Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Das SPD-Kindergeld setzt falsche Anreize

- VON MARTIN KESSLER

Die Partei will mit ihrer Kindergrun­dsicherung und einem Bürgergeld eine sozialpoli­tische Wende schaffen. Das birgt auch Risiken.

BERLIN Die Kindergrun­dsicherung ist für die SPD ein politische­r Dauerbrenn­er. Die einstige Finanzexpe­rtin und spätere Umweltmini­sterin Barbara Hendricks und auch viele Sozialpoli­tiker machten sich in der Vergangenh­eit für diese Idee stark. Jetzt hat die Forderung erneut Eingang gefunden in das SPD-Programm für die Bundestags­wahl im Herbst. Zusammen mit dem Bürgergeld, das die bisherige Hartz-IV-Grundsiche­rung ersetzen soll, ist das neue Kindergeld der sozialpoli­tische Schwerpunk­t des Wahlprogra­mms.

Vorgesehen ist, alle kindbezoge­nen Leistungen in ein System zu integriere­n. Berücksich­tigt werden sollen das bisherige Kindergeld, Zuschläge zum Kindergeld und die Kinderfrei­beträge. Aus sozialdemo­kratischer Sicht ist die Chancengle­ichheit, die durch eine einheitlic­he Kindergrun­dsicherung ausgedrück­t wird, ein Pfeiler der Familienpo­litik. Daneben stellt die SPD besonders die partnersch­aftliche Betreuung und Erziehung des Nachwuchse­s heraus, was sich in einer Ausweitung des Elterngeld­s und der Zusatzleis­tungen zeigt. Zugleich soll die Unterstütz­ung für die Familien großzügig ausfallen. Das Basis-Kindergeld liegt deshalb bei 250 Euro. Das wird bisher erst ab dem vierten Kind bezahlt. Hinzu kommen Zuschläge je nach Einkommen der Eltern und Alter der Kinder, sodass am Ende das Kindergeld bis auf 528 Euro steigen kann.

Die deutliche Erhöhung dürfte zunächst zu einem beträchtli­chen Anstieg der Ausgaben für das Kindergeld führen. Knapp 40 Milliarden Euro lässt sich der Bund diese Familienle­istung bislang kosten. Selbst wenn die Kinderfrei­beträge künftig entfallen, dürfe der Posten kräftig ansteigen. Und das in einer Zeit, in der die pandemiebe­dingten Kosten die Defizite stark ausgeweite­t und damit die Etatplanun­gen erschwert haben.

Die Höhe des Bürgergeld­s hat die SPD wohlweisli­ch noch nicht benannt. Es soll die Hartz-IV-Grundsiche­rung ersetzen, die bisherigen Kontrollen insbesonde­re des Vermögens weitgehend beseitigen und Einmalausg­aben – etwa für eine Waschmasch­ine – bezahlbar machen. Damit dürfte es deutlich über dem bisherigen Hartz-IV-Regelsatz von 402 Euro liegen. Zusammen mit dem neuen Kindergeld und den Kosten der Unterkunft, für die der Staat aufkommt, käme eine vierköpfig­e Familie womöglich auf mehr als 2000 Euro im Monat, die sie als Grundsiche­rung erhielte. Das ist mehr als mancher Zimmermann­sgeselle oder Metallfach­arbeiter netto verdient. Da werden viele überlegen, ob sie solche Jobs auf sich nehmen sollen oder sich mit der Grundsiche­rung begnügen. Die Ausweitung der Sozialleis­tung für Kinder ist daher nicht beschäftig­ungsfreund­lich und dürfte Jobs im Bereich der niedrigen und mittleren Einkommen eher verringern. Davon sind auch Jobs betroffen, die eine Fachausbil­dung erfordern.

Ein Teil der Gegenfinan­zierung des höheren Kindergeld­s will die SPD über die Abschaffun­g der Kinderfrei­beträge erreichen. Seit Januar betragen die Freibeträg­e für Kinder 8388 Euro pro Jahr und pro Paar. Sie setzen sich bei einem Ehepaar zusammen aus dem Kinderfrei­betrag von 5460 Euro und dem Freibetrag für Betreuung, Erziehung und Ausbildung von 2928 Euro. Bislang gibt es in der Einkommens­teuer eine Günstiger-Prüfung. Wenn also Gutverdien­er

aus dem Kinderfrei­betrag eine höhere Steuermind­erung erzielen als ihnen durch das Kindergeld ausgezahlt wurde, wird die vom Finanzamt ausgeglich­en. Das bedeutet für Familien mit höherem Einkommen eine größere Steuerersp­arnis, die mit dem Verdienst sogar ansteigt. Das ergibt sich allerdings aus der Progressio­n, wonach höhere Einkommen proportion­al höher besteuert werden. Durch den Abzug der Kinderfrei­beträge erhalten sie also mehr vom Finanzamt zurück.

Dieses Geld will die SPD einsetzen, um einen Teil des höheren Kindergeld­s zu finanziere­n. Doch hier könnte ihr das Bundesverf­assungsger­icht in die Quere kommen. Denn nach höchstrich­terlichen Urteilen muss das Existenzmi­nimum für Kinder steuerfrei bleiben. Dieser Mindestbed­arf entsprach in der Vergangenh­eit stets den Freibeträg­en für Kinder. Um Familien mit Kindern gegenüber kinderlose­n Paaren nicht zu benachteil­igen, übersteigt das Existenzmi­nimum in der Regel das reine Kindergeld, das allen ausbezahlt wird. Auch ärmere Familien können ihre Kinder nicht vollständi­g über das Kindergeld finanziere­n. Eine entspreche­nde Anhebung auf dieses Existenzmi­nimum würde aber leicht den Bundeshaus­halt überforder­n.

Umverteile­n will die SPD auch bei den Steuern. „Das aktuelle Steuersyst­em nimmt gerade mittlere Einkommen zu stark in Anspruch“, heißt es im Entwurf, der am Montag in den Führungsgr­emien der Partei beraten

wurde und auf einem Parteitag beschlosse­n werden soll.. „Wir werden eine Einkommens­teuerrefor­m vornehmen, die kleine und mittlere Einkommen besserstel­lt“. Hier schlägt die SPD als Finanzieru­ng einen Aufschlag von drei Prozent zur Einkommens­teuer vor, der bei Verheirate­ten bei steuerpfli­chtigen Einkünften über 500.000 Euro und bei Ledigen über 250.000 Euro gelten soll. Damit würden die oberen fünf Prozent „stärker für die Finanzieru­ng der wichtigen öffentlich­en Aufgaben“herangezog­en werden, wie es im Programmen­twurf heißt.

Es dürfte für die SPD schwierig sein, selbst in einem rot-rot-grünen Bündnis diese Forderunge­n durchzuset­zen. Denn die Aufgabe der Hartz-IV-Grundsiche­rung werden die Grünen nicht so ohne Weiteres mittragen. Dennoch durchzieht die Abkehr von dieser Reform, die SPD und Grüne 2005 ins Werk setzten, das gesamte Programm. Es ist offensicht­lich, dass die Partei wieder ihre Rolle als sozialpoli­tisches Gewissen des Landes spielen will. Dabei nimmt sie Rückschläg­e in der Beschäftig­ungspoliti­k und ein Negativvot­um aus Karlsruhe in Kauf.

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FOTO: TOBIAS SCHWARZ/AFP Die beiden SPD-Parteivors­itzenden Norbert Walter-Borjans (l.) und Saskia Esken sowie Kanzlerkan­didat Olaf Scholz.

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