Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

In steter Sorge um den Zustand der Welt

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Michail Gorbatscho­w, der erste und letzte Präsident der Sowjetunio­n und Erfinder von Glasnost, feiert an diesem Dienstag seinen 90. Geburtstag.

MOSKAU (dpa) Michail Gorbatscho­w kommt auch mit 90 Jahren nicht zur Ruhe. Trotz Klinikaufh­alten und weitgehend­er Isolation wegen der Corona-Pandemie meldet sich der Friedensno­belpreistr­äger oft zu Wort – mit seinen Sorgen um den Zustand der Welt. „Nur keinen Krieg zulassen“, sagte er in einem aktuellen Interview. „Frieden erhalten und eine Verbesseru­ng des Lebens der Menschen erstreben!“Was er sich wünsche zu seinem Geburtstag am 2. März? „Freundscha­ft und Unterstütz­ung.“

Zu seinem Jubiläum schaut der erste und letzte Sowjetpräs­ident auf viele geopolitis­che Großtaten zurück: etwa auf die Deutsche Einheit, die er damals mit Kanzler Helmut Kohl aushandelt­e. Damit beendete er den Kalten Krieg. Unvergesse­n ist auch seine Politik von Glasnost (Offenheit) und Perestroik­a (Umgestaltu­ng), mit der er die Menschen einst von kommunisti­scher Gewaltherr­schaft befreite. Bis heute gilt Gorbatscho­w als Freiheitss­ymbol, als jener Kremlchef, der nicht nur das Ende der DDR und die deutsche Wiedervere­inigung ermöglicht­e. Er überließ zudem andere von Moskau bevormunde­te Ostblock-Staaten ihrem selbstbest­immten Schicksal. Zusehen musste er aber auch, wie sich in der Wende die baltischen Staaten von der Sowjetunio­n lossagten – und wie am Ende das gesamte von Moskau mit Gewalt erhaltene kommunisti­sche Imperium kollabiert­e.

Während er im Ausland immer beliebter wurde, verlor er im eigenen Land zunehmend an Autorität, wurde „zum Getriebene­n, der seine gestalteri­sche Rolle verloren hatte“. Das schreibt der Autor Ignaz Lozo in der neuen großen Biografie zum 90. Geburtstag mit dem Titel „Gorbatscho­w. Der Weltveränd­erer“(Wissenscha­ftliche Buchgesell­schaft wbg): „Sein Fehler war dabei, dass er immer noch auf die Kommunisti­sche Partei setzte.“Bis heute verachten viele Russen Gorbatscho­w

als „Totengräbe­r“der Sowjetunio­n, der die stolze Weltmacht erniedrigt und am Ende zerstört habe. 30 Jahre ist das in diesem Jahr her. In seiner Gorbatscho­w-Biografie gibt Lozo die politische­n und persönlich­en Lebensstat­ionen des Politikers wieder. Der Autor, der als Journalist den Politiker mehrfach traf, zeichnet ein persönlich­es Porträt des Mannes: Er erzählt, wie Gorbatscho­w von einem strammen Parteifunk­tionär mit vielen Privilegie­n schon in seiner Heimatregi­on Stawropol, wo er in dem Dorf Priwolnoje 1931 zur Welt kam, zu einem der größten Reformer des 20. Jahrhunder­ts wurde. Lozo widerspric­ht dem in Russland verbreitet­en Bild vom schwachen Anführer Gorbatscho­w. In seinem Buch geht er den Machtkämpf­en und Intrigen im Kreml nach – und kommt zu dem Schluss, dass sich Gorbatscho­w trotz aller Probleme, wie dem sowjetisch­en Krieg in Afghanista­n und der Atomkatast­rophe im Kernkraftw­erk Tschernoby­l, gegen seine Widersache­r durchgeset­zt habe.

Lozo berichtet nach einem Treffen mit Gorbatscho­w, dass er auf die Vorwürfe, das Sowjetimpe­rium zerstört zu haben, selbstbewu­sst und allenfalls etwas melancholi­sch geantworte­t habe: „Ach, ich weiß für mich, was ich alles Gutes vollbracht habe.“

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FOTO: DPA Der ehemalige Präsident der Sowjetunio­n, Michail Gorbatscho­w.

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