Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Das SPD-Kindergeld setzt falsche Anreize
Die Partei will mit ihrer Kindergrundsicherung und einem Bürgergeld eine sozialpolitische Wende schaffen. Das birgt auch Risiken.
BERLIN Die Kindergrundsicherung ist für die SPD ein politischer Dauerbrenner. Die einstige Finanzexpertin und spätere Umweltministerin Barbara Hendricks und auch viele Sozialpolitiker machten sich in der Vergangenheit für diese Idee stark. Jetzt hat die Forderung erneut Eingang gefunden in das SPD-Programm für die Bundestagswahl im Herbst. Zusammen mit dem Bürgergeld, das die bisherige Hartz-IV-Grundsicherung ersetzen soll, ist das neue Kindergeld der sozialpolitische Schwerpunkt des Wahlprogramms.
Vorgesehen ist, alle kindbezogenen Leistungen in ein System zu integrieren. Berücksichtigt werden sollen das bisherige Kindergeld, Zuschläge zum Kindergeld und die Kinderfreibeträge. Aus sozialdemokratischer Sicht ist die Chancengleichheit, die durch eine einheitliche Kindergrundsicherung ausgedrückt wird, ein Pfeiler der Familienpolitik. Daneben stellt die SPD besonders die partnerschaftliche Betreuung und Erziehung des Nachwuchses heraus, was sich in einer Ausweitung des Elterngelds und der Zusatzleistungen zeigt. Zugleich soll die Unterstützung für die Familien großzügig ausfallen. Das Basis-Kindergeld liegt deshalb bei 250 Euro. Das wird bisher erst ab dem vierten Kind bezahlt. Hinzu kommen Zuschläge je nach Einkommen der Eltern und Alter der Kinder, sodass am Ende das Kindergeld bis auf 528 Euro steigen kann.
Die deutliche Erhöhung dürfte zunächst zu einem beträchtlichen Anstieg der Ausgaben für das Kindergeld führen. Knapp 40 Milliarden Euro lässt sich der Bund diese Familienleistung bislang kosten. Selbst wenn die Kinderfreibeträge künftig entfallen, dürfe der Posten kräftig ansteigen. Und das in einer Zeit, in der die pandemiebedingten Kosten die Defizite stark ausgeweitet und damit die Etatplanungen erschwert haben.
Die Höhe des Bürgergelds hat die SPD wohlweislich noch nicht benannt. Es soll die Hartz-IV-Grundsicherung ersetzen, die bisherigen Kontrollen insbesondere des Vermögens weitgehend beseitigen und Einmalausgaben – etwa für eine Waschmaschine – bezahlbar machen. Damit dürfte es deutlich über dem bisherigen Hartz-IV-Regelsatz von 402 Euro liegen. Zusammen mit dem neuen Kindergeld und den Kosten der Unterkunft, für die der Staat aufkommt, käme eine vierköpfige Familie womöglich auf mehr als 2000 Euro im Monat, die sie als Grundsicherung erhielte. Das ist mehr als mancher Zimmermannsgeselle oder Metallfacharbeiter netto verdient. Da werden viele überlegen, ob sie solche Jobs auf sich nehmen sollen oder sich mit der Grundsicherung begnügen. Die Ausweitung der Sozialleistung für Kinder ist daher nicht beschäftigungsfreundlich und dürfte Jobs im Bereich der niedrigen und mittleren Einkommen eher verringern. Davon sind auch Jobs betroffen, die eine Fachausbildung erfordern.
Ein Teil der Gegenfinanzierung des höheren Kindergelds will die SPD über die Abschaffung der Kinderfreibeträge erreichen. Seit Januar betragen die Freibeträge für Kinder 8388 Euro pro Jahr und pro Paar. Sie setzen sich bei einem Ehepaar zusammen aus dem Kinderfreibetrag von 5460 Euro und dem Freibetrag für Betreuung, Erziehung und Ausbildung von 2928 Euro. Bislang gibt es in der Einkommensteuer eine Günstiger-Prüfung. Wenn also Gutverdiener
aus dem Kinderfreibetrag eine höhere Steuerminderung erzielen als ihnen durch das Kindergeld ausgezahlt wurde, wird die vom Finanzamt ausgeglichen. Das bedeutet für Familien mit höherem Einkommen eine größere Steuerersparnis, die mit dem Verdienst sogar ansteigt. Das ergibt sich allerdings aus der Progression, wonach höhere Einkommen proportional höher besteuert werden. Durch den Abzug der Kinderfreibeträge erhalten sie also mehr vom Finanzamt zurück.
Dieses Geld will die SPD einsetzen, um einen Teil des höheren Kindergelds zu finanzieren. Doch hier könnte ihr das Bundesverfassungsgericht in die Quere kommen. Denn nach höchstrichterlichen Urteilen muss das Existenzminimum für Kinder steuerfrei bleiben. Dieser Mindestbedarf entsprach in der Vergangenheit stets den Freibeträgen für Kinder. Um Familien mit Kindern gegenüber kinderlosen Paaren nicht zu benachteiligen, übersteigt das Existenzminimum in der Regel das reine Kindergeld, das allen ausbezahlt wird. Auch ärmere Familien können ihre Kinder nicht vollständig über das Kindergeld finanzieren. Eine entsprechende Anhebung auf dieses Existenzminimum würde aber leicht den Bundeshaushalt überfordern.
Umverteilen will die SPD auch bei den Steuern. „Das aktuelle Steuersystem nimmt gerade mittlere Einkommen zu stark in Anspruch“, heißt es im Entwurf, der am Montag in den Führungsgremien der Partei beraten
wurde und auf einem Parteitag beschlossen werden soll.. „Wir werden eine Einkommensteuerreform vornehmen, die kleine und mittlere Einkommen besserstellt“. Hier schlägt die SPD als Finanzierung einen Aufschlag von drei Prozent zur Einkommensteuer vor, der bei Verheirateten bei steuerpflichtigen Einkünften über 500.000 Euro und bei Ledigen über 250.000 Euro gelten soll. Damit würden die oberen fünf Prozent „stärker für die Finanzierung der wichtigen öffentlichen Aufgaben“herangezogen werden, wie es im Programmentwurf heißt.
Es dürfte für die SPD schwierig sein, selbst in einem rot-rot-grünen Bündnis diese Forderungen durchzusetzen. Denn die Aufgabe der Hartz-IV-Grundsicherung werden die Grünen nicht so ohne Weiteres mittragen. Dennoch durchzieht die Abkehr von dieser Reform, die SPD und Grüne 2005 ins Werk setzten, das gesamte Programm. Es ist offensichtlich, dass die Partei wieder ihre Rolle als sozialpolitisches Gewissen des Landes spielen will. Dabei nimmt sie Rückschläge in der Beschäftigungspolitik und ein Negativvotum aus Karlsruhe in Kauf.