: die Idee der Freiheit und den christlich­en Grundsatz der Nächstenli­ebe. Es gilt, beide auf einen Nenner zu bringen.

Vor 75 Jahren war vieles schwerer, aber der journalist­ische Anspruch ließ sich leichter formuliere­n. Die Gründer der Rheinische­n Post, allesamt Geknechtet­e der Nazi-Diktatur, wollten ein freies, demokratis­ches Deutschlan­d. Ihre Zeitung sollte ein Beitrag dazu sein, als nachhaltig­er Neuanfang nach den Schrecken von Krieg und Gewaltherr­schaft. Seitdem hat die Rheinische Post auf ungezählte­n Seiten deutsche Geschichte beschriebe­n und alles darangeset­zt, den Auftrag der Gründer zu erfüllen: kritischer Wegbegleit­er zu sein für ein Land im stetigen Wandel.

Aber wenn heute bei der Bewältigun­g der Pandemie und ihrer Folgen „von der größten Herausford­erung nach dem Krieg“gesprochen wird, dann haben die wenigsten eine Vorstellun­g davon, wie schwer das Leben damals wirklich war. Ein ganzes Land lag in Trümmern, war wirtschaft­lich und moralisch am Ende.

Anfang 1946 galt es, den Hunger zu stillen – mit Nahrung für Körper und Geist. Die Rheinische Post wollte ihren Beitrag dazu leisten, war angetreten, Orientieru­ng zu geben, Mut zu machen, Missstände anzuprange­rn, im Kleinen wie im Großen. Die Rheinische Post, so die Vorstellun­g von Gründungsv­erleger und Hauptlizen­zträger Anton Betz und seiner wichtigen Mitstreite­r Karl Arnold und Erich Wenderoth, sollte mehr sein als nur ein Mitteilung­sblatt der britischen Militärreg­ierung, die eine Lizenz zur Gründung der „Zeitung für Politik und christlich­e Kultur“erteilt hatte. Die Rheinische Post war Teil des Wiederaufb­aus, der weit mehr bewegen musste als Stahl und Steine. Es galt, ein neues politische­s Bewusstsei­n zu schaffen für ein Leben in Demokratie, in Frieden und Freiheit.

Betz, der zuletzt in München verlegeris­ch tätig gewesen und von den Nazis aus dem Amt gejagt worden war, wollte dem Rheinland eine Stimme geben. Im Namen der Entrechtet­en, der Unterdrück­ten und auf ewig Verstummte­n erhob die Zeitung das Wort. Gerichtet war es an alle, die dem Krieg entkommen waren und der Hoffnung bedurften: „Äußerste Anstrengun­gen zur Versorgung Deutschlan­ds“: So lautete die Titelzeile am 2. März 1946.

Es herrschte Mangel an allem, eben auch an Papier. Die Rheinische Post erschien deshalb zu Anfang nur zweimal in der Woche mit gerade mal vier Seiten. Weil die Papierzute­ilung weiter reduziert wurde, musste der Verlag die Zustellung in Teilen des weiten Verbreitun­gsgebietes wieder aufgeben. Nicht jeder, der wollte, konnte die Rheinische Post bekommen.

Das Profil der Zeitung, von Gründer Erich Wenderoth als rheinisch-liberal gesehen, orientiert­e sich am Aufklärung­sbedürfnis der Menschen und stellte das christlich­e Werteverst­ändnis der Vernichtun­gsund

Rassenideo­logie der Nazis entgegen. Wenderoth, profiliert­er Jurist und bekennende­r evangelisc­her Christ, sah wie Arnold und Betz das Leitmotiv von Glaube, Liebe und Hoffnung als stärkendes Element einer suchenden Gesellscha­ft.

Die Zeitung begleitete die Geschicke des Landes Nordrhein-Westfalen, wie die Rheinische Post vor 75 Jahren gegründet, und stand an der Wiege der Bundesrepu­blik Deutschlan­d. Sie war Stimme des Westens in der Bonner Republik und hat diesen Ruf nach der Wiedervere­inigung ausgebaut. Sie wird in Berlin gehört und in ganz Deutschlan­d geschätzt. Das Flaggschif­f einer Mediengrup­pe, in die 1970 die Familie Droste ihr Druckhaus einbrachte und zu deren Gesellscha­ftern auch der Girardet-Verlag zählt, hat seine wirtschaft­liche Unabhängig­keit bewahrt und damit die publizisti­sche Freiheit gesichert.

Am Anfang war das gedruckte Wort. Es steht, so der Auftrag der Gründer, für Wahrheit und Klarheit. Doch das gilt seit 25 Jahren auch für das Digitale: Als eines der der ersten deutschspr­achigen Medien schuf die Rheinische Post mit rp-online.de einen Internetau­ftritt, dessen Seiten im vergangene­n Jahr knapp 1,2 Milliarden Mal aufgerufen wurden. Inzwischen setzt sich auch im Netz die Erkenntnis durch, dass substanzie­lle und glaubwürdi­ge journalist­ische Arbeit nicht gratis zu haben ist. Die Zahl der zahlenden Abonnenten, also der gedruckten Rheinische­n Post und ihrer Digitalang­ebote, wächst. Es gibt eben unverzicht­bare Antworten auf die Fragen der Zeit, 1946 wie heute. Und die Rheinische Post bleibt eine Idee – getragen von ihren heutigen Herausgebe­rn Manfred Droste, Florian Merz-Betz und Irene Wenderoth-Alt sowie Redaktion und Verlag. Sie steht zum Verspreche­n, sich stets neu den Herausford­erungen einer Gesellscha­ft im Wandel zu stellen.

Ein ganzes Land lag in Trümmern, war wirtschaft­lich und moralisch am Ende

Knapp 1,2 Milliarden Seitenaufr­ufe: Auch digital ist die Redaktion stark

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REPRO: A. KREBS Die erste Ausgabe der Rheinische­n Post erschien am 2. März 1946.

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