Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

In Österreich wächst der Druck auf Kanzler Kurz

- VON RUDOLF GRUBER

WIEN Gestern hat sich die österreich­ische Regierung mit Fachleuten und den Regierungs­chefs der neun Bundesländ­er zu einer weiteren Krisensitz­ung getroffen. Allein die mehrfache Verschiebu­ng der Pressekonf­erenz von Bundeskanz­ler Sebastian Kurz belegt die Uneinigkei­t zwischen Bund und Ländern. Nach stundenlan­gen, teils hitzigen Debatten dürften sich die Landeschef­s gegen Kurz durchgeset­zt haben. Eine Perspektiv­e für die nächsten Monate, wie sie zuvor die Opposition und der Gewerkscha­ftsbund (ÖGB) anmahnten, erwarteten nicht einmal Vertreter der Kurz-Partei ÖVP.

Vertreter der Wirtschaft, der Kulturscha­ffenden und Sportverei­ne hatten im Vorfeld eine umfassende Öffnung gefordert, die auch von den Landeschef­s massiv unterstütz­t wird. Die in Schulen, Betrieben sowie in Kulturund Sportstätt­en eingeführt­en Sicherheit­svorkehrun­gen würden dies durchaus erlauben, hieß es. Doch die teilweise dramatisch verschärft­en Infektions­zahlen erlaubten eine Öffnung nicht. Experten, allen voran Virologen, warnten davor, die Corona-Krise könnte außer Kontrolle geraten.

So hat sich die Zahl der Neuinfekti­onen seit der jüngsten leichten Lockerung Anfang Februar auf durchschni­ttlich 2000 pro Tag verdoppelt. Kanzler Kurz macht dafür in erster Linie die rasche Verbreitun­g der britischen Virusvaria­nte B.1.1.7 verantwort­lich, namentlich im Osten Österreich­s. Besonders besorgt verfolgt man den stetig steigenden Wert der Sieben-Tage-Inzidenz: Derzeit werden im bundesweit­en Durchschni­tt 161 Neuinfekti­onen pro 100.000 Einwohner registrier­t, dabei lag Österreich vor dreiWochen mit einem Wert von knapp über 100 schon deutlich besser. Im Osten Österreich­s nähert man sich bereits wieder der Marke von 200. Vizekanzle­r Werner Kogler (Grüne) warnte vergangene Woche, weitere Lockerunge­n würden „das bisher Erreichte aufs Spiel setzen“.

Doch steht die Regierung auch unter dem Druck der Bevölkerun­g, deren Zustimmung und Geduld für die Einschränk­ungen täglich sinkt. Als Ausweg war gestern im Kanzleramt eine Regionalis­ierung des Lockdowns beschlosse­n worden: Bundesländ­er mit niedrigen Werten sollen den Lockdown stärker lockern dürfen als solche mit hohen. Dabei soll das westlichst­e Bundesland Vorarlberg, das mit 73 den bundesweit niedrigste­n Inzidenzwe­rt vorweisen kann, als „Testgebiet“auserwählt werden. Doch auch dieser Vorschlag ist nicht unumstritt­en: So befürchtet­e Salzburgs Landeschef Wilfried Haslauer, ein Parteifreu­nd von Kurz, vor einem „Fleckerlte­ppich“an Corona-Bestimmung­en, der die Lage noch verworrene­r mache als sie ohnehin schon sei. Auf wirtschaft­licher Ebene musste sich Kanzler Kurz dem Druck der Landeschef­s beugen, die die Forderunge­n der Gastronomi­e unterstütz­ten: Demnach sollen Gastgärten und Straßencaf­és noch vor Ostern geöffnete werden, in Vorarlberg bereits ab Mitte März.

„Mit weiteren Lockerunge­n setzen wir das bisher Erreichte aufs Spiel“

Werner Kogler Vizekanzle­r von Österreich

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