Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
In Österreich wächst der Druck auf Kanzler Kurz
WIEN Gestern hat sich die österreichische Regierung mit Fachleuten und den Regierungschefs der neun Bundesländer zu einer weiteren Krisensitzung getroffen. Allein die mehrfache Verschiebung der Pressekonferenz von Bundeskanzler Sebastian Kurz belegt die Uneinigkeit zwischen Bund und Ländern. Nach stundenlangen, teils hitzigen Debatten dürften sich die Landeschefs gegen Kurz durchgesetzt haben. Eine Perspektive für die nächsten Monate, wie sie zuvor die Opposition und der Gewerkschaftsbund (ÖGB) anmahnten, erwarteten nicht einmal Vertreter der Kurz-Partei ÖVP.
Vertreter der Wirtschaft, der Kulturschaffenden und Sportvereine hatten im Vorfeld eine umfassende Öffnung gefordert, die auch von den Landeschefs massiv unterstützt wird. Die in Schulen, Betrieben sowie in Kulturund Sportstätten eingeführten Sicherheitsvorkehrungen würden dies durchaus erlauben, hieß es. Doch die teilweise dramatisch verschärften Infektionszahlen erlaubten eine Öffnung nicht. Experten, allen voran Virologen, warnten davor, die Corona-Krise könnte außer Kontrolle geraten.
So hat sich die Zahl der Neuinfektionen seit der jüngsten leichten Lockerung Anfang Februar auf durchschnittlich 2000 pro Tag verdoppelt. Kanzler Kurz macht dafür in erster Linie die rasche Verbreitung der britischen Virusvariante B.1.1.7 verantwortlich, namentlich im Osten Österreichs. Besonders besorgt verfolgt man den stetig steigenden Wert der Sieben-Tage-Inzidenz: Derzeit werden im bundesweiten Durchschnitt 161 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner registriert, dabei lag Österreich vor dreiWochen mit einem Wert von knapp über 100 schon deutlich besser. Im Osten Österreichs nähert man sich bereits wieder der Marke von 200. Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) warnte vergangene Woche, weitere Lockerungen würden „das bisher Erreichte aufs Spiel setzen“.
Doch steht die Regierung auch unter dem Druck der Bevölkerung, deren Zustimmung und Geduld für die Einschränkungen täglich sinkt. Als Ausweg war gestern im Kanzleramt eine Regionalisierung des Lockdowns beschlossen worden: Bundesländer mit niedrigen Werten sollen den Lockdown stärker lockern dürfen als solche mit hohen. Dabei soll das westlichste Bundesland Vorarlberg, das mit 73 den bundesweit niedrigsten Inzidenzwert vorweisen kann, als „Testgebiet“auserwählt werden. Doch auch dieser Vorschlag ist nicht unumstritten: So befürchtete Salzburgs Landeschef Wilfried Haslauer, ein Parteifreund von Kurz, vor einem „Fleckerlteppich“an Corona-Bestimmungen, der die Lage noch verworrener mache als sie ohnehin schon sei. Auf wirtschaftlicher Ebene musste sich Kanzler Kurz dem Druck der Landeschefs beugen, die die Forderungen der Gastronomie unterstützten: Demnach sollen Gastgärten und Straßencafés noch vor Ostern geöffnete werden, in Vorarlberg bereits ab Mitte März.
„Mit weiteren Lockerungen setzen wir das bisher Erreichte aufs Spiel“
Werner Kogler Vizekanzler von Österreich